So bleiben Ärzte und Ärztinnen cool im Umgang mit schwierigen Patienten

6 April, 2022 - 09:52
Michael Fehrenschild
Aggressiver Patient brüllt Ärztin an
Aggressive Patientinnen und Patienten sind eine Herausforderung in Klinik und Praxis.

Beratungsresistent, weinerlich, aggressiv – und das bei hohem Zeitdruck: Die Bandbreite an nervigen Verhaltensweisen bei Patientinnen und Patienten ist groß. Die erfahrene Trainerin Yasmine Bouali-Freybe gibt Tipps, wie Ärztinnen und Ärzte damit gut umgehen können.

Der kalifornische Arzt Taylor Nichols staunte nicht schlecht, als der schwer an Corona erkrankte Mann mit freiem Oberkörper vor ihm lag. Denn sein Patient war mit einem großen Hakenkreuz und SS-Runen tätowiert. Ein wahrhaft „schwieriger“ Fall für den jüdischen Mediziner und sein multiethnisches Team. Nichols stutzte – erledigte dann aber trotzdem souverän seinen Job. Dieses Ereignis ging 2020 durch die Weltpresse. Keine Frage, das ist ein drastisches Beispiel, aber alle Medizinerinnen und Mediziner erleben in ihrem Alltag schwierige Menschen – wobei deren Motive sehr unterschiedlich sein können.

Was ist eigentlich „schwierig“?

„Es gibt ein breites Spektrum schwieriger Patientinnen und Patienten, zumal nicht alle Medizinerinnen und Mediziner das gleiche als problematisch empfinden. Für die meisten gilt jedoch: Anstrengend sind besonders diejenigen, die medizinische Ratschläge nicht befolgen und insgesamt sehr fordernd auftreten. Das kann jemand mit einer schlechten Prognose sein, aber auch ein Schmerzpatient oder sehr redselige Leute“, schildert Coach Yasmine Bouali-Freybe und ergänzt: „Eins trifft allerdings fast immer zu: Für nahezu jeden sind sehr aggressive oder cholerische Menschen eine Prüfung.“

29.06.2024, Praxis
Hamburg
28.06.2024, Augenzentrum Fürstenfeldbruck
Fürstenfeldbruck

Darüber hinaus hat diese Problematik in den letzten Jahren – erst recht durch Corona – zugenommen. So berichtet auch Bouali-Freybe aus ihren Kursen: „Wenn ich 2022 mit 2011 vergleiche, sagen viele Medizinerinnen und Mediziner, das extreme Verhaltensweisen häufiger werden. Die Menschen sind einfach mehr belastet. Und das drückt sich dann vermehrt in aufgebrachtem oder stark zurückgezogenem, depressivem Verhalten sowie Überängstlichkeit aus."

Die eigenen Triggerpunkte kennen

Für Bouali-Freybe ist Selbstreflektion ein Schlüsselbegriff. Medizinerinnen und Mediziner sollten wissen, was bei ihnen den berühmten neuralgischen Punkt berührt. Denn der Blick ist immer subjektiv: So ist für den einen Arzt eine sehr ängstliche Patientin eine große Herausforderung, die andere Ärztin fürchtet Besserwisser. „Hier sollte ich meine persönlichen Triggerpunkte kennen. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass Kranke, die viel jammern, mir sehr auf die Nerven gehen, kann ich mich innerlich auf sie einstellen. Hierfür gibt es erlernbare Kommunikationstechniken, um solchen Patientinnen und Patienten mit einer klaren Haltung gegenüberzutreten“, betont Bouali-Freybe.

Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Denn es ist noch ein weiterer Aspekt zu beachten: Was bringt der Patient oder die Patientin mit? Hat die Person generell einen aufbrausenden Charakter? Oder schlicht Angst um ihr Leben? Yasmine Bouali-Freybe empfiehlt daher immer zunächst, das Gespräch zu suchen: „Bei einem ängstlichen Patienten muss ich Vertrauen aufbauen. Dazu lasse ich ihn erst einmal sprechen.“ Bei einem Aggressiven sollte man dagegen nicht sofort „das Schwert ziehen“: „Wenn Sie hier gleich Ihre Macht ausspielen und deutlich sagen: ‚Hören Sie mal, Sie wollen doch etwas von mir und nicht andersrum…‘, kann vieles in eine ganz falsche Richtung gehen, was übrigens weit verbreitet ist.“ Stattdessen empfiehlt sie, gleich am Anfang aktiv die Weichen zu stellen und den Patienten etwa zu fragen: ‚Sie reagieren schnell gereizt. Womit hat das zu tun? Möchten Sie mir etwas darüber erzählen?'.“ So können sich Betroffene, die vielleicht unter Strom stehen, weil sie kaum sagen können, wie sie sich fühlen, viel besser mitteilen – und der Mediziner können sie auch eher verstehen. Zudem fühlt man sich als Arzt oder Ärztin dann nicht mehr so persönlich attackiert.

Gespräche auf Herzenshöhe

„Viele Ärztinnen und Ärzte haben Angst vor ‚verlorener‘ Zeit. Schwierige Patientinnen und Patienten gelten ohnehin als sehr behandlungs- und zeitintensiv. Aber dieser kleine Gesprächs-Mehraufwand zahlt sich am Ende oft aus und kann sogar die Behandlung beschleunigen“, betont die erfahrene Trainerin. Für den Umgang mit Kranken rät Bouali-Freybe generell, es immer wieder mit Empathie zu versuchen. Sie gibt ein schönes Beispiel: „Der Gynäkologe und Autor Professor Jalid Sehouli, Direktor für onkologische Chirurgie der Charité Berlin, führt viele schwierige Gespräche. Und er sagt: Man kann als Arzt oder Ärztin mit Patienten, entgegen mancher Forderung, keine Gespräche auf echter Augenhöhe führen. Denn Mediziner besitzen nun mal ein Expertenwissen, das Kranke eben nicht haben. Aber es ist wichtig, nicht von oben herab zu agieren. Sehouli spricht davon, den Menschen auf Herzenshöhe zu begegnen. Das gefällt mir sehr gut.“

Wenn die Ampel auf Rot springt

Bei Aggressionen ist es dagegen absolut notwendig, Grenzen zu setzen. Bouali-Freybe empfiehlt, hierfür eine innere Ampel zu entwickeln. Grün heißt: Es läuft gut und die Gesprächsstrategie muss nicht geändert werden. Zeigt sich der Patient oder die Patientin aber zunehmend uneinsichtig, sollte gedanklich auf gelb umgeschaltet werden. Der Arzt oder die Ärztin muss nun aufpassen, dass es nicht eskaliert. Oft hilft jetzt eine Intervention wie diese: „Ich weiß, dass Sie in einer schwierigen Situation sind. Aber dennoch muss ich Sie bitten, mich nicht zu beleidigen und anzugreifen. So kommen wir sonst nicht weiter. Kehren Sie zu einem angemessenen Ton zurück. Das ist einfacher für Sie und für mich.“ Wenn das nicht fruchtet und die Ampel auf Rot springt, muss man das Gespräch abbrechen und vielleicht sogar die Behandlung beenden. Im Extremfall geht das bis zum Praxisverbot und zum Polizeieinsatz.

Sich selbst nicht vergessen

Bouali-Freybe hält nicht viel davon, schwierige Situationen, Gespräche sowie das Überbringen schlechter Nachrichten zu delegieren, was im Krankenhaus zumindest teilweise möglich ist. Sie meint: „Ich bin der Meinung, dass Ärztinnen und Ärzte das üben und lernen sollten.“ In einer Hausarztpraxis ist es allerdings manchmal etwas leichter: Durch häufige Termine kennt man seine „Pappenheimer“. Manches an Wut und Aggression kann zudem schon vom Empfangspersonal ausgebremst werden. Und der Arzt oder die Ärztin kann vorgewarnt werden, dass sich ein Mensch in extrem geladener Stimmung nähert. Generell gilt aber: Es darf nicht so weit gehen, dass man den Kopf nicht mehr frei bekommt. Denn oft sind die Wartezimmer voll und auf die nächsten Fälle muss man sich wieder voll und ganz konzentrieren können.

Und wichtig ist auch, den eigenen mentalen Zustand bewusst im Blick zu haben. Bouali-Freybe hat durchaus schon Medizinerinnen und Mediziner gecoacht, die vor lauter Stress & Co. kurz vor dem Berufswechsel standen. Sie ist froh, dass sie das einige Mal abwenden konnte. Aber sie hat auch schon beim zufälligen Gespräch mit einem Taxifahrer erfahren, dass dieser eigentlich Arzt ist, das ganze Leid aber nicht mehr ertragen konnte.

Einige Faustregeln für den Umgang mit schwierigen Patienten:

  • Werden Sie sich über die eigenen Gefühle klar: Kann ich jemand zum Beispiel einfach nicht leiden?
  • Gehen Sie, wenn möglich, vorbereitet in Gespräche mit Cholerikern & Co.
  • Setzen Sie Grenzen: Ich muss nicht jeden behandeln!
  • Suchen Sie sich einen Ausgleich: Mit Vertrauten über Probleme reden
  • Trainieren Sie Stresssituationen

Die Expertin

Yasmine Bouali-Freybe


Yasmine Bouali-Freybe arbeitet seit 1992 unter anderem für Medizinerinnen und Mediziner als Coach und Trainerin in der Kompetenz- und Potenzialentwicklung. Sie bietet Schulungen an wie „Den Praxisalltag meistern in schwierigen Situationen“ (www.bouali-seminare.de).

Bild: © privat

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