Der Verein „Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e.V." (IPPNW) setzt sich seit vielen Jahren für die Verhütung eines Atomkrieges ein. Die Anästhesistin Dr. Carlotta Conrad erklärt im Interview, warum sie sich im Verein engagiert.
Frau Dr. Conrad, Sie sind Mitglied im Verein IPPNW. Können Sie ein bisschen umreißen, in welchem Bereich Sie aktiv sind?
Dr. Carlotta Conrad: Der Verein wurde in den 80er Jahren gegründet und hat ganz klar einen friedenspolitischen Hintergrund. Damals haben sowohl russische als auch amerikanische Ärzte die politischen Entwicklungen gesehen und beschlossen, nicht mehr einfach nur zuschauen zu können, wenn hochdramatische Waffen entwickelt werden. Sie wollten präventiv tätig werden, und zwar, bevor eine Atombombe abgeworfen wird und sie mit den gesundheitlichen Folgen konfrontiert sind. Ein paar Jahre nach der Gründung, im Jahr 1985, hat der IPPNW dann den ersten Friedensnobelpreis erhalten. Damit wurde explizit die internationale Organisation geehrt. Mit dem zweiten Friedensnobelpreis wurde der Verein 2017 als Teil und mitbegründende Organisation der Kampagne „ICAN zur Abschaffung von Atomwaffen“ ausgezeichnet.
In welchem Bereich des Vereins sind Sie aktiv?
Dr. Carlotta Conrad: Wir haben einen Unterbereich, der sich mit sozialer Verantwortung beschäftigt und „Ärzt:innen in sozialer Verantwortung“ heißt. Dieser stammt von der DDR-Gruppe. Man muss wissen, dass es früher eine westdeutsche und eine ostdeutsche Gruppe der IPPNW gab, die nach der Wende zusammengelegt wurden. Daraus haben sich heute diese beiden Teile „Ärzt:innen zur Verhütung des Atomkriegs“ und „Ärzt:innen in sozialer Verantwortung“ herauskristallisiert. In diese Teile teilen wir unser Engagement ein bisschen auf. Ich bin im sozialen Teil stärker aktiv.
Wie Menschen sind Mitglied im Verein?
Dr. Carlotta Conrad: Etwa 5.500. Das ist für eine friedenspolitische Organisation recht groß.
Diese Mitgliederzahl gibt Ihrer Stimme natürlich ein großes Gewicht, aber da sind doch sicher auch Herausforderungen, die Sie im IPPNW meistern müssen?
Dr. Carlotta Conrad: Ja, einerseits gibt es viel Vernetzung und eine gute Zusammenarbeit, andererseits gibt es auch immer wieder Streit und Auseinandersetzung – zum Beispiel in Sachen Corona oder bei der Frage, mit welchen Bündnispartnern man zusammenarbeiten möchte. Aber das gehört auch dazu.
Wie kam es, dass Sie Teil des Vereins geworden sind?
Dr. Carlotta Conrad: Ich habe 2008 angefangen, in Dresden Medizin zu studieren und habe dort in einem Medinetz mitgearbeitet. Das sind Vereine, die sich um die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere oder Versicherung kümmern. Darüber habe ich die IPPNW kennengelernt, weil sich der Verein auch eingebracht hat. Seit dieser Zeit habe ich mich mit der Versorgung von Geflüchteten und Menschen, die Asyl beantragen, beschäftigt.
Mit welchen Fragen befassen Sie sich als IPPNW dann?
Dr. Carlotta Conrad: Wir behalten asylpolitische Themen im Blick und schauen, wo wir als Ärztinnen und Ärzte etwas beitragen und Öffentlichkeit schaffen können. Das tun wir etwa, um darzustellen, dass schwangere, alte oder kranke Menschen besonders schutzbedürftig sind. Als Ärztinnen und Ärzte können wir nicht vertreten, dass eine schwangere Person im Zuge eines Asylverfahrens an den Außengrenzen drei Monate in Haft genommen wird. Das ist gegen jede humanitäre Vorstellung. Solche Positionen vertreten wir auch gegenüber politischen Vertreterinnen und Vertretern.
Welche Haltung steht hinter Ihren Positionen?
Dr. Carlotta Conrad: Wir vertreten die Idee, dass es ohne Frieden keine Gesundheit geben kann und umgekehrt kann es ohne Gesundheit auch keinen Frieden geben. Deshalb muss man sich nach unserer Auffassung politisch einbringen, wenn man im Gesundheitsbereich arbeitet.
Ist Gesundheit nicht immer politisch? Dabei werden doch immer auch politische Fragen verhandelt.
Dr. Carlotta Conrad: Ganz genau! Das bestätigt mein Arbeitstag. Immer wieder treffe ich auf Fälle und auf Fragestellungen, die ich in einen IPPNW-Kontext bringen kann. Auf Workshops oder Jahrestreffen habe ich durch Vorträge viel gelernt und auch interessante Menschen getroffen, wie Gerhard Trabert, den Sozialmediziner. Natürlich hat das mit einer anästhesiologischen Fortbildung nichts zu tun, aber meine neu gewonnenen Erkenntnisse helfen mir sehr in meiner medizinischen Tätigkeit im Krankenhaus. Es gibt einfach sehr viele Themen, die über das Curriculum hinausgehen und Patientinnen und Patienten betreffen.
Was macht Ihr Engagement für den Verein mit Ihnen als Person und Ärztin?
Dr. Carlotta Conrad: Ich bekomme Wissen, das über den Tellerrand hinausgeht und ich habe Selbstbewusstsein entwickelt, das sich wiederum auf mein ärztliches Handeln auswirkt. Man bekommt einen Blick für gesellschaftlich relevante Dinge, und ich wirke auch als Vorbild. Zum Beispiel, wenn ich ein Seminar leite und gendere. Für andre ist das nicht wichtig, aber für viele Studierende ist es relevant und sie freuen sich. Letztlich ist das auch für Patientinnen und Patienten ein Thema und es trägt zum Arzt-Patienten-Verhältnis bei, wenn man sensibel für soziale Themen ist. Patientinnen und Patienten fühlen sich gesehen und ernst genommen. Das stärkt das Vertrauen in die Ärztin oder den Arzt und hilft bei der Gesundung.
Sie sprechen von Ihrem Alltag als Medizinerin. Wo arbeiten Sie und wieviel Zeit investieren Sie in den Verein?
Dr. Carlotta Conrad: Ich bin überwiegend als Anästhesistin in einem Krankenhaus auf der Intensivstation tätig und fahre noch als Notärztin Einsätze. Der Verein beansprucht viel Zeit. Ich bin Im Vorstand und dort verantwortlich für Personal und Finanzen. Um diese Aufgaben zu erfüllen, nehme ich mir täglich zwischen ein und zwei Stunden Zeit. Alle sechs Wochen haben wir Sitzungen. Mittlerweile gibt es außerdem zusätzlich abends auch noch gelegentlich Online-Treffen. Der IPPNW ist ein wichtiger Teil meines Lebens und nimmt entsprechend Zeit ein.
Welche Dinge beschäftigen Sie und den IPPNW gerade?
Dr. Carlotta Conrad: Da gibt es mehrere. Einmal stellen wir gerade ein Gefühl der Ohnmacht in Bezug auf die Politik fest. Es fühlt sich an, als würde die Zivilgesellschaft überhaupt nicht gehört. Das bereitet uns Sorgen. Außerdem treibt uns um, dass das Asylbewerberleistungsgesetz so geändert wurde, dass Versicherte in der Praxis drei Jahre nicht richtig krankenversichert sind. Insgesamt muss man leider sagen, dass wir und andere Vereine, die sich damit beschäftigen und eine Expertenmeinung abgeben könnten, gar nicht mehr angehört werden. Man bekommt das Gefühl, es ging von sehr zähen Gesprächen, die aber immerhin stattgefunden haben, hin zu einer durch den Koalitionsvertrag ausgelösten vorsichtigen Euphorie, die allerdings in einer völligen Resignation endete. Es ist sehr frustrierend, wenn man den Eindruck hat, die politische Diskussion findet gar nicht mehr statt. Ein anderes Thema ist die aktuelle politische Lage, in der in Konflikten Krankenhäuser unter Beschuss sind. Hier zeigt sich gerade, dass internationales Recht und humanitäre Prinzipien keine Rolle mehr spielen. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich hier etwas zum Besseren tut.
Info:
Die IPPNW steht für die "Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e.V." (International Physicians for the Prevention of Nuclear War / Physicians for Social Responsibility). Die Organisation wurde 1980 gegründet und ist eine weltweite Ärzteorganisation, die sich für die Verhütung von Atomkriegen und für eine friedliche Welt ohne nukleare Bedrohungen einsetzt.
Die IPPNW setzt sich für Abrüstung, nukleare Nichtverbreitung und eine weltweite Ächtung von Atomwaffen ein. Sie engagiert sich auch in Fragen der globalen Gesundheit, Umweltgerechtigkeit und sozialen Verantwortung. Die Organisation hat für ihre Arbeit mehrfach den Friedensnobelpreis erhalten, und ihre Mitglieder bestehen aus Medizinerinnen, Medizinern und anderen Fachleuten aus verschiedenen Ländern.