
Sarah Ramesh ist Dermatologin und arbeitet für das deutsche Teledermatologie-Unternehmen Dermanostic. Das Unternehmen bietet schnelle, digitale Hautarztbehandlungen über eine App an. Patientinnen und Patienten können Hautbilder hochladen und innerhalb von 24 Stunden eine ärztliche Diagnose sowie Therapieempfehlung erhalten. Im Interview berichtet Ramesh, wie sie Telemedizinerin geworden ist und warum sie nicht mehr anders arbeiten möchte.
Frau Ramesh, können Sie Ihren Werdegang kurz skizzieren?
Sarah Ramesh: Ja, gerne. Nach meinem Staatsexamen habe ich ganz klassisch in einer Uniklinik gearbeitet. Dort war ich zweieinhalb Jahre, was auch bedeutete, viele Nachtdienste zu leisten – das typische Ärzte-Leben eben. Es war eine intensive Zeit, und es war ziemlich schwierig, mein Privatleben und meine Interessen unter diesen Bedingungen zu integrieren. 2017 wechselte ich dann in eine Praxis in Köln und war dort fünf Jahre tätig. Auch hier war der Alltag fordernd, mit Arbeitszeiten teilweise von 8:30 bis 19:00 Uhr. Das Praxisleben beinhaltete viel Zeitdruck, Patientinnen und Patienten ohne Termin und Notfälle, was oft wie Fließbandarbeit wirkte. Oft hatte ich das Gefühl, den Menschen nicht gerecht zu werden.
Was hat Sie dazu bewogen, die Praxis zu verlassen und in die Telemedizin zu wechseln?
Sarah Ramesh: Die Praxiszeit war schön, aber ich sehnte mich nach einer besseren Work-Life-Balance. Als ich dann Menschen im Homeoffice sah, die sich ihre Arbeit frei einteilen konnten, fragte ich mich, warum das nicht auch für Ärztinnen und Ärzte möglich sei. Zudem bekam ich 2021 meinen ersten Hund und merkte, wie wenig Zeit ich für ihn hatte. Ich wollte einen Weg finden, Ärztin zu sein und gleichzeitig meine Interessen und mein Privatleben besser unter einen Hut zu bringen. 2022 entschied ich mich dann, etwas Neues auszuprobieren. Nach fünf Jahren in der Praxis wollte ich den klassischen Praxisbetrieb hinter mir lassen und sehen, was online möglich ist.
Und wie sind Sie schließlich bei der Telemedizin gelandet?
Sarah Ramesh: Ich hatte schon früher von Telemedizin-Anbietern wie "dermanostic" gehört, aber sie hatten lange keine Stellen ausgeschrieben. 2022 entdeckte ich dann zufällig eine Stellenanzeige von ihnen und bewarb mich sofort. Es stellte sich heraus, dass sie ihre erste Vor-Ort-Praxis eröffnen wollten, was mir die Möglichkeit gab, eine Hybridposition zu übernehmen. Anfangs war ich noch jeden Tag in der Praxis und habe zusätzlich einige Stunden pro Woche online gearbeitet. Seit Juli arbeite an zwei Nachmittagen vor Ort und den Rest der Zeit online. Für mich ist das der perfekte Kompromiss.
Wie erleben Sie die Arbeit in der Telemedizin im Vergleich zur klassischen Praxis?
Sarah Ramesh: Für mich ist die Telemedizin eine Bereicherung. Ich finde, die Qualität der Versorgung ist sogar besser. Einerseits geht die Fallbearbeitung schneller, andererseits können die Patientinnen und Patienten alles noch einmal in Ruhe nachlesen, da wir detaillierte Arztbriefe schreiben. In der Praxis haben Patientinnen und Patienten oft nur drei bis fünf Minuten Zeit mit der Ärztin oder dem Arzt, und es geht manches unter. Online können sie die Informationen in Ruhe durchlesen, wo auch immer sie gerade sind. Wir haben viele Patientinnen und Patienten, die von den Vor-Ort-Praxen zu uns wechseln, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben – Hautärzte haben ja leider oft den Ruf, schnell und oberflächlich zu arbeiten.
Welche Vorteile bietet die Telemedizin für Sie persönlich?
Sarah Ramesh: Der größte Vorteil ist die Flexibilität. Ich kann meine Arbeit besser an meinen Lebensrhythmus anpassen. Ich bin keine Person, die um 8 Uhr morgens schon voll da ist. In der Telemedizin kann ich später anfangen und dafür auch abends arbeiten, was mir sehr entgegenkommt. Zudem habe ich mehr Zeit für meinen Hund und kann sogar nebenbei eine Ausbildung im Hundetraining machen – das wäre im klassischen Praxisbetrieb unmöglich gewesen.
Wie wichtig ist der direkte Kontakt zu den Patientinnen und Patienten für Sie?
Sarah Ramesh: Sehr wichtig! Ganz auf den menschlichen Kontakt zu verzichten, könnte ich mir nicht vorstellen. Deshalb arbeite ich auch immer noch ein paar Stunden pro Woche in der Praxis. Hauterkrankungen möchte ich auch selbst sehen und mit den Patientinnen und Patienten sprechen, um ein Gefühl für sie zu bekommen. Nur Bilder zu analysieren, wäre nichts für mich. Der Hybridjob ist für mich die ideale Lösung: Ich habe weiterhin den persönlichen Kontakt, aber auch die Freiheit, mein Leben flexibler zu gestalten.
Sie haben gesagt, dass Ärztinnen und Ärzte oft unter enormem Druck stehen. Wie haben Sie das selbst erlebt?
Sarah Ramesh: Ja, das ist leider so. Der Druck wird oft einfach weitergegeben, und das führt dazu, dass sowohl Ärzte als auch Patientinnen und Patienten frustriert sind. Viele Ärztinnen und Ärzte haben das Gefühl, keine Zeit für ihre Patientinnen und Patienten zu haben und nicht wirklich helfen zu können. Das frustriert enorm, weil man ja nicht mit der Vorstellung ins Medizinstudium startet, später Patientinnen und Patienten im Minutentakt abzufertigen. Oft entsteht dieser Fließbandcharakter, der einen auslaugt. Viele steigen deshalb aus oder suchen nach Alternativen, was langfristig auch ein gesellschaftliches Problem ist, weil wir junge Ärztinnen und Ärzte verlieren.
Glauben Sie, dass die Telemedizin eine Lösung für dieses Problem sein kann?
Sarah Ramesh: Absolut. Telemedizin kann eine wichtige Ergänzung sein, die Ärztinnen und Ärzten hilft, den Beruf flexibler zu gestalten. Es gibt unterschiedliche Typen von Ärztinnen und Ärzten – einige mögen den direkten Patientenkontakt, andere fühlen sich wohler in Bereichen wie Labor oder Pathologie. Telemedizin bietet für viele die Möglichkeit, ihren Beruf flexibler auszuüben, was besonders in Hinblick auf Familienplanung oder den Wunsch nach mehr Freizeit wichtig ist. Aber natürlich ist Telemedizin nur ein Baustein und keine Komplettlösung.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen in der Telemedizin aus?
Sarah Ramesh: Ich logge mich in unser System ein, das sogenannte Dashboard, und sehe alle Fälle, die gerade anstehen. Es gibt eine Übersicht über die verschiedenen Aufgaben, die ich übernehmen kann. Momentan bin ich vor allem für Fälle von Patientinnen und Patienten der Barmer Krankenkasse zuständig. Das läuft zwar über die Teledoktor-App, aber letztlich bearbeiten wir die Hautfälle. Ich sehe also, welche Patientenanfragen eingegangen sind, und arbeite diese dann ab.
Gibt es spezielle Fähigkeiten, die man als Telemedizinerin benötigt?
Sarah Ramesh: Wir sprechen oft von „digitaler Empathie“. Viele Patientinnen und Patienten schreiben uns nicht nur ihre Symptome, sondern auch persönliche Hintergründe, wie etwa den Tod eines Angehörigen, was die Erkrankung möglicherweise ausgelöst hat. Es ist wichtig, dass man darauf eingeht und den Menschen als Ganzes sieht.
Was ist mit Kolleginnen und Kollegen, die sich unsicher fühlen in Bezug auf die Technik?
Sarah Ramesh: Viele denken, dass die Technik kompliziert ist, aber eigentlich ist es nicht schwer. Man muss kein IT-Experte sein, um das System nutzen zu können. Natürlich hilft es, ein bisschen IT-affin zu sein. Aber wir haben auch ältere Ärztinnen und Ärzte, die sich für das Konzept interessieren, obwohl sie nicht jeden Tag damit arbeiten. Es gibt sogar 90-Jährige, die die Barmer-App nutzen. Es kommt darauf an, wie offen man für Neues ist.
Gibt es einen technischen Support für den Fall, dass Probleme auftreten?
Sarah Ramesh: Ja, jeder erhält eine Einarbeitung, und man kann jederzeit über das Kommunikations-Tool Teams Fragen stellen.
Ist es möglich, das Ganze nebenbei zu machen, zum Beispiel wenn man im Krankenhaus angestellt ist und mehr arbeiten möchte?
Sarah Ramesh: Definitiv. Wir haben einen Kollegen, der seine Stunden im Krankenhaus reduziert hat und nun viel für uns arbeitet. Es gibt viele Modelle, die flexibel gestaltet sind. Eine Kollegin in Griechenland arbeitet zum Beispiel nur online, während eine andere in der Praxis arbeitet und gelegentlich online einspringt.
Glauben Sie, dass sich die Arbeitsmodelle an die flexiblen Lebensphasen der Menschen anpassen sollten?
Sarah Ramesh: Absolut! Es ist wichtig, dass sich die Arbeitsmodelle den Veränderungen in der Welt anpassen. Eine Anpassung an starre Strukturen entspricht eher nicht der heutigen Lebensweise.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Haben Sie vor, in Ihrem aktuellen Modell zu bleiben?
Sarah Ramesh: Ja, ich finde das aktuelle Arbeitsmodell perfekt für mich. Ich kann mir nicht vorstellen, wieder in eine traditionelle Praxis zurückzukehren, wo der Druck so hoch ist. Allerdings ist es auch wichtig zu erwähnen, dass Telemedizin nicht die Ärztin vor Ort komplett ersetzen kann oder soll.