
Im Klinikalltag werden Ärztinnen und Ärzte täglich bis zu 50-mal unterbrochen – mit gravierenden Folgen: Die Effizienz nimmt ab, Fehleranfälligkeit und Stresserleben nehmen zu. In einem Berufsfeld, das immer komplexer wird, ist ein effektives Selbstmanagement wichtig, um die eigene Gesundheit zu schützen.
Selbstmanagement ist ein Instrument zur Reduktion von Überforderung – und ein Weg, die Begeisterung für die ärztliche Tätigkeit neu zu beleben. Ein praxisorientierter Ansatz ist das 4P-Modell, das vier aufeinander aufbauende Schritte umfasst: Präparation, Planung, Priorisierung und Performanz. Es schafft Klarheit über den Status quo, gibt Orientierung beim Verfolgen eines Ziels und unterstützt dabei, den beruflichen wie privaten Alltag aktiv im Einklang zu halten.
Präparation: Realität und Anspruch vergleichen
Der Einstieg in ein wirksames Selbstmanagement beginnt mit einer systematischen Analyse des eigenen Alltags. Dafür erstellen Ärztinnen und Ärzte zunächst einen Plan, der alle Vorhaben einer Woche umfasst. Der Plan sollte sowohl berufliche Ziele als auch Vorhaben in den Lebensbereichen Gesundheit, Beziehungen und persönliche Weiterentwicklung berücksichtigen. In der darauffolgenden Woche werden die tatsächlichen Tagesverläufe protokolliert, einschließlich der Tätigkeiten und die dabei empfundenen Energie- und Motivationsniveaus, beispielsweise auf einer Skala von 1 bis 10.
Der anschließende, systematische Vergleich von Wunsch und Wirklichkeit ermöglicht eine fundierte Reflexion. Wo lagen inhaltliche und zeitliche Abweichungen? Gab es wiederkehrende Muster, etwa ein Leistungstief zu bestimmten Tageszeiten oder das motivationsbedingte Verschieben von Aufgaben (Prokrastination)? Solche Erkenntnisse helfen, künftige Planungen besser an individuelle Ressourcen anzupassen. Aufgaben mit hohem Anspruch könnten beispielsweise gezielt auf leistungsstärkere Tagesphasen gelegt werden, etwa in die erste Stunde eines Arbeitstags oder in den Vormittag eines freien Tags.
Planung: Strukturen in allen Bereichen schaffen
Ein zentrales Element nachhaltigen Selbstmanagements ist die vorausschauende und mehrdimensionale Planung. Diese sollte nicht nur den beruflichen Alltag abbilden, sondern auch langfristige Ziele in den Lebensbereichen Karriere, Gesundheit, Beziehungen und persönliche Reflexion einbeziehen. Mit einer bewussten Planung auf Wochen-, Quartals- und Jahresebene lassen sich Ziele besser erreichen und die Work-Life-Balance steigern.
Einzelne Quartale könnten beispielsweise einem Schwerpunkt gewidmet sein. So könnte sich der kommende Herbst dazu eignen, die Beziehungsqualität mit langjährigen Freunden oder dem Kollegium zu verbessern. Indem Ärztinnen und Ärzte diese Ziele an einen fixen Zeitpunkt der Woche koppeln, bilden sie gute Angewohnheiten aus. So könnten sie beispielsweise den Donnerstagsabend mit ehemaligen Kommilitonen im Gasthaus verbringen oder immer dienstags mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen in die Mittagspause gehen.
Die Reflexion am Ende des Quartals schafft Transparenz und Motivation. Eine zyklische Jahresplanung, die die vier Lebensbereiche rotierend betont, stärkt die persönliche Balance. Beispiele: Im Frühjahr mit dem Rad zur Arbeit, im Sommer zweimal im Monat etwas Neues ausprobieren.
Priorisierung: Wichtiges vor Dringlichem erledigen
Die Identifikation und Analyse der verfügbaren Zeitfenster allein genügt nicht, sie müssen auch gezielt genutzt werden. Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen dringenden (zeitkritischen, oft extrinsischen) und wichtigen (zielorientierten, zumeist intrinsischen) Aufgaben, wie sie das sogenannte Eisenhower-Prinzip nahelegt. Eine bewusste Priorisierung schafft Fokus, stärkt die Selbstwirksamkeit und schützt vor dem Gefühl, fremdbestimmt zu agieren.
Priorität verdienen wichtige Aufgaben, diese sollten vor den Übergriffen von Dringlichkeiten geschützt werden. Die Gliederung des Tages in Fokus-, Puffer- und Erholungszeiten kann helfen. Basierend auf den Verpflichtungen sowie den Motivations- und Energielevels lassen sich wichtige Aufgaben am Vorabend planen und am Folgetag in den Fokuszeiten en bloc erledigen. Pro Tag sollten es nicht mehr als eine größere und zwei bis drei kleinere Aufgaben sein. Denn die erfolgreiche Zielerreichung erhält und verstärkt diese gute Angewohnheit. Zu viele Aufgaben führen zu Prokrastination, diese demotiviert und die neue Routine wird wieder verlassen. Langfristig führt das konsequente Priorisieren wichtiger Themen zu höherer Arbeitszufriedenheit und besseren Ergebnissen – beruflich wie privat.
Performanz: Funktionierende Systeme etablieren
Da das menschliche Gehirn in seiner Reflexionsfähigkeit zwar hoch entwickelt, in seiner Merkfähigkeit jedoch begrenzt ist, sind verlässliche Produktivitätssysteme essenziell. Das strukturierte Erfassen und Verarbeiten externer Inputs, von E-Mails über Notizen bis hin zu Gesprächszusagen, verhindert, dass das Dringliche dauerhaft das Wichtige verdrängt und fördert ein Gefühl von Kontrolle und Übersicht. Der letzte Schritt fokussiert auf die Umsetzungskompetenz: Wie gelingt es, in den eingeplanten Zeitfenstern fokussiert und effizient zu arbeiten?
Strukturierte Methoden wie die Pomodoro-Technik (25 Minuten fokussiertes Arbeiten, fünf Minuten Pause) erzielen spürbare Effekte. Indem Ärztinnen und Ärzte ungestörte Zeitblöcke für kognitive Kernaufgaben nutzen und so ihre Fokuszeiten defragmentieren, wird die Selbstwirksamkeit gesteigert. Auch alltägliche Aufgaben lassen sich durch klare Zeitbegrenzung effizienter bewältigen, etwa 20 Minuten konzentriertes Aufräumen mit anschließender Pause. Auch im persönlichen Alltag lohnt es sich, Routinen zu etablieren, um die Präsenz in und Qualität von zwischenmenschlichen Begegnungen zu erhöhen. Wer feste Zeitfenster für das Lesen von Nachrichten oder das Nutzen sozialer Medien festlegt, kann das Smartphone in Gesprächen mit Familie oder Freunden bewusst außer Reichweite legen. Dieses System fördert die Konzentration auf das Gegenüber, stärkt die Beziehungsqualität und reduziert unbewusste digitale Ablenkung.
Die wiederholte, sequenzielle Präparation, Planung, Priorisierung und Performanz fördert die Selbstwirksamkeit im ärztlichen Alltag. Menschen mit wirksamen Selbstmanagementstrategien sind produktiver, erleben ihre Tätigkeit als sinnerfüllter und sind seltener von beruflicher Erschöpfung betroffen.
Dtsch Arztebl 2025; 122(12): [2]
Der Autor:
Prof. Dr. med. Alexander Ghanem
Chefarzt Innere Medizin II
Kardiologie & internistische Intensivmedizin
Asklepios Klinik Nord
22417 Hamburg