Ärztinnen und Ärzte in Führung: Innere Antreiber leichter nutzen

2 November, 2022 - 07:39
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Ärztinnen und Ärzte in Führung: Prof. Dr. Sonja Güthoff
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach und Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen.

Was treibt uns und unsere Mitarbeitenden an? Was treibt uns allerdings auch noch zusätzlich zum Klinik- und Praxisalltag in den Stress? Lesen Sie in diesem Artikel, wie wir unsere eigenen „Inneren Antreiber“, jedoch auch die unseres Teams erkennen und nutzen können – und wie wir ihnen gegebenenfalls etwas entgegensetzen können, wenn sie zu Stressverschärfern werden.

Was sind Innere Antreiber?

Die „Inneren Antreiber“ basieren auf Glaubenssätzen, die wir häufig schon im Kindesalter entwickeln. Nicht selten sind sie uns gar nicht bewusst. Wie der Name schon sagt, haben sie die Eigenschaft, uns von innen heraus anzutreiben und unsere Verhaltensweisen zu beeinflussen. Entwickelt von dem amerikanischen Psychologen Taibi Kahler (Miniscript. Transactional Analysis Journal 1974; 4(1):26-42.) lassen sich fünf „Innere Antreiber“ unterscheiden.

Merke

Es werden fünf „Innere Antreiber“ unterschieden:

  • Sei perfekt!
  • Mach schnell!
  • Streng Dich an!
  • Mach es allen recht!
  • Sei stark!
nach Taibi Kahler

Diese „Inneren Antreiber“ sind zu einem bestimmten Anteil in uns allen vorhanden. Meist gibt es jedoch einen oder zwei führende, also primäre „Innere Antreiber“, die uns besonders prägen.

29.03.2024, klinik Werk.
29.03.2024, Clienia Littenheid AG
Sirnach

Wie beeinflussen uns und unser Team „Inneren Antreiber“?

Aus diesen Glaubenssätzen erwachsen positive Eigenschaften. Zum Beispiel eine gute Arbeitsqualität bei „Sei perfekt!“, eine schnelle Entscheidungsfähigkeit bei „Mach schnell!“, das engagierte Arbeiten bei „Streng Dich an!“, die hohe Teamfähigkeit bei „Mach es allen recht!“ und die hohe Belastbarkeit bei „Sei stark!“. Diese positiven Eigenschaften können wir als Führungskräfte nutzen, um unsere Mitarbeitende richtig zu motivieren und einzusetzen.

Teilweise äußern sich diese Glaubenssätze jedoch auch für andere nachteilig spürbar: Wenn z.B. eine Oberärztin eine hohe Ausprägung von „Sei perfekt!“ zeigt, so kann es sein, dass sie auch von anderen diese Perfektion erwartet und diese damit unter Druck setzt. Es kann auch vorkommen, dass Assistenzärztinnen und -ärzte nicht oder erst spät um Hilfe bitten, da es ihnen geprägt von „Sei stark!“ als „Innerem Antreiber“ schwerfällt, sich einzugestehen, es nicht alleine zu schaffen. Gerade als Führungskraft ist es daher wichtig, die „Inneren Antreiber“ nicht nur von sich selbst, sondern auch die des Teams einschätzen zu können (siehe Toolbox Führung).

Toolbox Führung

Innere Antreiber verstehen – folgende Vor- und Nachteile können charakteristisch sein.

„Sei Perfekt!“

  • Vorteile:
    • Gute Arbeitsqualität.
    • Gründlich und zuverlässig.
  • Nachteile:
    • Druck, alles perfekt machen zu müssen.
    • Hoher Zeitaufwand und Kosten.
    • Anerkennung über fehlerfreie Leistung.
    • Verlangen auch von anderen Perfektion, Vollkommenheit und Gründlichkeit.

„Mach schnell!“

  • Vorteile:
    • Arbeitet schnell.
    • Trifft schnell Entscheidungen.
  • Nachteile:
    • Überlastung durch Hektik und Druck, alles schnell machen zu müssen.
    • Innerer Drang, alles sofort umzusetzen.
    • Möglichst mehrere Dinge gleichzeitig machen wollen.
    • Tappt gerne in die Multitasking Falle.

„Streng dich an!“

  • Vorteile:
    • Zuverlässigkeit.
    • Pflichtbewusstsein.
    • Fleiß.
  • Nachteile:
    • Erfolge, die nicht auf Anstrengungen basieren, sind nichts wert.
    • Erwartet auch von anderen Anstrengung.
    • Gefühl, das man von ernsten Problemen, Schwierigkeiten oder Krisen bedroht wird.
    • Angst, dass andere besser sind, weshalb man sich noch mehr anstrengt.

„Mach es allen recht!“

  • Vorteile:
    • Teamworkfähigkeit.
    • Verantwortungsbewusstsein (v.a. für andere).
    • Loyalität.
  • Nachteile:
    • Eigene Bedürfnisse werden hinten angestellt.
    • Kann nicht "Nein" sagen, wodurch es zur Überlastung kommt.
    • Wird öfter ausgenutzt.
    • Erwartet auch Rücksicht von anderen, ohne aber die eigenen Bedürfnisse und Wünsche klar und deutlich auszusprechen (Folge: Konflikte und Enttäuschung).

„Sei stark!“

  • Vorteile:
    • Durchsetzungsstark.
    • Unabhängig und selbstständig.
    • Hohe Belastbarkeit.
  • Nachteile:
    • Auch unter höchster Anstrengung kommt Aufgeben nicht in Frage.
    • Es fällt sehr schwer, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen.
    • Probleme werden alleine getragen, wodurch man stark belastet wird.
    • Vor allem unter Druck abweisend anderen gegenüber.

„Innere Antreiber“ als Stressverschärfer

Allerdings zeigen sich unsere Inneren Antreiber auch deutlich in Situation, in denen wir unter (innerem) Druck stehen. Dabei treiben sie uns noch weiter in eine Stress-Situation oder können auch selbst unser Stress-Auslöser sein. Oft glauben wir, dass die aus dem führenden „Inneren Antreiber“ resultierenden Verhaltensweisen uns bei der Bewältigung der stressigen Situation helfen. Jedoch setzen wir uns hierdurch oft noch weiter unter Druck. Aus diesem Grund nennt der Psychotherapeut Prof. Dr. Gert Kaluza die „Inneren Antreiber“ auch persönliche Stressverschärfer (Stressbewältigung 2018, Springer Verlag 4. Auflage).

Es ist sehr hilfreich, seine „Inneren Antreiber“ auch aus dem Grund zu erkennen, damit man ihnen vor allem in stressigen Situationen bewusst mit „Erlaubern“ entgegenwirken kann. Diese können den Zwang des „Inneren Antreibers“ lösen und die Belastung dahinter neutralisieren.

Tipp

Überlegen Sie sich für Ihre „Inneren Antreiber“ individuelle „Erlauber“, die Sie in einer stressigen Situation anwenden können z.B. für „Sei perfekt!“ den Satz „Ich darf auch mal einen Fehler machen, das ist menschlich.“ oder bei „Streng dich an!“ die Formulierung „Ich erlaube mir, mir meine Kraft einzuteilen.“.

Vielleicht erkennen Sie auch bei Mitarbeitenden stressverschärfende „Innere Antreiber“, so dass Sie hier auch entsprechende Verhaltensweisen fördern wie z.B., wenn eine Assistenzärztin mit ausgeprägtem „Sei perfekt!“-Verhalten verbissen den Entlassbrief bereits zum dritten Mal durcharbeitet, können Sie ihr zusprechen, dass es auch mal okay sei, einen Rechtschreibfehler zu übersehen.

Haben Sie bitte Geduld mit sich und Ihren Mitarbeitenden, denn die „Inneren Antreiber“ begleiten uns schon sehr lange. Daher darf es auch ein wenig Training bedürfen, bis Sie mit dem „Erlauber“ Ihrer Wahl schnell eine Verbesserung des Druckgefühls erreichen. Üben Sie am Besten mit viel Freude und Gelassenheit.

Beispiel aus der Praxis

Die Stationsärztin der kardiologischen Abteilung eines Maximalversorgers fühlt sich sehr gestresst. Sie ist verzweifelt, weil sie gefühlt immer alles alleine machen müsse, komplett überlastet sei und alle anderen sich nicht darum kümmern würden, wie es ihr gehe. Dabei nimmt sie immer Rücksicht auf alle, organisiert gemeinsame Treffen im Stations-Team zusammen mit der Pflege, springt ein, wenn eine oder einer kurzfristig zum Dienst ausfällt und vieles mehr.

Nachdem es immer wieder Konflikte diesbezüglich auf der Station gibt und die Stationsärztin ihren ganzen Frust über die Situation laut bei der Frühbesprechung kundgetan hat, beschließt der zuständige Oberarzt zu handeln. Er organisiert für die Abteilung eine Fortbildungs-Veranstaltung zu den „Inneren Antreibern“, von denen er neulich gelesen hat. Dabei lernt die Stationsärztin ihre „Inneren Antreiber“ kennen. Sie hat sehr hoch ausgeprägt die Verhaltenstendenz „Mach es allen recht!“. Sie bejaht ihre Stärken, dass sie sehr teamfähig und loyal sei, so dass alle im Grunde gerne mit ihr zusammenarbeiten würden. Sie ist auch immer eine der ersten Personen, die die Verantwortung übernehme. Tatsächlich kann sie allerdings auch schlecht „Nein“ sagen, was dazu führt, dass sie in dieser Kombination sich auch zu viele Aufgaben zumutet und gestresst ist.

Angeleitet durch die Trainerin formuliert sie für sich „Erlauber“ wie „Ich darf guten Gewissens auch mal ´Nein´ sagen“ und „Ich darf auch auf mich selber Rücksicht nehmen“. Bereits am nächsten Tag fallen ihr mehrere Situationen auf, bei denen sie die Aufgaben nicht sofort übernimmt, sondern auch andere wie z.B. die Studierenden auf der Station zum Zuge kommen lässt.

Die Autorin:

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.

Sie möchten mehr erfahren? Kontaktieren Sie die Autorin gerne zum Thema „Innere Antreiber“ unter info@sonjaguethoff.com und melden Sie sich zur kostenlosen Online-Fortbildung in Führungs-Kompetenzen für Ärztinnen und Ärzte an unter: https://leadersacademymedical.onepage.me/

Mehr Infos unter www.leaders-academy.com.

Das könnte Sie auch interessieren: