Reverse Mentoring: Wissensaustausch zwischen Generationen birgt großes Potenzial

10 Dezember, 2024 - 07:14
Prof. Dr. med. Alexander Ghanem
Mehrgenerationenteam beim Wissensaustausch

In der Regel kennt der Erfahrungsaustausch im Mentoring nur eine Richtung: von erfahren nach unerfahren. Dieses klassische Mentoring weist Limitationen auf, geprägt von Ressourcenmangel, Generationenkonflikten und fehlender Methodik.

Das relativ statische Model des Mentoring lässt sich mobilisieren: „Reverses“ Mentoring ermöglicht einen dynamischen Wissensaustausch, meist zwischen erfahrenen und jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Letztere bringen ihre digitalen Kompetenzen ein, während Erstere ihre langjährige klinische Erfahrung teilen.

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Langenhagen

Dieses Instrument bietet zahlreiche Vorteile und birgt großes Potenzial für die Zukunft der medizinischen Ausbildung. Mit dem Aufkommen neuer Technologien und digitaler Arbeitsmethoden eröffnen sich neue Lernmöglichkeiten. Das Reverse Mentoring ergänzt das herkömmliche Gefälle und ermöglicht einen partnerschaftlichen Austausch auf Augenhöhe. Durch die Einbindung junger Ärztinnen und Ärzte, die mit digitalen Werkzeugen und neuen Arbeitsweisen vertraut sind, können etablierte Praktiken optimiert und Innovationen gefördert werden.

Wirksamere Arbeitsabläufe

Ein Beispiel: Ein erfahrener Chirurg, der seit Jahrzehnten klinisch praktiziert, lernt von einer jüngeren Kollegin oder einem jüngeren Kollegen, wie man mithilfe von Virtual-Reality-(VR-)Technologie komplexe Operationen simulieren kann. Durch den Einsatz solcher Simulationen könnte das ganze Team vor künftigen Operationen vorab die Schlüsselschritte der Operation risikolos einüben oder chirurgische Techniken perfektionieren. Auf diese Weise kann nicht nur die Weiterbildung auf ein neues Niveau angehoben werden. Auch Teilzeitkräfte, Rotationsassistenten anderer Fachabteilungen und Wiedereinsteigende nach Elternzeit könnten systematisch an komplexe Eingriffe herangeführt werden.

Diese Zusammenarbeit zwischen den Generationen führt zu wirksameren Arbeitsabläufen und verbessert die Patientenversorgung. In diesem Modell arbeiten beide Generationen nicht nur wirksam zusammen, sie profitieren voneinander. Auf diesem Arbeitsbündnis kann organisch eine gegenseitige Wertschätzung aufgebaut werden, denkbare Generationenkonflikte werden im Alltag abgebaut.

Generationen profitieren voneinander

Um dies zu erreichen, ist ein strukturiertes Maßnahmenpaket notwendig. Zunächst sollte man in einer Bedarfsanalyse die aktuellen Fähigkeiten der Chirurginnen und Chirurgen und die Bereiche identifizieren, in denen VR-Technologie am meisten Nutzen bringen könnte. Dabei werden Ziele definiert, wie weniger Komplikationen oder höhere chirurgische Präzision. Im nächsten Schritt wird ein umfassender Schulungsplan erstellt, der spezifische Trainingsmodule für unterschiedliche chirurgische Techniken und Szenarien umfasst. Regelmäßige Fortbildungen und Updates stellen sicher, dass alle Chirurginnen und Chirurgen stets auf dem neuesten Stand bleiben. Teilzeitkräfte, Rotationsassistenten und Rückkehrende sollten gezielt in die neuen Methoden eingearbeitet werden.

Das kontinuierliche Überprüfen und Feedback-Schleifen ermöglichen es, den Fortschritt zu evaluieren und notwendige Anpassungen vorzunehmen. Teambuilding-Aktivitäten und Mentoring-Programme fördern den Austausch zwischen erfahrenen und jungen Chirurginnen und Chirurgen und tragen zur gegenseitigen Wertschätzung bei.

Kultur des lebenslangen Lernens

Die Bedeutung des Reverse Mentoring geht über den bloßen Austausch von Wissen und Fertigkeiten hinaus. Es trägt auch dazu bei, eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und des lebenslangen Lernens zu fördern. In einer sich ständig wandelnden medizinischen Landschaft ist es unerlässlich, dass medizinische Fachkräfte flexibel und anpassungsfähig bleiben. Reverse Mentoring ermöglicht es erfahrenen Ärztinnen und Ärzten, auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben und neue Ansätze in ihre Praxis zu integrieren. Gleichzeitig können junge Ärztinnen und Ärzte von der umfassenden klinischen Erfahrung ihrer älteren Kolleginnen und Kollegen profitieren und ihre berufliche Entwicklung beschleunigen.

Ein weiterer Vorteil des Reverse Mentorings ist das Fördern der interdisziplinären Zusammenarbeit. In vielen medizinischen Einrichtungen arbeiten Fachkräfte aus verschiedenen Disziplinen eng zusammen, um die bestmögliche Patientenversorgung zu gewährleisten. Durch Reverse Mentoring können Barrieren zwischen den Disziplinen abgebaut und ein tieferes Verständnis für die unterschiedlichen Rollen und Verantwortlichkeiten innerhalb des Teams entwickelt werden. Dies kann die Koordination und Kommunikation verbessern, was wiederum die Qualität der Patientenversorgung erhöht.

Letztendlich trägt Reverse Mentoring auch dazu bei, die berufliche Zufriedenheit und das Wohlbefinden von Ärztinnen und Ärzten zu steigern. Der Austausch von Wissen und Erfahrungen kann das Gefühl der Isolation reduzieren, das viele Ärztinnen und Ärzte empfinden, und ein stärkeres Gefühl der Zugehörigkeit und Unterstützung innerhalb der medizinischen Gemeinschaft fördern. Dies ist besonders wichtig in einer Zeit, in der Burn-out und Stress zu den größten Herausforderungen im Gesundheitswesen gehören.

Reverse Mentoring macht zukunftsfähig

Reverse Mentoring ist ein mächtiges Instrument, welches in der Lage ist, in einer Organisation einen kulturellen Wandel einzuleiten. Indem die Methode eine Kultur der Offenheit und des gegenseitigen Respekts fördert, kann sie dazu beitragen, die Zusammenarbeit und das Engagement der Mitarbeitenden zu stärken. Dies führt wiederum zu einer höheren Zufriedenheit und Produktivität, was sich positiv auf die Qualität der Patientenversorgung und Weiterbildung sowie die langfristige Nachhaltigkeit der medizinischen Einrichtung auswirkt.

Durch die Integration neuer Technologien und die kontinuierliche Weiterbildung kann Reverse Mentoring dazu beitragen, dahingehend befähigte Gesundheitseinrichtungen zukunftsfähig zu machen und die bestmögliche Versorgung für die Patienten zu gewährleisten. Mit dem kulturellen Wandel, den Reverse Mentoring mit sich bringt, können Gesundheitseinrichtungen dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel ein wenig optimistischer begegnen.

Der Autor:

Prof. Dr. med. Alexander Ghanem
Chefarzt Innere Medizin II
Kardiologie & internistische Intensivmedizin
Asklepios Klinik Nord
22417 Hamburg

Dtsch Arztebl 2024; 121(25): [2]

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