
Eine Klinik tief im grünen Herzen eines der großen Thüringer Wälder: In Eisenberg wird die Genesung durch Wohlbefinden gefördert. Doch wie wirkt sich ein solches Konzept auf die ärztliche Arbeit aus? Dr. Chris Lindemann erzählt aus seinem Alltag in einem Krankenhaus mit Modellcharakter.
Die Waldklinik in Eisenberg ist Europas größte universitäre Orthopädie – und zudem eine kleine Berühmtheit. Sie ging sogar schon häufig durch die Medien. Grund: Hier wird Patientinnen und Patienten aller Kassen ein modernes, prämiertes Krankenhauskonzept mit beeindruckender Architektur geboten. Sie sollen und können sich dort fast wie im Urlaub fühlen. Aber wie ist es, hier zu arbeiten?
Der Orthopäde und Unfallchirurg Chris Lindemann erzählt: „Es macht großen Spaß, zu sehen, dass es den Patientinnen und Patienten bei uns so gut gefällt. Wir bekommen von ihnen ein sehr positives Feedback, übrigens auch von den Studierenden aus Jena, die hier Kurse belegen. Und ehrlich gesagt, arbeite ich selber ja auch lieber in einer schönen Umgebung.“ Dabei gerät der Mediziner durchaus ins Schwärmen, wenn er über seinen Arbeitsplatz spricht: „Im Sommer ist das Bettenhaus lichtdurchflutet. Im Winter brennt dort der Kamin und es knistert gemütlich. Wir sind natürlich vor allem ein Zentrum für Orthopädie, aber in der Tat macht es auch auf mich oft den Eindruck, in einem Hotel zu arbeiten.“
Avantgarde im Krankenhaus
Ausgedacht hat sich das im September 2020 fertiggestellte kreisrunde Bettenhaus der renommierte Architekt Matteo Thun aus Mailand. Für den durch viele Hotelentwürfe bekannten Italiener war das Krankenhaus eine Premiere. Am Ende entstand ein Gebäude mit 246 Betten – und das war mit Baukosten von 62,5 Millionen Euro für ein Projekt dieser Größenordnung gar nicht mal so teuer. Damals war bereits klar, dass Thun damit in Deutschland neue Wege im Krankenhausdesign betrat. Zur Einweihung gab es viel positive Resonanz, unter anderem vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn bis zu Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow.
Alles in der neuen Klinik wurde nach ästhetischen Kriterien angelegt. Nicht zuletzt erzeugt die Nutzung des Naturmaterials Holz eine wohltuende Atmosphäre. Rund um das Bettenhaus stehen junge Eichen, die Fassade des Gebäudes ist aus Lärchenholz. Zu all diesen Highlights kommt eine vielleicht überraschende Tatsache: Hier handelt es sich nicht um eine Privatklinik, sondern um ein kommunales Haus, das hauptsächlich Kassenpatienten zu Gute kommt – es gibt aber auch zehn Privatzimmer.
Healing Environment
Auch die Patientenzimmer haben einen hohen Standard. Lindemann erläutert: „Hier liegen höchstens zwei Personen in einem Raum, der einen Blick auf den Wald außerhalb der Klinik erlaubt.“ Dabei sind sie so gestaltet, dass man seinen Zimmergenossen nicht unbedingt immer im Blick haben muss. Denn von oben betrachtet sehen sie wie ein Z aus – in jedem Bogen des Buchstabens steht ein Bett. Lindemann sieht darin für Kranke, aber auch für das behandelnde Team weitere Vorteile: „Die Menschen können hier ihre Individualität wahren, und das auch angesichts von beispielsweise zahlreichen Knie-Operationen jeden Tag. Aber es ist eine gewisse persönliche Note da. Durch die Raumaufteilung und den direkt angrenzenden Wintergarten hört der Patient zudem nicht zwangsweise mit, was bei anderen während der Visite besprochen wird.“
Auch der Speiseplan ist anders als man es normalerweise in einem Krankenhaus erwartet. Lindemann dazu: „Hier findet sich keine ungemütliche Kantine für alle, sondern es gibt eine Auswahl von verschiedenen Restaurants für Mitarbeitende, Patienten oder Gäste.“ Für das beste Essen muss aber doch etwas drauf gezahlt werden. Insgesamt versuchte Matteo Thun ein neues Verständnis von Gastlichkeit zu realisieren. Das ging so weit, dass sogar eine kleine Synagoge in die Klinik eingebaut wurde.
Wie arbeitet es sich dort?
Lindemann erklärt: „Anfangs musste ich mich umgewöhnen, weil die Klinik baulich völlig anders strukturiert ist als das alte, seit 1989 bestehende eher traditionelle Krankenhausgebäude. Aber diese neue Architektur ist auch für uns sehr praktisch.“ Dank des modernen Konzepts haben alle acht bis zehn Mitglieder eines Teams ihre Arbeitsplätze nah beieinander, was die Transparenz für Patientinnen und Patienten, aber auch eine schnelle Kommunikation fördert sowie das Gemeinschaftsgefühl stärkt. Insgesamt sind die Wege kurz, sodass man auch die Patientinnen und Patienten zügig erreichen kann. Die verschiedenen Etagen sind ebenfalls gut verbunden. „Die Aufteilung des Gebäudes spart bei vielen Dingen wie etwa bei Verbandswechseln Zeit. Das schont auch unsere Geduld, wenn die Abläufe reibungslos funktionieren“, informiert Lindemann.
Und auch schwierige Momente des ärztlichen Berufs fallen dem Personal hier vielleicht ein bisschen leichter. „Ich muss die Patienten nicht erst 15 Minuten durch einen Gang schleusen, um überhaupt Privatsphäre zu schaffen. Bei uns gibt es viele ansprechende Ecken, in denen man sich auch mit den Angehörigen in Ruhe zusammensetzen kann. Das hilft auch, um Gespräche, die ernsthafte Botschaften übermitteln, vernünftig zu führen“, so der 37-Jährige.
Zusätzlich zu solchen pragmatischen Vorteilen im Alltag „ködert“ die Klinik Mitarbeitende – die auch hier gesucht werden – mit einem speziellen hauseigenen Tarif. Dieser sieht eine 35-Stundenwoche sowie sechs freie Wochenenden im Quartal vor, plus weitere Goodies. Das wurde erst im Sommer 2023 mit der Gewerkschaft Verdi ausgehandelt und gilt also nur für deren Mitglieder.
Rund oder eckig – Hauptsache patientenfreundlich
Die größten Vorzüge des Hauses für „Gäste“ sieht Lindemann in der späteren Phase des Aufenthalts. „Wenn die Genesenden wieder auf die Station zurückkehren, die Physiotherapie anfängt und die ersten Visiten und Fragen geklärt sind, kommt der gesamte positive Effekt zur Wirkung. Anders gesagt: Wenn die Wunden schon heilen, heilt die Umgebung mit.“
Denn dann können Patientinnen und Patienten die umgebende Natur und das Ambiente genießen. Die großen Fenster der Zimmer, die den Blick in den Wald erlauben und Wintergärten, in die man zum Relaxen einkehren kann, ergänzen das Wohlfühlangebot – ganz im Sinne der modernen Healing Environment Konzepte.
Lindemann ist der Meinung, dass die Waldklinik ein Vorbild für andere neue Einrichtungen ist und betont: „Dies muss aber nicht unbedingt eine pure Kopie sein. Ob ein Gebäude am Ende rund oder wie ein Würfel konzipiert wird, ist nicht entscheidend. Es gibt sicher auch andere Architekten mit tollen Ideen und ganz anderen Stilen, die das gut können. Es kommt vor allem auf den Charakter der Einrichtung an, die sich um den Menschen dreht – und die medizinische Qualität.“