Selbstdarstellung im Vorstellungsgespräch: Wie läuft das heute?

1 Juni, 2023 - 16:00
Gerti Keller
Junge Frau im Vorstellungsgespräch

Der Ärztemangel verändert auch die Bewerbung. Während der Nachwuchs sich früher bestmöglich präsentieren musste, sind viele Arbeitgeber heute schon froh, wenn überhaupt jemand den Weg zu ihnen findet. Darf man deswegen aber auch wirklich alles fragen? Und womit kann man heute bei besonders begehrten Stellen punkten? Klinik-Coach Ulrike Ambrosy weiß, was zurzeit üblich ist.

„Der leergefegte Ärztemarkt hat den Ablauf vieler Vorstellungsgespräche stark verändert“, berichtet Ulrike Ambrosy und fügt an: „Erst heute Morgen sagte eine Chefärztin fröhlich zu mir, sie hätte gleich zwei Bewerbungsgespräche. Dabei sei sie schon dankbar, wenn überhaupt Bewerbungen eintrudeln.“ Und geradezu großartig wäre es, wenn der Kandidat oder die Kandidatin auch noch Erfahrung mitbringen würde.

Zwar gibt es nach wie vor einige Krankenhäuser, die in der „alten Welt“ leben. „Da werden extern Bewerbende tatsächlich immer noch aufgefordert ‚Erzählen Sie doch mal etwas über sich‘“, erklärt die Diplom-Pädagogin. Die Realität sei aber heutzutage vielmehr, dass die klassische Einstiegsfrage genau in die andere Richtung gehe. Da fragen Kandidatinnen und Kandidaten vermehrt proaktiv: „Erzählen Sie doch mal über Ihre Klinik“, was manche Chefinnen und Chefs der alten Schule dann zusammenzucken lässt.

29.03.2024, Ambulantes Zentrum für Lungenkrankheiten und Schlafmedizin (AZLS)
Cottbus

Die Gesprächsführung wechselt die Seite

Weitere Fragen, die heutzutage von den Bewerbenden regelmäßig gestellt werden, lauten: Wie sind bei Ihnen die Möglichkeiten, sich weiterzubilden? Gibt es ein Mentoringprogramm? „Alles ist berechtigt, es gibt keine No-Gos mehr“, betont Ambrosy überzeugt und rät allgemein: „Gehen Sie ganz klar mit Ihren persönlichen Zielvorstellungen in das Gespräch. Der Punkt ist immer: Was möchten Sie in den nächsten zwei, drei, vier, fünf Jahren lernen? Als junger Mensch braucht man im Idealfall jemand Erfahrenes an der Seite für die eigene fachliche Weiterentwicklung. Die Realitäten im Krankenhaus sehen jedoch oft anders aus. Daher sollte man solche Punkte möglichst konkret klären.“ Gängig sind ebenso Fragen nach flexiblen Arbeitszeiten, Diensten und Ausfallquoten, um zu schauen, wie die Abteilung organisatorisch aufgestellt ist.

Der kleine Unterschied: Ärztinnen sind weniger forsch

Allerdings, so Ambrosy, gibt es einen gravierenden Unterschied – und zwar, ob es sich um Ärztinnen oder Ärzte handelt: „Nach meiner Erfahrung, stellen junge Medizinerinnen ihr Licht auch in Bewerbungsgesprächen immer noch viel zu sehr unter den Scheffel und fragen auch weniger. Dabei sollten auch sie angesichts der Arbeitsmarktlage alles ansprechen, was ihnen wichtig ist.“ Je nach Situation kann man also auch fragen: „Wie gut kann ich als Frau bei Ihnen Karriere machen, wenn ich eine Familie gründen will?“ „Gerade in strukturschwachen Gegenden wird Ihnen in jedem Fall der rote Teppich ausgerollt. Wenn Sie Kinder haben, heißt es: ‚Da brauchen Sie sich gar nicht drum zu kümmern. Dafür gibt es extra Regelungen mit unserer Kindertagesstätte“, schildert Ambrosy.

Für junge Ärztinnen, die sich auf Chefarztpositionen bewerben, ist es das Wichtigste, von dem überzeugt zu sein, was sie können. „Damit die andere Seite sieht, hier kommt jemand, die bringt die nötige Erfahrung mit, die hat darüber hinaus auch einen gewissen Spirit, wie sie die Abteilung führen möchte“, sagt Ambrosy. Ein Knackpunkt seien aber immer noch die Gehaltsverhandlungen. Frauen schätzen den Wert ihrer Arbeit nach wie vor wesentlich niedriger ein als ihre Kollegen, nicht nur bei den Einstiegsverhandlungen.

Immer noch Usus: Selbstdarstellung bei begehrten Stellen

Will man bei seinem Arbeitgeber bleiben, reicht meist ein Signal, dann geht die Beförderung intern hinter den Kulissen sowieso schnell und unkompliziert. Für die externe Bewerbung auf beliebte Arbeitsplätze, zum Beispiel an Unikliniken, ist die klassische Selbstdarstellung allerdings nach wie vor unerlässlich. Dafür gilt aktuell: „Neben aller Expertise ist es wichtig, rüberzubringen, dass Sie interdisziplinär arbeiten möchten, Wert auf gute Zusammenarbeit zwischen Pflege und Medizin legen und Prozesse entsprechend gemeinsam angehen wollen“, erläutert Ambrosy, die seit 30 Jahren in der Gesundheitsbranche tätig ist.

Hierfür sei es hilfreich, ein Beispiel aus der eigenen Berufserfahrung parat zu haben. „Überlegen Sie vorher, welche konkrete Situation Sie erlebt haben, mit der Sie Ihren Arbeitsstil anschaulich demonstrieren können. Vielleicht gab es ein Projekt, in das Sie integriert oder für das Sie selbst verantwortlich waren“, empfiehlt Ambrosy. Im Idealfall ist es eine Kombination, bei der Fachlichkeit und Teamwork gut funktioniert hat - eventuell auch im Kontext Ethik, je nach Bereich. Diese Erfahrung sollte man aber auch wirklich selbst gemacht haben, so Ambrosy mit Augenzwinkern und ergänzt: „Bleiben Sie bei sich selbst und verkaufen Sie sich nicht als etwas, was Sie nicht sind.“

Darüber hinaus verläuft so ein Gespräch nie statisch nach Schema F. „Wenn der Funke überspringt, gibt es auch immer den Moment, in dem man ein bisschen über sich selbst, also privat, erzählt. So kann auch die Frage auftauchen ‚was sind denn ihre Freizeit-Interessen‘, damit auch ein bisschen mehr der Mensch rüberkommt – auch hierzu kann man sich im Vorfeld etwas überlegen“, sagt Ambrosy.

Außerdem sollte man den Blick auf die aktuellen Entwicklungen der Krankenhauslandschaft schärfen, rät sie: „Auch wenn es etwas Zeit beansprucht, sollte ich mich mit der strategischen Ausrichtung meiner nächsten angestrebten Arbeitsstelle beschäftigen und schauen, womit kann ich da schon punkten? Habe ich optimalerweise schon Erfahrung gesammelt, die dort in Zukunft noch wichtiger wird?“

Nützlich: Gesprächstechniken

Zudem gibt es verschiedene Techniken aus der Verhandlungspsychologie, die bei Bewerbungen auf jede Position hilfreich sein können. Wird man beispielsweise auf eine unschöne Klippe im CV angesprochen, sollte man nicht über andere Menschen schlecht reden nach dem Motto „der Chef hat… die Kollegen haben… da habe ich es nicht ausgehalten…“ Das kommt nie gut an. Viel besser sei es, eine positive Zielformulierung dafür zu finden. „Wer zum Beispiel die Klinik XY schnell wieder verlassen hat, kann das so begründen: ‚Ich habe mir das ein halbes Jahr angeguckt und auch dieses und jenes mitgenommen, aber mich entschieden, dass ich eine andere Aufgabe oder Umgebung brauche, um meine Kompetenzen entsprechend zu entfalten‘“, regt die erfahrene Beraterin an.

Liegen Vorbehalte in der Luft, lässt sich die Einwand-Vorhersage anwenden. „Weiß ich zum Beispiel aus informellen Gesprächen, dass ein Kandidat aus einem kleineren Krankenhaus beim Chefarzt schlechte Karten hat, kann ich situativ schauen, ob es sinnvoll ist, dieses Thema selbst anzusprechen.“ Dann könne man zum Beispiel sagen: „ich weiß aus Erfahrung, dass der ein oder andere Vorbehalte hat, wenn jemand aus einem kleinen Haus kommt. Daher möchte ich Ihnen an einem konkreten Beispiel verdeutlichen, wie ich mir die interdisziplinäre Zusammenarbeit vorstelle.“

Kann ich mich auf Abmachungen verlassen?

Auch wenn bei der Bewerbung versprochen wird, dass man bestimmte Methoden oder Abteilungen kennenlernen wird, bleibt das in der Regel eine Vertrauenssache. Alles schreibt man dann doch nicht in den Vertrag. Wirklich bedeutsame Abmachungen sollten dagegen immer schriftlich dokumentiert werden. Ambrosy: „Es werden manchmal Gespräche geführt, in denen es heißt: ‚Die nächsten Jahre müssen sie erstmal übergangsweise als Oberärztin oder leitende Oberärztin arbeiten, aber wenn dann unser Herr XY in Ruhestand geht, sehen wir Sie perspektivisch als Nachfolgerin.‘ Wer hier nur auf das gesprochene Wort hofft, kann manchmal ganz böse Überraschungen erleben.“

Die Expertin

Ulrike Ambrosy

Ulrike Ambrosy ist Karriereberaterin, Systemische Organisationsberaterin & Coach und Mediatorin. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Beraterin im Gesundheitswesen. Weitere Infos: www.ambrosy-team.de.

Bild: © Peter Wattendorf

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