Ärztinnen und Ärzte in Führung: Verschiedene Generationen leichter (zusammen)führen

6 März, 2024 - 07:29
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Ärztinnen und Ärzte in Führung: Prof. Dr. Sonja Güthoff
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach.

In der Klinik, Praxis oder Ambulanz arbeiten wir in der Regel altersgemischt miteinander. (Er)Kennen Sie die Vorurteile, die in Ihrem Team und vielleicht auch bei Ihnen selbst zu den unterschiedlichen Generationen vorherrschen? Erfahren Sie, was an den vermeintlichen Unterschieden der Generationen dran ist und vor allem, wie Sie die verschiedenen Fähigkeiten und das Wissen der Kolleginnen und Kollegen für das Team nutzbar machen können.

Die Medizin zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen aller Altersgruppen in der Klinik, Praxis oder Ambulanz zusammenarbeiten. Kennen Sie im Team auch die Tendenz, über andere Generationen, sei es die junge Generation Z oder die ältere Baby Boomer Generation, zu urteilen, dass sie anders wären? Über eine Spanne von jeweils etwa 15 Jahren wurden sogenannte Generationen definiert, wobei die Anfangs- und Endzeiten in der Literatur mit mehreren Jahren variieren und damit auch überlappen (Constanza D. P. et al. Generational Differences in Work-Related Attitudes: A Meta-analysis. J Bus Psychol 2012; 27:375–394).

So werden in der wissenschaftlichen sowie alltäglichen Literatur folgende Generationen mit entsprechend variierenden Geburtsjahrgängen beschrieben:

  • ca. 1928-1945 die Silent Generation oder Traditional,
  • ca. 1945/1950-1965 in der kinderreichen Nachkriegszeit die Generation Baby Boomer,
  • ca. 1966-1980 die Generation X,
  • ca. 1981-1995 die Generation Y (auch Millennials genannt, wobei der Begriff teilweise auch noch diejenigen über die Jahrtausendwende hinweg Geborenen beschreibt),
  • ca. 1996-2010 die Generation Z und
  • nach 2010 kristallisiert sich gerade die Generation Alpha heraus.

Es gibt zahlreiche Bücher darüber, wie die junge Generation Z tickt, wie wir mit den einzelnen Generationen umgehen sollten und wie wir sie am Arbeitsplatz halten können. Denn der Fachkräftemangel wird sich noch weiter verschärfen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der sogenannten Baby Boomer Generation nach und nach in den Ruhestand gehen werden. Was jedoch, wenn diese Art des in Generationen Denkens eher trennt und diskriminiert, als tatsächlich das Miteinander zu verbessern? Gibt es denn überhaupt Belege dafür, dass die Generationen sich unterscheiden?

Kaum Unterschiede zwischen den Generationen?

Tatsächlich findet sich keine haltbare Evidenz, dass es gravierende Unterschiede zwischen den Generationen gibt. Eine Metaanalyse von Constanza D. P. et al. (J Bus Psychol 2012, siehe oben) zeigte nur geringe bis gar keine Beziehungen zwischen der Zugehörigkeit zu einer der Generationen Baby Boomer, X oder Y und den arbeitsbezogenen Parametern Arbeitszufriedenheit, organisatorisches Engagement und Wechselbereitschaft.

Der Professor für Soziologie Martin Schröder untersucht als einer der Forscherinnen und Forscher das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) hinsichtlich möglicher Generationsunterschiede. Als Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland mit öffentlicher Förderung ist das SOEP am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DWI) Berlin angesiedelt. Seit 1984 werden jährlich tausende Befragungen durchgeführt und für angewandte Sozialforschung zur Verfügung gestellt. Schröder M. eruierte auf der Basis von 104.792 bis 551.664 Ergebnissen von Befragungen, dass sich die Geburtenkohorten 1966 bis 1991 in ihren Einstellungen tatsächlich nur geringfügig oder kaum unterschieden, wenn man Perioden- (verschiedene Befragungszeitpunkte) und Alterseffekte (Menschen in den verschiedenen Lebensphasen) herausrechnete. Dabei wurden Parameter untersucht wie die Wichtigkeit, sich selbst zu verwirklichen, die Wichtigkeit, Erfolg im Beruf zu haben, die Wichtigkeit, sich politisch gesellschaftlich einzusetzen und weiteres (Schröder M. Der Generationenmythos. Köln Z Soziol 2018; 70:469–494).

Mittlerweile umfasst das SOEP Antworten von über 80.000 Menschen, wobei die ersten Antworten von Teilnehmenden der Generation Z zur Verfügung stehen (Mindestalter 16 Jahre). Prof. Schröder kann nach Berücksichtigung der Effekte unterschiedlicher Lebensphasen und Befragungszeitpunkte weiterhin kaum Generationeneffekte ausmachen. Er beschreibt, dass junge Menschen durchaus anders als alte denken würden, und dass wir alle heute anders denken würden als früher. Jedoch würden die unterschiedlichen Generationen nur selten systematisch anders denken, wenn sie im gleichen Alter und zum gleichen Zeitpunkt befragt würden (siehe Schröder M. Warum es keine Generationen gibt. Blogbeitrag vom 17.07.2023 unter www.martin-schroeder.de).

Merke

Unter der Berücksichtigung von Perioden- (verschiedene Befragungszeitpunkte) und Alterseffekte (Menschen in den verschiedenen Lebensphasen) konnten kaum Unterschiede zwischen den definierten Generationen festgestellt werden.

nach Prof. Dr. Martin Schröder

Diskriminierung und Vorurteile vermeiden

Unterstützend räumen auch Cort W. R. et al. (Generations and Generational Differences: Debunking Myths in Organizational Science and Practice and Paving New Paths Forward. J Bus Psychol 2021; 36:945–967) mit verschiedenen Mythen bezogen auf die unterschiedlichen Generationen auf. Sie schlussfolgern, dass die Forschung die Existenz von Generationsunterschieden im Allgemeinen nicht bestätigen kann. Unternehmen würden sich sogar einer unnötigen Haftung aussetzen, wenn sie Unterschiede in der Führung von Personen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Generation machen würden. Die Gruppe spricht sich klar gegen die Diskriminierung aufgrund des Alters definiert über die Generationen aus.

Für uns Ärztinnen und Ärzte in Führung kann es ein neuer Ansatz sein, auf die Kommunikation unter den Altersgruppen zu achten. Erst dann fallen uns gegebenenfalls unterschwellige Diskriminierungen auf, die hinsichtlich des Alters geäußert werden. Das kann sowohl die jüngeren als auch die älteren Kolleginnen oder Kollegen betreffen, vielleicht auch diejenigen mit Kindern. Thematisieren Sie Anmerkungen, die auf Vorurteilen basieren. Gerade bei Pauschalisierungen kann eine gute Frage sein: „Woran machst Du das konkret fest?“, um die oftmals unbewusste Verallgemeinerung aufzuspüren.

Vielleicht erkennen wir auch bei uns selbst, dass wir unbewusst Vorurteile aufgrund des Alters und / oder der Lebenssituation äußern. Vielleicht machen wir sogar gut gemeinte Unterschiede in der Behandlung von Mitarbeitenden (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Mitarbeitende gerecht fördern).

Tipp

Schaffen Sie in Ihrem Team eine Atmosphäre, in der altersübergreifend wertschätzend miteinander gearbeitet wird. Unterbinden Sie Pauschalisierungen, Vorurteile und (unterschwellige) Diskriminierungen zu den vermeintlichen Generationen. Verdeutlichen Sie stattdessen lieber, dass auf der individuellen Ebene die Fähigkeiten und Persönlichkeiten anerkannt werden. Unterstützen Sie, dass sich entsprechend jede Person individuell im Team einbringen kann.

Voneinander Lernen

Sicherlich kennen Sie selbst den Vorteil, dass Diversität einem Team gut tut, da die unterschiedlichen Menschen sich mit ihren Fähigkeiten ergänzen können. Für die Altersvielfalt konnte ein klarer Nutzen für Unternehmen abgelesen werden, da z. B. ältere Mitarbeitende wertvolle berufsspezifische Kenntnisse aufgebaut haben und jüngere oft aktuellere wissenschaftliche und technische Kenntnisse mitbringen (Yixuan L. et al. Leveraging Age Diversity for Organizational Performance: An Intellectual Capital Perspective. Journal of Applied Psychology 2021; 106:71–91).

Schon im Hippokratischen Eid und im abgeleitenden Ärztlichen Gelöbnis (siehe Genfer Deklaration von 2017, Weltärztebund (WMA)) ist formuliert, dass wir unser medizinisches Wissen zum Wohle der Patientin und des Patienten und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung teilen. Auch im Gesundheitswesen bezieht sich dieses Teilen des Wissens längst nicht mehr nur auf die älteren Generationen, die Ihr Wissen an jüngere Generationen weitergeben, sondern auch auf die Fähigkeiten der Jüngeren. Als sogenannte „Digital Natives“ sind die Generationen Y und Z mit den alltäglichen Technologien aufgewachsen und verwenden diese ganz intuitiv. Gerade unter dem Druck und der Chance der Digitalisierung in der Medizin und Pflege können diese ebenfalls wertvolles Wissen in die Klinik, Praxis oder Ambulanz einbringen. Fördern Sie als Ärztin oder Arzt in Führung diesen Wissensaustausch in beide Richtungen.

Toolbox Führung

Ein altersgemischtes Team (zusammen)führen

Um in der Klinik, Ambulanz oder Praxis leichter verschiedene Generationen zu führen, können Sie nachfolgende Impulse umsetzen:

  1. Selbstreflexion als Führungskraft: Überlegen und analysieren Sie für sich selbst, ob es Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund des Alters in Ihrem Team gibt. Bilden sich Gruppierungen z. B. Schichteinteilungen oder Dienstgruppen nach dem Alter getrennt? Oder wird auch altersübergreifend gut zusammengearbeitet? Wo gibt es eventuell Konflikte?
     
  2. Austausch im Team: Thematisieren Sie im Team Ihre Erkenntnisse und überlegen Sie zusammen, wie Sie Konflikte lösen können (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Konflikte leichter lösen). Suchen Sie auch nach Gemeinsamkeiten, auf deren Basis altersgemischte Teams oder Tandems zusammengestellt werden können. Welche Bedürfnisse haben die einzelnen Team-Mitglieder aufgrund ihrer Lebensphase, die die anderen berücksichtigen können?
     
  3. Das voneinander Lernen fördern: Sammeln Sie gemeinsam im Team, welche Fähigkeiten die einzelnen Team-Mitglieder mitbringen. Gibt es digitale Themen, die von den jüngeren Kolleginnen und Kollegen den anderen näher gebracht werden können? Sie können auch im Aufenthaltsraum eine Tauschbörse etablieren, bei der gezielt Wissen angeboten und gesucht werden kann z.B. „Suche jemanden, der mir die Anwendung des neuen Tools im Intranet erklärt. Biete eine Einführung in die Blutgasanalyse.“ oder ähnliches.
     
  4. Mitarbeitende finden und binden: Hören Sie als Führungskraft gut zu, v. a. wenn über die Bedürfnisse gesprochen wird. Sie erfahren viel darüber, wie Sie Ihre Mitarbeitenden gezielt aufgrund ihrer Lebensphase fördern und halten können. Lassen Sie sich auch von den unterschiedlichen Persönlichkeiten dabei unterstützen, wie neue Mitarbeitende gefunden werden können, z. B. können Jüngere bei der Suche über Social Media mit Reels helfen, oder Ältere haben vielleicht Ideen, in welchen Vereinen man Gleichgesinnte über einen Aushang finden könnte oder ähnliches.

Die Autorin:

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD Hochschule Stuttgart sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin des Instituts für ein gesundes Arbeitsleben im Gesundheitswesen (INSTGAG) begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte und andere Zusammenarbeitende im Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen. Kontaktieren Sie Sonja Güthoff gerne unter info@sonjaguethoff.de.

Die Autorin ist Studiengangsleiterin des akkreditierten und staatlich anerkannten MBA Medical Leadership nur für Ärztinnen und Ärzte an der AKAD Hochschule. Die Anmeldung ist möglich über die Hochschul-Homepage www.akad.de. Bei Angabe des Rabatt-Codes AKADAERZTESTELLEN erhalten Sie zudem einen Rabatt von 20 Prozent auf die Studiengebühren.

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