
Die Vier-Tage-Woche, ein schöner, aber unerreichbarer Traum für Mitarbeitende im Krankenhaus? Nicht unbedingt, wie das Klinikum Fürth nun nach einem erfolgreichen Pilotprojekt beweist. Chefarzt Prof. Dr. Christoph Raspe erzählt, warum er so zufrieden mit der innovativen Änderung ist.
Herr Prof. Raspe, können Sie das Vier-Tage-Woche-Projekt kurz vorstellen?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Durch eine Mitarbeiterbefragung wurde der Wunsch nach der Vier-Tage-Woche deutlich. Nach einer Machbarkeitsanalyse haben wir uns dann gesagt „Versuchen wir es!“ Der Personalrat, die Personalabteilung und das Team entwickelten verschiedenste Arbeitszeiten und testeten diese in einem sechsmonatigen Pilotprojekt im Zentral-OP. Die Vier-Tage-Woche ist nämlich dafür prädestiniert, denn man hat dort von Montag bis Freitag in der Kernarbeitszeit eine extreme Arbeitsverdichtung und -belastung, weil dann die geplanten OPs stattfinden, zudem aber noch ungeplante Eingriffe und Notfälle dazukommen. Das kann in der normalen Arbeitszeit häufig gar nicht funktionieren. Oft mussten die Mitarbeitenden deshalb Überstunden machen, ein pünktlicher Feierabend war häufig nicht realisierbar. Das sind natürlich alles klassische Bedingungen, die zu Unzufriedenheit im Team führen.
Wie hat das geklappt?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Sehr gut. Die Mitarbeitenden finden es super. Es fallen weniger Überstunden an und ein pünktlicher Feierabend ist realisierbar. Dieses neue flexible Arbeitszeitmodell führte außerdem dazu, dass es einen signifikanten Anstieg an Bewerberinnen und Bewerbern gab und somit alle Stellen besetzt sind. Dies führt natürlich wiederum zu einer Reduktion der Arbeitsbelastung jedes einzelnen Mitarbeitenden.
Die Vier-Tage-Woche hat außerdem den Vorteil, dass die Verdichtung im OP aufgelockert wird, weil die Mitarbeitenden an den vier Tagen länger arbeiten, um dann den fünften Wochentag aber dafür komplett frei zu haben. Die Wochenarbeitszeit bleibt also gleich, verteilt sich nur auf vier statt fünf Tage. Zudem werden alle tarifvertraglichen und arbeitszeitsgesetzlichen Vorgaben eingehalten. Somit können die geplanten und ungeplanten OPs sowie Notfälle besser versorgt werden. Hierfür ist natürlich die Organisation eines smarten Dienstplan notwendig.
Was sind weitere Vorteile für Mitarbeitende?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Durch eine Mitarbeiterbefragung wurde klar, dass die gefühlte Belastung in der Vier-Tage-Woche insgesamt niedriger ist, und dass sogar auch an den längeren Tagen, weil die Arbeit geplant und somit entspannter verrichtet werden kann. Zudem quälen nicht diese permanenten Bedenken wie z.B. „…ich komme bestimmt nicht pünktlich raus, welche Alternative habe ich, um mein Kind in der Kita abzuholen?“ Ich sehe heute viel entspanntere Gesichter, weil die Mitarbeitenden jetzt sagen können: „Ich bleibe heute geplant länger und mache in Ruhe meine Arbeit, morgen habe ich dafür den ganzen Tag frei“ Das nimmt unglaublich viel Druck aus dem System. Für uns im OP ist das ein großer Segen. Ein weiterer Vorteil ist, dass manche Mitarbeitende weite Strecken zu uns fahren und durch eine eingesparte Fahrt wöchentlich Zeit und Spritgeld sparen.
Welche positiven Signale gibt es für die Klinik?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Durch die Umstellung haben wir an Attraktivität gewonnen. Das sieht man daran, dass zunehmend mehr Bewerbende sich auf die Vier-Tage-Woche beziehen. Das ist super, weil wir dadurch alle Stellen besetzen können. Wir haben sogar in einigen Bereichen Wartelisten für Bewerberinnen und Bewerber.
Wie ging es eigentlich los?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Im Rahmen von Teamsitzungen wurde das Thema „Vier-Tage Woche“ aus dem Team heraus angesprochen. Wir haben alles analysiert und das Ergebnis war, dass es eine hohe Befürwortung des Projekts gab.
Gab es auch Bedenken und welche?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Anfangs sind bei jedem Change-Prozess einige Mitarbeitende distanziert und denken: „Was ist das denn jetzt? Eine Vier-Tage-Woche geht vielleicht in einem Betrieb, aber doch nicht in einem Krankenhaus.“ Es gab beispielsweise die Angst, dass sich das Team spaltet, zwischen denen, die mitmachen können und den, die weiterhin in der Fünf-Tage-Woche arbeiten. Aber es ist das Gegenteil eingetreten, alle Mitarbeitenden haben von der Vier-Tage Woche profitiert, auch die Kolleginnen und Kollegen, die weiterhin in der Fünf-Tage-Woche arbeiten. Warum? Wenn eine OP länger dauert oder ein Notfall kommt, springt mit dem neuen Arbeitszeitmodell jemand ein, der an diesem Tag einen geplanten langen Tag hat. Der „Fünf-Tage“-Kollege kann daher pünktlich nach Hause gehen.
Waren Sie die ersten in Deutschland, die das im OP probiert haben? Gibt es Nachahmer?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Als wir das Projekt inszenierten, wussten wir das nicht, merkten aber bald: „Wow, wir sind wirklich die ersten im OP-Bereich“. Ich glaube schon, dass unser Projekt Schule macht und viele Krankenhäuser das umsetzen werden. Wir bekommen wahnsinnig viele Anfragen. Im Klinikum waren auch schon Radiosender und auch das Fernsehen zu Besuch. Aber nicht nur von der Presse, sondern auch von anderen Krankenhäusern kommen Anfragen.
Ist der administrative Aufwand für so ein neues System sehr groß?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Die neue Arbeitszeit muss natürlich wie jedes andere Dienstmodell beantragt werden. Es ist eher eine dienstplanerische Aufgabe, und die obliegt den Führungskräften im Team. Bei den Dienstplanern gab es vorher Sorgen, ob die Vier-Tage-Woche wirklich planbar sei. In der Umsetzung wurden die Sorgen aber nicht bestätigt. Wir haben zwölf OP-Säle und ein entsprechend großes Team. Und wenn davon ausreichend viele Leute an dem Projekt teilnehmen, hat man eine gute Ausfallkompensation.
Haben alle Mitarbeitenden die freie Wahl?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Ja, es ist eine individuelle Entscheidung. Das ist auch ganz wichtig, weil es Mitarbeitende gibt, die zum Beispiel ihr Kind um 15:45 Uhr abholen müssen und nicht einfach an vier Tagen länger arbeiten können. Man kann das nicht als Gruppe beschließen, sondern jeder muss das für sich festlegen. Anders funktioniert es nicht.
Wer entscheidet, ob so ein Projekt auf die Beine gestellt werden darf?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Verschiedene Beteiligte: Der Personalrat ist ein wichtiger Baustein, genauso wie der Vorstand und die Personalabteilung. Es bedarf auch eines gewissen Mutes der Führungskräfte, „Neues zu wagen“. In den Teamleitungen muss es gutes Personal geben, die die Kolleginnen und Kollegen mitnehmen. Ein vernünftiger Teamspirit ist unverzichtbar.
Wie fällt nach sechs Monaten das Resümee aus?
Prof. Dr. Christoph Raspe: Es ist eine Win-win-Situation für alle Mitarbeitenden und auch das Klinikum. Aber es gibt auch eine Verbesserung für die Patientinnen und Patienten, da wir die Absagequote bei Operationen reduzieren konnten. Und wir haben durch die zunehmenden Bewerberinnen und Bewerber erreicht, dass wir alle OPs besetzen können. Das ist nicht normal in Deutschland. Dazu kommt: Es ist wichtig, nach einer extremen Situation wie einer OP in ein lachendes Gesicht eines Pflegers oder einer Ärztin zu sehen, die eben auch selber zufrieden sind.
Schlussendlich kam es auch bei den Mitarbeitenden zu einem klaren Votum für die Fortführung des Projekts. Deswegen haben wir das Projekt jetzt entfristet. Wir sind damit sehr happy und auch ein bisschen stolz.