Ärztegesundheit: „Wir müssen uns um unsere Kolleginnen und Kollegen kümmern!“

3 Mai, 2021 - 07:27
Stefanie Hanke
Erschöpfte junge Ärztin im Krankenhausflur
Ein großer Teil der gesundheitlichen Probleme von Ärztinnen und Ärzten hat psychische Ursachen.

Ärztinnen und Ärzte kümmern sich um die Gesundheit anderer Menschen. Aber was ist, wenn sie bei der Arbeit selbst krank werden? Dr. Bernhard Mäulen vom Institut für Ärztegesundheit erklärt im Interview, welches die größten Gesundheitsrisiken des Arztberufs sind und was dabei hilft, gesund zu bleiben.

Herr Dr. Mäulen, welchen gesundheitlichen Risiken sind Ärztinnen und Ärzte denn in ihrem Arbeitsalltag ausgesetzt?

Dr. Bernhard Mäulen: Da müssen wir verschiedene Risikotypen unterscheiden: Einmal die körperlichen Risiken: Dazu zählen das Infektionsrisiko, Allergien oder Nadelstichverletzungen. Auf der anderen Seite gibt es die gesundheitlichen Risiken, die häufig durch Stress entstehen – das sind beispielsweise Depressionen, Burnout, Tinnitus und Blutdruckerhöhung. In den vergangenen Jahren ist noch ein dritter Risikotyp hinzugekommen: Das sind Verletzungen durch gewalttätige Übergriffe von Patienten und Angehörigen. Das gab es früher weniger.

Welche Rolle spielen psychische Gefährdungen im Arztberuf?

Dr. Bernhard Mäulen: Seelisch gibt es schon länger Hinweise auf eine erhöhte Burnout-Rate bei Ärztinnen und Ärzten. Dazu kommt auch ein höheres Suchtrisiko, vor allem in Bezug auf Alkohol, und eine deutlich erhöhte Suizidrate, von der Ärztinnen häufiger betroffen sind als Ärzte. Außerdem besteht schon im Medizinstudium eine erhebliche Gefahr, eine Depression zu entwickeln – das gilt auch später für Assistenz- und Fachärzte.

Das klingt so, als wäre es ein gefährlicher Beruf…

Dr. Bernhard Mäulen: Vor allem ist es natürlich ein sehr schöner Beruf, den viele Ärzte und Ärztinnen leidenschaftlich gern ausüben. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass es sich nicht um einen entspannten Bürojob mit geregelten Arbeitszeiten handelt. Es ist ein aufreibender Beruf; das ist eigentlich auch allen klar. In vielen Bereichen, beispielsweise im Rettungsdienst, gehen die Kolleginnen und Kollegen dieses Risiko auch sehr bewusst ein. Was aber zunehmend in die Kritik gerät, ist die strukturelle Überbelastung, durch die zusätzliche gesundheitliche Risiken entstehen.

Welche Entwicklung sehen Sie da?

Dr. Bernhard Mäulen: Einige Dinge haben sich in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich auch verbessert. Beispielsweise gelten jetzt strengere Arbeitszeitregelungen als früher. Ich gehöre noch zu einer Generation, wo man locker von Freitagmittag bis Montag durchgängig Dienst hatte. Diese 72-Stunden-Dauerdienste gibt es heute so gut wie nicht mehr. Dafür hat der Aufwand durch Bürokratisierung stark zugenommen: Inzwischen wird etwa ein Drittel der ärztlichen Arbeitszeit für Dokumentation und andere Schreibtischarbeiten verwendet. Viele Ärztinnen und Ärzte, die sowieso unter Stress stehen, erleben das als verlorene Zeit. Über die Arbeit mit Patienten wird das so gut wie nie gesagt – selbst wenn heute natürlich auch jeder Arzt mehr Patienten betreut. Die Patienten werden einfach schneller aus dem Krankenhaus entlassen. Durch die Arbeitsverdichtung sind auch viele Freiräume verschwunden, zum Beispiel, um mit Kollegen zu diskutieren und etwas im kurzen Gespräch nachzufragen. Den ökonomischen Druck spüren heute schon Assistenzärzte – das war früher nicht so.

Heißt das, dass der Großteil der gesundheitlichen Risiken für Ärztinnen und Ärzte psychische Ursachen hat?

Dr. Bernhard Mäulen: Nach meiner Einschätzung sind etwa zwei Drittel der gesundheitlichen Probleme bei Ärztinnen und Ärzten psychisch bedingt, ein Drittel hat körperliche Ursachen. Auch heute gibt es noch etliche Berufskrankheiten, die sich Mediziner bei der Arbeit zuziehen können. Das kann beispielsweise eine Hepatitis-Infektion sein. Pro Jahr verlieren wir außerdem etwa einen bis drei Notärzte bei Unfällen mit Rettungswagen oder -hubschraubern.

2019 war die Ärztegesundheit Schwerpunktthema beim Deutschen Ärztetag. Wird dem Thema inzwischen genug Beachtung geschenkt?

Dr. Bernhard Mäulen: Nach meiner Wahrnehmung wird bei uns in Deutschland etwa seit Beginn der 1980er-Jahre überhaupt über Ärztegesundheit gesprochen – unsere Studienergebnisse zu suchtkranken Ärzten wurden damals beispielsweise zunächst von mehreren Fachpublikationen abgelehnt. Jetzt ist der Umgang mit diesen Themen sehr viel offener – das hat aber Jahrzehnte gedauert. 2009 kam das Buch „Report Versorgungsforschung – Band 2“ zu den Arbeitsbedingungen von Ärztinnen und Ärzten heraus. Da wurden Themen wie Mobbing, Schichtbelastung, Lebensqualität, Suizidalität erstmals in dieser Vollständigkeit in Deutschland thematisiert. Darauf baut auch das Schwerpunktthema beim Ärztetag 2019 noch auf. Für mich war das ein großer Erfolg, der aber auf jahrzehntelanger Vorarbeit beruht. Mittlerweile ist das Thema stark im Bewusstsein verankert. Dazu trägt sicher auch der Ärztemangel bei: Wenn wir junge Mediziner für den Beruf begeistern wollen, müssen sich die Arbeitsbedingungen ändern.

Sie haben das Institut für Ärztegesundheit gegründet. Warum engagieren Sie sich in diesem Bereich?

Dr. Bernhard Mäulen: Ein Studienfreund hat kurz nach dem Staatsexamen Suizid begangen. Das hat mich tief betroffen. Seither beschäftige ich mich mit der Gesundheit des Gesundheitspersonals. Denn das Motto „Patient gerettet – Arzt beschädigt“ ist ja auch nicht sinnvoll. In den USA habe ich dann an Konferenzen zum Thema teilgenommen, als es dazu in Deutschland noch nichts gab. Dort habe ich viel gelernt. Auf der Internetseite des Instituts für Ärztegesundheit stelle ich viele Fachartikel zur Verfügung. Ich will niederschwellige, wissenschaftlich fundierte Informationsangebote für die Kolleginnen und Kollegen bieten. Denn Ärzte neigen dazu, sich viel zu spät Hilfe zu suchen, wenn es ihnen selbst schlecht geht.

Ärztinnen und Ärzte wissen sehr viel über gesundheitliche Themen. Wirkt sich dieses Wissen auch auf die Lebensweise aus?

Dr. Bernhard Mäulen: Dazu gibt es klare Daten. Erstmal gilt, dass Ärztinnen und Ärzte sehr häufig nicht selbst tun, was sie ihren Patienten raten. Trotzdem stehen Ärztinnen und Ärzte bei Themen wie dem BMI, Nichtrauchen, Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen besser da als die Durchschnittsbevölkerung – auch die Lebenserwartung ist mehrere Jahre höher. Wir sind aber immer noch weit entfernt von einem gesundheitlich optimalen Lebensstil: Sie können auf keinen Mediziner-Kongress gehen, wo Sie nicht auch etlichen Rauchern und Übergewichtigen begegnen.

Wie kommt es zu dieser Diskrepanz?

Dr. Bernhard Mäulen: Zum einen halten wir uns fälschlicherweise für unverwundbar – das ist eine gefährliche Fehleinschätzung. Zum anderen haben wir einen tendenziell ungesunden Beruf. Bei den durchschnittlichen Arbeitszeiten geht einiges an Freizeit verloren, die dann beispielsweise für Sport fehlt. Das Krankenhausessen ist zum Glück in vielen Kliniken etwas besser geworden – da gibt es immerhin inzwischen oft mindestens ein gesundes Gericht. Das ist natürlich auch ein Faktor – wer den ganzen Tag in der Klinik arbeitet, ist darauf angewiesen, was es dort zu essen gibt.

Wie gehen Ärztinnen und Ärzte selbst mit Krankheit um? Sind sie eher gute oder eher schlechte Patienten?

Dr. Bernhard Mäulen: Ärztinnen und Ärzte suchen sich meistens erst dann medizinische Hilfe, wenn sie wirklich nicht mehr anders können und kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Zunächst behandeln sie sich selbst, sind dabei aber nicht konsequent. Medikationen werden beispielsweise eigenmächtig verändert. Viele haben gar keinen Hausarzt. In den USA bekommen die Studierenden beigebracht: Selbstbehandlung ist ein Kunstfehler, weil man sich selbst gegenüber nicht objektiv sein kann. Außerdem lassen sich die Kolleginnen und Kollegen nur selten darauf ein, wenn man ihnen verordnet, mal kürzer zu treten. Eine vernünftige Krankschreibung, die auch durchgehalten wird, ist fast die Ausnahme. Die Begründung ist dann meistens, dass die Betroffenen ihr Team nicht alleinlassen können. Uns wird ja eher abtrainiert, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich behandle selbst viele Kollegen. Und oft sage ich ihnen, dass sie sehenden Auges auf eine Katastrophe zusteuern – aber das bleibt viel zu oft ohne Folgen. Das alles macht Ärztinnen und Ärzte insgesamt zu schlechten, schwierigen Patienten.

Haben Sie Tipps für die Kolleginnen und Kollegen, wie sie besser auf ihre Gesundheit achten können?

Dr. Bernhard Mäulen: Solche Dinge wie mehr Selbstfürsorge und Entschleunigung wären natürlich für alle gut – die, die es wirklich brauchen, erreicht man aber mit solchen Tipps nicht. Ein Vorschlag wäre, sich bei der nächsten Grippe krankschreiben zu lassen. Die meisten Kolleginnen und Kollegen arbeiten ja auch mit Fieber weiter. Stattdessen sollten sie mindestens zwei bis drei Tage wirklich konsequent zu Hause bleiben und sich selbst beobachten: Wie geht es mir mit meinem kranken Körper? Halte ich das aus? Oder habe ich Schuldgefühle, wenn die Kollegen meinetwegen mehr arbeiten müssen? Und ein anderer, ganz wichtiger Hinweis: Verschreiben Sie sich selbst keine Medikamente – vor allem keine Schmerz-, Schlaf- oder Beruhigungsmittel. Die Gefahr einer Abhängigkeit ist einfach zu groß.

Der Experte:

Bernhard Mäulen

Dr. Bernhard Mäulen ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Suchtmedizin. Er ist Gründer und Leiter des Instituts für Ärztegesundheit in Villingen-Schwenningen.

Mehr Informationen und Kontakt: www.aerztegesundheit.de

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