
Immer wieder sind wir in der Klinik und Praxis in körperlich und mental belastenden Situationen. Viele beschreiben auch, dass sie sich ausgebrannt fühlen. Wann spricht man jedoch von Burnout? Und wie erkennt man einen Burnout-Prozess bei ärztlichen oder pflegerischen Mitarbeitenden? Erfahren Sie in diesem Artikel, wie relevant das Thema in Klinik und Praxis ist. Außerdem finden Sie zehn konkrete Tipps, welche Verhaltensweisen auf eine mögliche Burnout-Gefährdung hinweisen können – sowohl bei Ihren Mitarbeitenden als auch bei Ihnen selbst.
Wie relevant ist Burnout bei Ärztinnen und Ärzten?
In einer Studie vom Marburger Bund von 2019, bei der 2.060 Ärztinnen und Ärzte antworteten, konnte bei 86 Prozent ein Kündigungsgedanke mindestens einige Male im Jahr und bei 14 Prozent sogar mehrere Male pro Woche eruiert werden; außerdem zeigte sich, dass 35 Prozent der Befragten angaben, dass sie oft bis sehr oft Gefühle des Ausgebranntseins erlebt hätten (Marburger Bundes Landesverband Berlin/ Brandenburg, Befragung von Ärzt*innen zu ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation 2019).
Eine 2020 veröffentlichte amerikanische Übersichtsarbeit offenbart sogar, dass Burnout etwa die Hälfte der praktizierenden Ärztinnen und Ärzte betreffe (Yates S.W. Physician Stress and Burnout. The American Journal of Medicine 2020; 33(2): 160-164); auch sei ärztliches Burnout mit medizinischen Fehlern, einer geringeren Behandlungsqualität, höheren Kosten und insgesamt schlechteren Ergebnissen assoziiert.
Die Metaanalyse von Hodkinson et al. von 2022 eruierte zudem aus 170 Studien mit 239.246 Ärztinnen und Ärzten eine Assoziation von Burnout in dieser Berufsgruppe mit der Zunahme von Arbeitsplatzwechsel-Intention (Odds Ratio 3.10), Produktivitätsabnahme (Odds Ratio 1.82) und einer Zunahme von Vorfällen im Bereich der Patientensicherheit (Odds Ratio 2.04) (Associations of physician burnout with career engagement and quality of patient care: systematic review and meta-analysis. BMJ 2022; 378, open access).
Jedoch auch Pflegekräfte sind von Burnout betroffen. Der AOK Fehlzeiten-Report offenbarte, dass die Fehlzeiten in der Pflege im Jahr 2021 um ein Drittel höher waren als bei allen Versicherten und im Zusammenhang mit Burnout bei Pflegefachkräften sogar doppelt so hoch wie in anderen Berufsgruppen (AOK Pressemitteilung, Burnout-Risiko bei Pflegefachpersonen hoch, 23.08.2022).
Merke:
Burnout bei Ärztinnen und Ärzten ist assoziiert mit
• Zunahme von Arbeitsplatzwechsel-Intention (Odds Ratio 3.10),
• Produktivitätsabnahme (Odds Ratio 1.82),
• Zunahme von Vorfällen im Bereich der Patientensicherheit (Odds Ratio 2.04)
siehe Metaanalyse von Hodkinson et al. BMJ 2022
Was ist Burnout?
Burnout ist keine Krankheit, sondern ein schleichender Prozess, der zu Krankheiten führen kann. Im ICD-10-GM finden sich bei den „Personen, die das Gesundheitswesen aus sonstigen Gründen in Anspruch nehmen“ unter Z73 „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ unter anderem die Punkte "Ausgebranntsein (Burn-out)“ und „Zustand der totalen Erschöpfung“ (ICD-10-GM Version 2023).
Die Psychologin und einst Professorin für Psychologie an der University of California Christina Maslach ist eine der prägenden Forschenden im Bereich des Burnouts. Sie definierte drei Aspekte des Burnouts:
Das Vorhandensein von
- Emotionaler Erschöpfung (emotional exhaustion)
- Depersonalisierung (depersonalization) und
- Leistungsmangel / Verminderter Leistungsfähigkeit (lack of personal accomplishment).
Diese Aspekte können mit dem von ihrer Gruppe entwickelten Maslach Burnout Inventory (MBI) erfasst werden (Maslach C. et al. The Maslach Burnout Inventory Manual. Consulting Psychologists Press, 1996). Der Test ist auch in deutscher Version verfügbar (Büssing A. und Perrar K.-M. Die Messung von Burnout. Untersuchung einer deutschen Fassung des Maslach Burnout Inventory (MBI-D). Diagnostica 1992; 38(4): 328–353). Auch wenn der MBI der bisher am häufigsten in Studien eingesetzte Burnout-Test ist, gibt es mittlerweile auch weiter Assessment-Tools, wie z.B. das Burnout Assessment Tool (BAT), für das sogar klinische Normen entwickelt werden (De Beer L. T. et al. Measurement invariance of the Burnout Assessment Tool (BAT) across seven cross-national representative samples. International Journal of Environmental Research and Public Health, 17(15): 5604. Open Access).
Wie kann sich Burnout bei medizinischem Personal äußern?
Die emotionale Erschöpfung ist meist ein persönliches Gefühl, das schwer von außen gesehen werden kann. Jedoch gerade die Depersonalisierung können geübte Führungskräfte oder empathische Kolleginnen und Kollegen wahrnehmen. Diese führt zu dem Mangel, persönliche Beziehungen zu Patientinnen und Patienten, Kolleginnen und Kollegen und anderen Personen aufzubauen. Oft zeigt sich ein zynisches Verhalten mit Fokus auf das Negative. Personen im Burnout-Prozess reden häufig schlecht über andere, jedoch auch über sich selbst.
Die Leistungsminderung bzw. das Unvermögen, die eigenen beruflichen oder persönlichen Ziele zu erreichen, die gefühlte Hilflosigkeit oder Machtlosigkeit, die Situation zu ändern, kann hingegen wiederum schwerer für andere Personen sichtbar sein. Zehn Punkte, an denen wir bei ärztlichen und pflegerischen Kolleginnen und Kollegen einen Burnout leichter erkennen können, finden Sie in der Toolbox Führung.
Toolbox Führung
10 Tipps, wie Sie Hinweise auf eine Burnout-Gefährdung bei ärztlichen oder pflegerischen Kolleginnen und Kollegen erkennen:
- Häufige Zeichen im Burnout-Prozess sind Vergesslichkeit, Zerstreutheit und ein häufiges Nicht-bei-der-Sache-sein. Auffällig werden diese auch, wenn sich jemand alles akribisch aufschreibt oder mit selbstgemachten Checklisten arbeitet – besonders wenn dies zuvor keine typische Verhaltensweise der Kollegin oder des Kollegen war. Dahinter können Einschlaf- und/oder Durchschlaf-Probleme stecken. Oft spricht die betroffene Person nicht darüber, v.a. wenn dies schon zur Routine geworden ist. Lenken Sie doch mal das Thema darauf, wenn Sie z.B. selbst nicht gut geschlafen haben. Gerade, wenn Führungskräfte über die eigenen Unzulänglichkeiten reden, öffnen sich auch Mitarbeitende bezüglich eigener Probleme.
- Im Burnout-Prozess geht oftmals die Leistungsfähigkeit zurück. Aus diesem Grund wird dann häufig länger gearbeitet, um z.B. noch Arztbriefe, Befundungen oder OP-Berichte fertig zu bekommen. Erstmal wird der zusätzliche Einsatz positiv wahrgenommen, bei Ärztinnen und Ärzten in Führungspositionen meist sogar vorausgesetzt. Allerdings fehlt dadurch zunehmend die Regenerationszeit, was zu weiterem Verlust der Leistungsfähigkeit führt. Auffällig wird die Mehrarbeit durch Überstunden, z.B. dass man zusätzlich an dienstfreien Wochenenden in die Klinik oder Praxis kommt.
- Auch bei häufigeren Krankmeldungen sollte an einen Burnout-Prozess gedacht werden. Bei Dauerstress wird vermehrt Cortisol ausgeschüttet, welches das Immunsystem unterdrücken und zur vermehrten Infektanfälligkeit führen kann. Auch Symptome wie Rückenschmerzen und Verspannungen, teilweise mit Spannungs-Kopfschmerzen finden sich unter den Burnout-Vorboten. Gerade bei Pflegefachkräften sind stress-bedingte Rückenschmerzen im Burnout-Prozess schwer von denen durch den körperlichen Einsatz beim Lagern und Umbetten zu unterscheiden.
- Ein weiterer Hinweis auf Dauerstress kann eine Gewichtszunahme z.B. durch „Frustessen“, jedoch auch durch vermehrte Ausschüttung von Cortisol im Dauerstress sein. Andere nehmen ungewollt Gewicht ab, da sie sich im Burnout-Autopiloten nicht die Zeit zum Essen nehmen möchten.
- Suchtmittel wie Nikotin und Alkohol werden häufig zur vermeintlichen Kompensation des Druckes konsumiert. Beim Rauchen ist es die gesellschaftlich anerkannte und somit „gerechtfertigte“ Pause zwischendurch, während beim Alkohol zum einen der sedierende Aspekt eine Rolle spielt, jedoch auch das Ritual, den Tag entspannt abzuschließen. Da der Alkoholkonsum außerhalb der Klinik oder Praxis zum Tragen kommt, bleibt dieser Punkt oft für Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen verborgen. Achten Sie jedoch darauf, ob eine neue Whiskey-, Gin- oder andere Alkohol-Expertise berichtet wird. Die Betroffenen glauben dadurch eine gute Rechtfertigung für den Alkoholkonsum v.a. für sich selber gefunden zu haben – und diese „Expertise“ ist durchaus gesellschaftsfähig.
- Burnout-Gefährdete fühlen sich zunehmend freudloser und ziehen sich immer mehr von Kolleginnen und Kollegen zurück. Wenn Sie darauf achten, fällt Ihnen vielleicht auf, dass Betroffene gemeinsames Essen in der Stations- oder Praxis-Küche bzw. in der Klinik-Kantine vermeiden, zu Besprechungen oder Übergaben nur knapp kommen und gleich danach wieder gehen, um den persönlichen Austausch zu vermeiden.
- Dieses Zurückziehen findet sich genauso in privaten Aktivitäten. Auch hier sind für Sie vielleicht Änderungen merkbar, dass Betroffene, die zuvor von Freizeitaktivitäten am Wochenende bzw. Hobbys berichtet hatte, nun kein Interesse mehr diesbezüglich zeigen oder sich lediglich nach dem ruhigen Wochenende zuhause sehnen.
- Der Burnout-Prozess ist oft begleitet von Selbstzweifeln und mangelndem Selbstwertgefühl. Dadurch können häufig eigene Erfolge wie gelungene OPs, richtig gestellte komplizierte Diagnosen oder ähnliches nicht gesehen oder selbst wertgeschätzt werden. Es kann schwierig sein, bei Personen, die insgesamt eher bescheiden sind, diesen Hinweis zu erkennen. Vielleicht fallen Ihnen jedoch auch wirklich selbstabwertende Sätze wie „Ich kann aber auch gar nichts“ auf, was nicht mehr mit Bescheidenheit gleichgesetzt werden kann.
- Ein weiteres Zeichen für einen fortgeschrittenen Burnout-Prozess ist, wenn Mitarbeitende, Kolleginnen oder Kollegen unbequem und nörgelig werden. Sie fühlen sich z.B. ständig ungerecht behandelt, weil sie Kritik stärker wahrnehmen als Anerkennung – meist auch auf der Basis der eigenen Geringschätzung. Teilweise scheint es, als würden sie nur darauf warten, dass ihnen Unrecht getan wird oder sie kritisiert werden.
- Hinzu kommt häufig, dass Betroffene im Burnout-Prozess schneller genervt und reizbarer sind als zuvor. Sie erkennen es sehr offensichtlich am Kritisieren und Lästern über Kolleginnen und Kollegen. Manchmal schaffen sie auch eine schlechte Atmosphäre im eigenen Team oder zwischen zwei Stationen oder Abteilungen. Dasselbe kann sich auch in milder oder gesteigerter Form gegenüber Patientinnen und Patienten zeigen. Bleiben Sie bitte offen dafür, entsprechend negative Rückmeldungen auch auf einen eventuell bestehenden Burnout-Prozess hin zu evaluieren.
Hinweise auf einen Burnout-Prozess wertschätzend ansprechen
Meist holen sich Betroffene im Burnout-Prozess selbst keine Hilfe, weil sie ihren Zustand gar nicht als solchen erkennen. Desto wichtiger ist es, dass Sie als Ärztin oder Arzt in Führung Hinweise auf einen Burnout-Prozess nicht nur erkennen und ernst nehmen, sondern in ein wertschätzendes und hilfsbereites Feedback münden lassen.
Schaffen Sie hierfür gute Voraussetzungen für ein Vier-Augen-Gespräch in angenehmer Atmosphäre. Da wir Ärztinnen und Ärzte häufig körperlich und mental belastende Situationen durchleben, können Sie eingangs auch selbst von Ihrer eigenen Belastung sprechen. Das kann helfen, dass sich die betroffene Person Ihnen gegenüber öffnet. Wichtig ist auch, dass Sie sich die Erlaubnis einholen, Feedback geben zu dürfen. Das verbessert die Bereitschaft deutlich, das Gesagte tatsächlich annehmen zu können – gerade auch, wenn Sie aus dem Burnout-Prozess resultierende unangenehme oder negativ empfundene Verhaltensweisen ansprechen.
Führen Sie das Feedback-Gespräch auf Augenhöhe und mit der wertschätzenden Haltung, aufrichtige Unterstützung geben zu wollen. Formulieren Sie Hinweise, die Ihnen aufgefallen sind, aus der Ich-Perspektive („Ich habe das Gefühl, dass…“ oder „Mir scheint es, als ob Du…“). Pauschalisierungen bewirken in einer solchen Situation meist emotionalen Abstand und eine Rechtfertigungshaltung der betroffenen Person. Bitte achten Sie auch darauf, dass Sie nicht die Person, sondern nur die auffällige Verhaltensweise kritisieren (vergleichen Sie hierzu auch den Artikel „Feedbackgespräche leichter führen“). Eruieren Sie auch bei Ihrer Personalabteilung, auf welche externe Unterstützung Ihre Klinik oder Einrichtung zurückgreifen kann bzw. klären Sie für Ihre Praxis entsprechende Möglichkeiten.
Tipp:
Da der Burnout-Prozess schleichend voranschreitet, bemerken die Betroffenen häufig nicht, dass sie sich darin befinden. Daher bleiben Sie bitte auch selbst dafür offen, falls Ihnen jemand aus Ihrem privaten oder beruflichen Umfeld wertschätzend gemeint Bedenken äußert, dass Sie sich in einem Burnout-Prozess befinden könnten.
Beispiel aus der Praxis
Der leitende Oberarzt der Radiologie einer Uniklinik bekommt vermehrt Rückmeldungen von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung, jedoch auch von Patientinnen und Patienten, dass die Radiologisch-Technischen Assistentinnen und Assistenten (RTA) in der Computertomographie sehr unfreundlich wären. Besonders eine bereits seit 20 Jahren in der Klinik arbeitende RTA sei häufig zynisch, genervt und würde insgesamt für eine schlechte Stimmung sorgen.
Der Oberarzt macht sich Gedanken über die Kollegin. Ihm fällt auf, dass sie schon lange nicht mehr von ihrem Hund und den langen Wanderungen an dienstfreien Tagen erzählt hat. Außerdem hat sie im Vergleich zu früher einiges an Gewicht zugenommen und ist immer wieder krankgeschrieben. Oft sitzt sie noch lange nach ihrer Schicht, um ihre Dokumentation nachzutragen. Dabei ist sie übergenau und schimpft vor sich hin, wie ungeschickt sie sei und Schlimmeres. Im Zusammenspiel erkennt der leitende Oberarzt eine Burnout-Gefährdung und plant ein wertschätzendes Feedbackgespräch, um die RTA darauf anzusprechen.
In diesem Vier-Augen-Gespräch erklärt er, wie erschöpft er selbst aktuell aufgrund der Unterbesetzung ist. Er sehnt sich nach dem Urlaub und manchmal auch ein wenig die alte Zeit zurück. Der Arzt betont, dass sie sich ja auch schon lange kennen würden, und bittet darum, ihr Feedback geben zu dürfen. Nach ihrer noch etwas skeptischen Zustimmung formuliert der Oberarzt, dass er sich um sie sorge. Er beschreibt behutsam aus der Ich-Perspektive, was ihm an Veränderungen aufgefallen sei. Plötzlich bricht die RTA in Tränen aus, freut sich jedoch auch zugleich, dass sie verstanden wird. Es ist ihr selbst aufgefallen, wie zickig sie auch zu den Patientinnen und Patienten ist, was sie gar nicht sein möchte. Sie habe an gar nichts mehr Freude und ihr Hund würde ihr auch leidtun. Gemeinsam verabreden sie mit einer Vertrauensperson in der Personalabteilung einen Termin, um konkrete Hilfe zu bekommen.
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Expertin für Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen und begleitet Ärztinnen und Ärzte, aber auch andere Führungskräfte aus dem Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen.
Sie möchten mehr erfahren? Kontaktieren Sie die Autorin gerne zu den Themen Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen unter info@sonjaguethoff.com und melden Sie sich zur kostenlosen Online-Fortbildung in Führungs-Kompetenzen für Ärztinnen und Ärzte an unter: https://medicalleadership.onepage.me/