
Niemand beschäftigt sich gern mit den Themen Tod und Trauer. Nicht privat und auch nicht am Arbeitsplatz. Dennoch kann das Schicksal mitten im Kollegenkreis zuschlagen. Wie können Ärztinnen und Ärzte damit umgehen? Was ist Aufgabe der Führungskraft? Der Trauermanager und früherer Klinikpfarrer Stefan Hund gibt Auskunft.
Wer andere behandelt, blendet oft die eigene Verletzlichkeit aus… und dann passiert es doch. Da bekommt der nette Notarzt selbst eine ernste Diagnose oder der Mann einer Kollegin stirbt. Darf oder sollte ich die Betroffenen ansprechen?
Stefan Hund: Die meisten Menschen sind mit einem Trauerfall am Arbeitsplatz überfordert. Gerade jungen Ärztinnen und Ärzten ist das meist noch nicht begegnet, auch nicht in der Ausbildung. Viele wissen schlichtweg nicht, wie sie reagieren sollen. Sie wollen nichts falsch machen – und dann verkrampft man. Dabei reicht es aus zu sagen: „Ich bin betroffen, aber mir fehlen im Moment die Worte.“ Das ist auf jeden Fall besser als zu schweigen. Nichts zu sagen, ist das Schlimmste. Und die erste Reaktion ist die wichtigste.
Gilt das auch für den Fall, dass es „einfach nur“ jemand ist, mit dem man privat nichts zu tun hat. Sollte man diesen Menschen nicht besser in Ruhe lassen?
Stefan Hund: Ich würde den Betreffenden auch dann kurz ansprechen und wenn es nur die zwei Sätze sind „Ich habe es gehört, das macht mich auch betroffen“. Danach können Sie immer noch schauen, wie Ihr Gegenüber reagiert. Vielleicht lautet die Antwort ja auch: „Danke, aber ich möchte jetzt nicht darüber reden.“
Meiner Erfahrung nach ist es für die Betroffenen am schwierigsten, wenn sie denken, alle wissen es, aber keiner sagt etwas. Manchmal werden sie sogar gemieden im Sinne von „Das muss ich jetzt nicht auch noch haben“. Dabei können wir gar nicht nicht kommunizieren. Es gibt auch eine Körpersprache. So tun, als hätte man sich nicht gesehen, funktioniert nicht bei einer plötzlichen Begegnung auf dem Flur.
Und wenn Angehörige von Teammitgliedern betroffen sind?
Stefan Hund: Hier gilt das gleiche. Gegebenenfalls kann man zudem fragen: „Was brauchst du jetzt?“ Vielleicht möchte Ihr Kollege seine Frau nun öfter zum CT oder zur Chemo begleiten. Für ihn wäre es vermutlich hilfreich zu wissen, mit wem er den Dienst tauschen könnte. Aber bedenken Sie: Alles, was Sie anbieten, kann angenommen oder abgelehnt werden, ohne dass dies etwas mit Ihrer Person zu tun hat.
Was ist die Rolle der Führungskraft?
Stefan Hund: Bekommt ein Mitarbeitender eine ernste Diagnose oder ist jemand aus dem nahen Umfeld betroffen, würde ich zunächst den persönlichen Austausch suchen und dabei im weiteren Gespräch fragen: „Wie wollen wir damit umgehen? Wie möchtest du es im Kollegenkreis kommunizieren? Machst du das selbst oder soll ich es übernehmen?“ Das Team merkt in der Regel, was Sache ist. Je früher das angesprochen wird, umso besser. Sonst nimmt nur der Flurfunk Fahrt auf und den können Sie nicht mehr kontrollieren.
Eine weitere gute Möglichkeit, gerade auch im Todesfall, ist zu schreiben – möglichst handschriftlich. Wählen Sie Worte, bei denen die Empfänger merken, dass der Text nicht aus dem Internet stammt. Sie können darin neben der persönlichen Betroffenheit auch Ihre Erinnerungen beschreiben, zum Bespiel wie Dr. XY bei der letzten Firmenfeier für alle gegrillt hat. Das kann auch ruhig mit einem Augenzwinkern sein – bis hin zum Angebot: Wir würden Sie gern unterstützen, was brauchen Sie jetzt?
Und wenn es eine Krankmeldung gibt und ich ein angespanntes Verhältnis zu demjenigen habe, sollte ich als Chefärztin oder Chefarzt trotzdem anrufen?
Stefan Hund: Ich würde immer den Kontakt suchen, also anrufen und sagen: „Ich weiß, wir haben kein freundschaftliches Verhältnis. Aber die Nachricht über die schwere Diagnose macht mich betroffen. Und ich mache mir Sorgen, weil wir zusammenarbeiten. Wie geht es Ihnen?“ Gerade in Trauer-Situationen ist der richtige Wortlaut nicht so entscheidend wie der Ton. Also bitte nicht heucheln nach dem Motto „Ach mein Lieber“, wenn alle wissen, Sie haben sich gegenseitig am Stuhl gesägt. Dann lieber offen sagen: „Wir waren nicht die allerbesten Freunde, aber das geht auch mir nahe.“
Wie kann ich mich als Führungskraft auf plötzliche Situationen vorbereiten?
Stefan Hund: Überlegen Sie, wie Sie authentisch bleiben können, ohne Floskeln zu benutzen. Was könnten Sie sagen, wenn Ihre Mitarbeiterin Ihnen erst freudig die Nachricht ihrer Schwangerschaft überbringt, aber Ihnen kurz darauf mitteilt, dass es leider nicht geklappt hat? Solche Situationen habe ich mit Ärztinnen und Ärzten schon durchgespielt. Ich empfahl ihnen dabei auch, sich die Sätze ins Handy zu schreiben. Ich weiß aber, dass sie diese dann gar nicht mehr brauchen werden.
Was können Arbeitgeber sonst noch tun? Und was sollte man vermeiden?
Stefan Hund: Eine gute Sache ist, die gesamte Belegschaft bei bestimmten Diagnosen, inklusive Tod und Suizid, zu versichern. Es gibt Versicherungen, die in diesem Fall 10.000 bis 50.000 Euro auszahlen.
Und natürlich muss ich als Führungskraft im Blick haben, ob betroffene Mitarbeitende wirklich konzentriert behandeln können. Da sind wir bei der Arbeitssicherheit. Vielen ist nicht bewusst, wie sehr Trauer sich in neurobiologischen Reaktionen niederschlägt. Man kann da fünfmal sagen „Jetzt reiß dich mal zusammen“, doch damit erhöhen Sie nur den Druck. Auf der anderen Seite gibt es auch diejenigen, die trotz seelischer Ausnahmesituation unbedingt weiterarbeiten wollten. Ob man da bestimmen kann „Du kriegst im Augenblick kein Skalpell in die Finger“, muss gegebenenfalls arbeitsrechtlich abgeklärt werden. Und: Bitte keine standardisierten „fröhliche Weihnachten-Karten“ an Verstorbene beziehungsweise deren Hinterbliebene schicken – das ist leider ein echter Klassiker.
Was haben Sie in Ihrer Zeit als Klinikpfarrer erlebt?
Stefan Hund: Es gab durchaus einige, die konnten – was die Patientenseite betrifft – mit dem Thema sehr gut umgehen, wenn sie als Behandlerinnen und Behandler lebensverkürzende Diagnosen überbringen mussten. Auch gibt es immer noch Chefinnen und Chefs, die wissen, wie es bei ihren Leuten zu Hause aussieht und wie der Hund heißt. Aber ich hörte auch die anderen, bei denen im Fall einer Todgeburt Sätze fielen wie „Das Ding ist nicht zu retten“, was ähnlich so gerade durch die Presse ging. Ich hatte nicht selten den Eindruck, viele verhalten sich so krass, weil sie doch eigentlich angetreten sind, um zu heilen. Manche werten das sogar als eigenes Versagen, was es aber nicht ist.
Aber auch untereinander war der Umgang damit schwierig. Ich weiß von einer Ärztin, die nach langem Warten endlich schwanger wurde. Schnell hatte man entsprechend des Mutterschutzes die Dienstpläne umgestellt, somit wussten alle Bescheid. Dann aber stand sie nach vier Wochen wieder wie früher am Tisch. Und keiner hat etwas dazu gesagt. Einmal stürzte sich sogar eine Ärztin aus dem Fenster – und niemand sprach darüber. Solche Geschichten kenne ich einige.
Haben wir verlernt damit umzugehen? Was ist die Folge?
Stefan Hund: Uns fehlen Rituale, wie es sie früher gab. In den letzten Jahrzehnten galt Trauer als private Angelegenheit nach der Devise Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Das ändert sich langsam, schon aufgrund des Personalmangels. Und es ist kein kleines Thema. Wer eine Abteilung mit 20 oder 25 Mitarbeitenden leitet, kann statistisch davon ausgehen, mindestens einmal jährlich einen Todes- oder Trauerfall zu erleben. Eine Untersuchung aus Frankreich von 2021 zeigt, dass jede neunte Fachkraft kündigt, wenn das Unternehmen im Trauerfall schlecht reagiert. Denn dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Die Mitarbeitenden fragen sich: Werde ich in der Klinik überhaupt als Mensch wahrgenommen? Ich arbeite bis zum Anschlag, dann stirbt meine Frau und es kümmert keinen, wie ich das wuppen soll mit drei kleinen Kindern? Im Gegenteil dazu schafft gutes Trauermanagement Loyalität wie nichts anderes.
Ihre Angebote?
Stefan Hund: Wir bieten Trauermanagement als Bestandteil der Arbeitssicherheit an. Dafür betreiben wir auch Grundlagenforschung. So haben wir eine Umfrage mit der Technischen Hochschule Würzburg gestartet. Darin wurden sechs Traueranlässe in Unternehmen ermittelt: Arbeitsunfall, medizinischer Notfall, Fehlgeburt, Suizid sowie Tod oder Krankheit eines Angehörigen. Ein Viertel aller Befragten nannte zudem in einem Freifeld den Tod eines Haustieres. Da hat uns total überrascht.
Für Unternehmen erstellen wir individuelle Ablaufpläne – wer muss informiert werden, wie erreiche ich das Notfallteam, wo ist ein Rückzugsraum? Wir schulen Führungskräfte und Ersthelfer zum Thema Trauer im Unternehmen. Dazu moderieren wir eine monatliche Führungskräfterunde von 30 Minuten, in der die Situationen besprochen werden. Zudem existiert eine Notrufnummer und wir helfen, wenn es wirklich hart auf hart kommt, auch vor Ort. Wir sind, soviel ich weiß, weltweit die einzigen mit diesem Angebot.