Was hilft bei Lampenfieber im Bewerbungsgespräch?

11 Mai, 2021 - 07:49
Gerti Keller
Nervöser Bewerber vor dem Vorstellungsgespräch mit Aktentasche und Anzug

Trotz Ärztemangel sind manche Bewerberinnen und Bewerber über Gebühr nervös – und das kann die Chancen auf die Stelle in einer angesehenen Klinik durchaus mindern. Was man dagegen tun kann, weiß Claudia Spahn, Professorin für Musikermedizin.

Herzklopfen, feuchte Hände und der Kloß im Hals ist auch schon da: Obwohl die Nachfrage nach Ärztinnen und Ärzten groß ist, bricht manchen bereits beim Gedanken an ein Vorstellungsgespräch der Schweiß aus. Lampenfieber! Ein Phänomen mit vielen Facetten. Im Positiven spornt uns der Adrenalinschub, ausgelöst vom guten alten Sympathikus, seit der Steinzeit zu Höchstleistungen an. Doch im Negativen verhindert er, dass wir uns im besten Licht präsentieren können, oder – noch schlimmer – blockiert die ganze Karriere.

Und das hat nichts mit der Qualifikation zu tun. „Durch die vielen unangenehmen Körpererscheinungen können auch fachlich topfitte Bewerberinnen und Bewerber in eine emotionale Ausnahmesituation geraten. Plötzlich finden sie keinen Zugang mehr zu ihrem Wissen. Das kann dermaßen überhandnehmen, dass man gar nicht mehr weiß, wo man ist, und total den Boden unter den Füßen verliert“, betont Prof. Dr. Claudia Spahn, die in der Ambulanz des Freiburger Instituts für Musikermedizin viele Betroffene betreut. Meist sind es Musiker, aber auch manch anderer Beruf ist darunter.

Lampenfieber: Woher kommt der Begriff?

Wahrscheinlich stammt der Begriff, der erst Mitte des 19. Jahrhunderts auftauchte, aus der Theaterwelt und zwar vom französischen „fièvre de rampe“, was übersetzt Rampenfieber bedeutet. Wie heftig dies ausfallen kann, zeigt sich zum Beispiel in der 1957 eröffneten Kölner Riphahn Oper. Dort finden sich hinter der Bühne sogenannte „Speibecken“ – damit sich die Künstlerinnen und Künstler erleichtern können, bevor sie im Rampenlicht stehen und hundert Augen auf sie schauen.

Mentale und kognitive Trainings gegen Nervosität im Bewerbungsgespräch

Das A und O bleibt die Vorbereitung. In leichten Fällen nützt es schon, die Gesprächssituation zu üben. Und zwar den ganzen Ablauf, von der Selbstpräsentation bis zu den klassischen Fragen, am besten mit einem nahestehenden Menschen als Sparringspartner. Das Erfolgsrezept ist, dies nicht nur dreimal zu tun, sondern so lange, bis alles wirklich sitzt. „Wer unter leistungsbeeinträchtigendem Lampenfieber leidet, für den ist die inhaltliche Vorbereitung allein aber keine Garantie für die spätere Performance“, erklärt Spahn. Hier helfen mentale Trainings, die sich um die Gefühle drehen. „Dafür stellen sich meine Patientinnen und Patienten die konkrete Situation vor, gehen sie im Einzelnen durch und bewahren dabei ein positives Gefühl. Wo muss ich mir gutzusprechen? Wo muss ich aufpassen? Negative Gedanken werden untersagt, optimistische gefördert. Und auch das wird richtig eingeübt“, erläutert Spahn.

Neben den kognitiven Techniken empfiehlt die Expertin Autogenes Training und progressive Muskelrelaxation. „Wer die Verfahren zuvor trainiert, kann sie auch als Kurzentspannung anwenden. Dies kann wirklich helfen, die körperlichen Symptome noch kurz vor dem Gespräch zu mildern.“ Hilfreich sei außerdem auf den Atem zu achten. Spahn: „Atmen Sie ruhig ein und lassen den Atem dann wieder langsam und lange ausströmen. Das ist ein ganz einfaches, effektives und unauffälliges Mittel, das sofort die Herzfrequenz senkt.“

Lampenfieber im Vorstellungsgespräch: Keine Panik bei einem Blackout

Kommt es trotzdem zu einem Blackout, sollte man nicht „irgendetwas“ antworten. „Halten Sie diesen Moment aus, bleiben Sie bei sich und bitten Sie um einen Augenblick Pause, etwa mit der Formulierung: Gestatten Sie mir, dass ich mich kurz konzentriere, damit ich Ihnen mein Wissen optimal präsentieren kann‘“, rät die Musikmedizinerin. Auch spricht nichts dagegen, die Aufregung ehrlich zuzugeben. „Nehmen Sie sich das für diesen Fall fest vor und schämen Sie sich dann auch nicht dafür. Oft wird Ihr Gegenüber sogar empathisch reagieren, denn jeder hat das schon mal selbst erlebt“, sagt Spahn.

Im Übrigen erscheine die Zeit, die man sich für diese kurze Pause nimmt, immer viel länger, als sie wirklich ist, so die Expertin. Dies betrifft ebenfalls die Fremd- und Selbstwahrnehmung. „Betroffene nehmen sich wie unter einer Lupe wahr. Wenn Künstler dann hinterher ihren Auftritt in einem Film sehen, sind sie oft erstaunt, wie cool sie doch wirken. Das war bei einigen meiner Patienten ein echter Durchbruch“, schildert Spahn und hat dazu eine passende Anekdote parat: „Ich hatte tatsächlich eine Patientin, die ihre Kollegin sehr bewunderte. Sie meinte, die wirke immer so selbstsicher und so wäre sie auch gerne. Als ich deren Namen hörte, rief ich sofort meine Sekretärin an und bat sie, die nächste Patientin in den Sozialraum zu setzen. Wegen der ärztlichen Schweigepflicht wollte ich nicht, dass beide sich begegnen. Es war genau die zitierte bewunderte Kollegin, die ebenfalls wegen Auftrittsangst zu mir kam…“

Immer einen Frosch in der Tasche

Manche vertrauen auch auf Rituale. So ziehen viele Orchestermusiker über Jahre dasselbe Hemd zum Auftritt an. Edvard Grieg hatte immer einen kleinen Frosch aus Ton in der Fracktasche. Überhaupt ist das Phänomen nicht neu. Von Johann Joachim Quantz, dem berühmtesten Flötisten des 17. Jahrhunderts, wird berichtet, dass er mitten in einem Konzert nicht mehr weiterspielen konnte, als er im Publikum einen Konkurrenten erblickte. Und die wohl ersten Bemerkungen zum Thema stammen von Cicero. Er schrieb am Anfang von De Oratore: „Ich …mache auch an mir selbst sehr oft die Erfahrung, dass ich im Anfange der Rede erblasse und an allen Gliedern erzittere.“

„Heute, 2000 Jahre später, können viele Menschen von der Performance-Science lernen. Durch multimodale Methoden zeigen wir, dass es möglich ist, die meisten der unangenehmen Symptome zu regulieren“, führt Spahn aus. Dabei schaut man sich auch die Biografie der Patientinnen und Patienten an. Oft gibt es darin zwei bis drei unangenehme Auftrittserlebnisse. „Bei jedem Menschen findet man aber auch gelungene Präsentationen. Unser Ziel ist, die positiven Erfahrungen in den Vordergrund zu rücken, sodass daraus wieder das Gefühl entsteht: Ich bin dem Lampenfieber nicht ausgeliefert, ich kann das lernen, ich krieg das hin“, schildert die Fachfrau. Von alleine wird es im Lauf der Zeit übrigens nicht besser. Denn Lampenfieber und Auftrittsangst heilen nicht automatisch aus. Und: Sie betreffen zur Ausnahme mal beide Geschlechter gleichermaßen.

Die Expertin:

Claudia Spahn

Prof. Dr. med. Dr. phil. Claudia Spahn ist Leiterin des Freiburger Instituts für Musikermedizin (FIM), einer gemeinsamen Einrichtung der Hochschule für Musik und des Universitätsklinikums Freiburg, Fachärztin für Psychosomatische Medizin sowie professionelle Musikerin. In der Ambulanz des FIM vermittelt sie Musikern unter anderem, wie sie optimal mit Lampenfieber umgehen können und behandelt Menschen, die an Auftrittsangst leiden.

Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Publikationen, unter anderem:

Claudia Spahn: Lampenfieber: Handbuch für den erfolgreichen Auftritt. Henschel Verlag, 2012, ISBN-10: 3894877065

Bild: © Freiburger Institut für Musikermedizin

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