
Zu kurze Einarbeitungszeiten, fehlende Unterstützung und Überforderung: Der Einstieg in die Intensivmedizin stellt junge Ärztinnen und Ärzte vor enorme Herausforderungen. Doch gerade hier gilt es, eine hochqualifizierte Patientenversorgung sicherzustellen. In einem Positionspapier der Jungen DIVI, einer Initiative der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), gibt sie zehn Empfehlungen, die die Einarbeitung verbessern sollen.
Eine Umfrage der Jungen DIVI aus dem Jahr 2023 zeichnet ein düsteres Bild der Intensivmedizin: Gerade einmal 17 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte fühlen sich nach der Einarbeitung auch wirklich auf die Arbeit in der Intensivmedizin vorbereitet. Außerdem gaben zwei Drittel an, dass bei ihnen kein Einarbeitungskonzept vorhanden sei. Nur zwölf Prozent hatten einen Clinical Mentor. Die durchschnittliche Einarbeitungszeit für Intensivmedizinerinnen und -mediziner liegt laut Umfrageergebnisse bei sieben Tagen. An der Umfrage beteiligten sich insgesamt 554 Personen, davon 370 Ärztinnen und Ärzte und 184 Pflegefachpersonen.
Die zu kurze Einarbeitungszeiten und die mangelnde Unterstützung, was beides oft aufgrund fehlenden Personals geschieht, führt häufig zu einer Überforderung im Berufsalltag. Etwa die Hälfte der befragten Ärztinnen und Ärzte (49 Prozent) empfindet oft so. Angesichts der zunehmenden Komplexität in der Intensivmedizin fordert die Junge DIVI nun dringend Veränderungen.
Zehn Empfehlungen zur Einarbeitung in der Intensivmedizin
Zu diesem Zweck hat sie ein interdisziplinäres Positionspapier erarbeitet, das zehn konkrete Empfehlungen zur Verbesserung der Einarbeitung in der Intensivmedizin formuliert. Ziel ist es, alle neuen Teammitglieder optimal in den klinischen Alltag zu integrieren und langfristig die Qualität der Patientenversorgung und die Mitarbeiterzufriedenheit zu sichern.
Die zehn Empfehlungen des Positionspapiers im Überblick:
- Längere Einarbeitungszeit
Die Einarbeitung auf der Intensivstation sollte mindestens 3 Monate dauern, um sicherzustellen, dass neue Ärztinnen und Ärzte ausreichend Zeit haben, sich mit den komplexen Anforderungen vertraut zu machen. Die Dauer kann je nach bereits bestehenden Erfahrungen variieren, aber eine gründliche Einarbeitung ist unerlässlich, um die Qualität der Patientenversorgung zu gewährleisten.
- Strukturierte Einarbeitungskonzepte
Durch ein klinikspezifisches Einarbeitungskonzept kann die Einarbeitung strukturiert und transparent nachvollzogen werden. Die Junge DIVI empfiehlt, das Konzept noch vor der eigentlichen Einarbeitung bereitzustellen.
- Mentoring
Es ist sinnvoll, dass die Einarbeitung von einem fest zugeordneten Mentor oder Mentorin begleitet wird. Diese sollten neben Fachwissen auch über Geduld, Ausdauer, organisatorische Qualitäten und motivierende Persönlichkeitsmerkmale verfügen, was zu einer kontinuierlichen und effektiven Einarbeitung führt.
- Regelmäßige Gespräche
Ratsam sind neben Mentoren ebenso regelmäßige Gespräche, also Vor-, Antritts-, Zwischen- und Abschlussgespräche. Diese dienen nicht nur dazu, gegenseitige Erwartungen abzugleichen und Feedback zu geben, sondern auch, um Möglichkeiten der Fokussierung und Anpassung der Einarbeitung zu bieten. Die Gespräche sollten in einer ruhigen und vertrauensvollen Atmosphäre stattfinden, um eine offene Kommunikation zu fördern.
- Vermittlung und Vertiefung intensivmedizinischen Basiswissens
Zu Beginn der Tätigkeit können die theoretischen und praktischen Vorkenntnisse der Ärztinnen und Ärzte variieren. Deswegen ist es sinnvoll, während der Einarbeitung intensivmedizinische Basiskenntnisse sowie ethische und rechtliche Aspekte zu vermitteln. Dazu strukturierte Fortbildungsformate eingesetzt werden.
- Erwerb praktischer Kompetenzen
Die Einarbeitung sollte einen Fokus auf die praktische Durchführung von Tätigkeiten zur eigenständigen Betreuung und Versorgung kritisch kranker Patientinnen und Patienten legen. Hier hilft eine regelmäßige Kommunikation zwischen Mentor oder Mentorin und dem oder der Einzuarbeitenden, welche Handlungskompetenz bereits erreicht ist, um Überforderungsgefühlen vorzubeugen.
- Arbeits- und Verantwortungsbereiche vermitteln
Neue Ärztinnen und Ärzte sollten die spezifischen Strukturen der Intensivstation kennenlernen. Dazu zählen nicht nur Dienstplan- und Urlaubsgestaltung, Zugang zu Räumlichkeiten und Arbeitskleidung, sondern auch Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sowie Maßnahmen zur Steigerung der Patientensicherheit.
- Interprofessionelle Simulations- und Notfalltrainings
Interprofessionelle Simulations- und Notfalltrainings sowie Skilltrainings und Hospitationen können sicheres Handeln gewährleisten und die Zusammenarbeit im Team stärken. Außerdem sorgen sie für bilaterales Verständnis zwischen ärztlichem und Pflegepersonal und stärkt einen wertschätzenden, respektvollen und interprofessionellen Umgang.
- Förderung psychischer Gesundheit
Intensivmedizinisches Personal hat ein hohes Risiko für psychische Erkrankungen. Um dem vorzubeugen, sollten Kliniken Strukturen zur Förderung und zum Erhalt psychischer Gesundheit etablieren. Darüber hinaus sollte es Ansprechpartner und Unterstützungsmöglichkeiten im Fall einer akuten Belastungssituation geben, die dem Personal erläutert werden und leicht zugänglich sind.
- Stete Evaluierung der Einarbeitung
Eine gute Einarbeitung sorgt für Qualitätssicherung in der Versorgung. Damit das so bleibt, sollte die Einarbeitung regelmäßig evaluiert und durch Erkenntnisse aktueller Evidenz ergänzt werden. Das sorgt für eine didaktische und methodische Weiterentwicklung der Einarbeitungskonzepte.
„Sicherlich kann unser Positionspapier als Vision gelten“, sagte Dr. Matthias Deininger, Sprecher der Jungen DIVI, Anästhesiologe an der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care der Uniklinik Aachen. Auch wenn nicht alle Empfehlungen aufgrund von Finanzierungen oder Personalausstattung von jetzt auf gleich umgesetzt werden könnten, wolle die Junge DIVI das Thema in den Fokus rücken. „Mit jedem, mit dem wir als Junge DIVI ins Gespräch kommen, landen wir irgendwann bei dem Thema Einarbeitung. Es ist beeindruckend und erschreckend zugleich, mit welcher Vehemenz wir das Thema zugeschoben bekommen haben! Nach dem Motto: Macht doch endlich mal was!“, betonte Dr. David Josuttis, Assistenzarzt in der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerzmedizin am BG-Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin. Das wichtigste Ziel des Positionspapiers sei es, die Einarbeitung zu verbessern und die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern, auch zum Wohle einer hochqualitativen Patientenversorgung. Zu Beginn der Arbeit seien viele noch erfüllt von Enthusiasmus – den müsse man dringend erhalten und nähren.
Quelle: DIVI