Umfrage: Auf Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte wird nicht genug geachtet

5 Juni, 2023 - 13:03
Miriam Mirza
Kranke und erschöpfte Ärztinnen und Ärzte

Der Beruf der Ärztin bzw. eines Arztes beschäftigt mit der Behandlung und Gesunderhaltung von Menschen. Gleichzeitig gehört er zu den besonders gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten. Denn auf der einen Seite muss mit emotionalen Herausforderungen wie dem Umgang mit dem Tod, Sterben und Misserfolgen in einem Arbeitsklima, das von stark hierarchischen und auf Einzelkämpfertum ausgerichtet ist, umgegangen werden. Andererseits ist der Beruf aufgrund von Schlafmangel, Dauerstress und regelmäßig abzuleistenden Überstunden auch körperlich anstrengend.

Die zunehmende Ökonomisierung der Medizin, der ständige Kostendruck, die fortschreitende Arbeitsverdichtung und Bürokratisierung reduzieren die Zeit bei den Patientinnen und Patienten und führen zu einem Gefühl der Fremdbestimmung. Zusammengenommen bilden diese Faktoren einen Nährboden für zahlreiche Erkrankungen wie Burnout, Depression oder Suchterkrankungen.

Trotz eines hohen Leidensdrucks bei Medizinerinnen und Medizinern passiert in Sachen Gesunderhaltung bisher noch nicht viel. Darum hat sich der Arbeitskreis junge Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund der Sache angenommen und in diesem Zusammenhang eine Umfrage unter 850 Assistenzärztinnen und -ärzten durchgeführt. Mit erschreckendem Ergebnis: In unserem Gesundheitssystem wird der Ärztegesundheit keine große Aufmerksamkeit geschenkt.

Überlastung und Dauerstress setzen Ärztinnen und Ärzten zu

Die Befragung zeigt deutlich, wo die Probleme liegen: Ärztinnen und Ärzte sind psychisch und physisch oft überlastet. Der Grund ist das hohe Arbeitsaufkommen. 89,53 Prozent der Befragten gaben an, üblicherweise mehr Stunden pro Monat zu arbeiten als es ihrem Stellenanteil entspricht – und das, obwohl nur fast die Hälfte der so genannten Opt-out-Regelung zugestimmt hat. Diese Regelung bietet Arbeitgebern und Beschäftigten die Möglichkeit, eine individuell höhere Wochenarbeitszeit zu vereinbaren, als die im Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen 48 Stunden.

Auf die Bedürfnisse der Ärztinnen und Ärzte wird in vielen Fällen keine Rücksicht genommen. Nach wie vor werden Überstunden in etwa einem Viertel der Krankenhäuser nicht erfasst und ein signifikant großer Anteil – mehr als 40 Prozent – der Umfrageteilnehmenden kann sich zudem nicht auf ihre Dienstplanung verlassen. 13,76 Prozent kann noch nicht einmal davon ausgehen, dass die Urlaubsplanung eingehalten wird.

Ein besonderes gravierendes Problem ist, dass in den Häusern keine Konzepte vorhanden sind, mit denen Dienstausfälle von Kolleginnen und Kollegen abgefedert werden können. Fast alle Medizinerinnen und Mediziner (mehr als 95 Prozent) hatten auf die Frage nach dem Vorhandensein mit einem „nein“ geantwortet. Folgerichtig arbeiten 66 Prozent der Teilnehmenden in ihren Abteilungen praktisch dauerhaft am Limit. Um dem Dauerstress zu entkommen, plant jeder bzw. jede zweite eine Reduzierung des eigenen Stellenanteils, um wieder auf ein gesundes Arbeitspensum zu kommen. Das würde allerdings unser Gesundheitswesen völlig überlasten, weil damit zu wenig Ärztinnen und Ärzte im System sind.

Nachlässiger Umgang mit eigener Gesundheit

Doch auch der gesundheitsfördernder Umgang der Ärzteschaft mit der eigenen Gesundheit ist ausbaufähig. Über 45 Prozent der Befragten haben bisher keinen Hausarzt oder eine Hausärztin. Die angegebenen Gründe dafür sind verschieden: Von zu wenig Zeit, sich einen Hausarzt oder eine Hausärztin zu suchen, der Glaube, keine ärztliche Unterstützung zu brauchen bis hin zu niemand geeignetes finden zu können. Kritisch zu bewerten ist, dass mehr als die Hälfte (52,47 Prozent) zur Selbstmedikation greift.

Medizinerinnen und Mediziner gehen immer wieder über die eigenen Grenzen und arbeiten beispielsweise auch, wenn sie krank sind. Fast 40 Prozent geben zu, schon häufig trotz Krankheitsgefühl gearbeitet zu haben – bei mehr als 10 Prozent kam dies sogar schon sehr häufig vor. Die Befragten tun das aus Pflichtgefühl und weil sie die Kolleginnen und Kollegen nicht im Stich zu lassen wollen, die dann noch mehr Arbeit leisten müssen. Arbeiten unter Dauerstress, im Krankheitsfall und ohne Auszeiten – damit schaden sich die Ärztinnen und Ärzte nicht nur selbst, sondern bringen auch ihre Patientinnen und Patienten in Gefahr, denn so sind Fehler vorprogrammiert. Es braucht einen systematischen Wechsel. Wenn der nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass immer mehr Medizinerinnen und Mediziner ans Aufhören denken und dem Gesundheitssystem verloren gehen.

Die Befragten wünschen sich eine verlässliche Dienstplanung, ausreichend Personal, geregelte Arbeitszeiten, strengere Arbeitszeitkontrollen, Delegation nicht-ärztlicher Tätigkeiten und einen klugen Einsatz der Digitalisierung. Darüber hinaus braucht es einen wertschätzenden Umgang innerhalb des Kollegiums, weniger Bürokratie und die Möglichkeit einer regelmäßigen Mittagspause entsprechend dem gesetzlichen Anspruch. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, sind sich Befragten sicher, ihre Arbeit in Zukunft wieder zufrieden und langfristig auch gesund ausführen zu können.

Was ist Salutogenese?

Der Begriff „Salutogenese“ wurde von dem Soziologen Aaron Antonovsky geprägt. Darunter versteht man den individuellen Entwicklungs- und Erhaltungsprozess von Gesundheit. Diesem Konzept folgend ist Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen.

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