Ärztinnen und Ärzte in Führung: Leichter resilient führen

6 Juli, 2022 - 08:46
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Ärztinnen und Ärzte in Führung: Prof. Dr. Sonja Güthoff
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach und Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen.

Im Flugzeug hören wir bei den Sicherheitshinweisen immer, dass wir uns erst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen sollen, bevor wir anderen helfen. Wie sieht es jedoch in der Klinik oder Praxis aus? Wie können wir unsere Resilienz verbessern, um auch für die Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeitenden souverän und ausgeglichen zu agieren?

In einer Studie des Marburger Bundes mit 2.060 Ärztinnen und Ärzten gaben 35 Prozent der Befragten an, dass sie oft bis sehr oft Gefühle des Ausgebranntseins erlebt hätten (Marburger Bundes Landesverband Berlin/Brandenburg, Befragung von Ärzt*innen zu ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation 2019, www.marburger-bund.de). In der amerikanischen Übersichtsarbeit von Scott W. Yates finden sich die Angaben, dass Burnout etwa die Hälfte der praktizierenden Ärztinnen und Ärzte beträfe (Physician Stress and Burnout. The American Journal of Medicine 2020; 33(2): 160-164); hier zeigen sich auch Hinweise darauf, dass ärztliches Burnout auch zu medizinischen Fehlern, zu einer geringeren Behandlungsqualität, zu höheren Kosten und insgesamt schlechteren Ergebnissen führe.

Auf uns selbst zu achten, unsere Resilienz und die unseres Stations-, OP- bzw. Praxis-Teams zu stärken, kann somit nicht nur uns selbst wieder mehr Freude an der medizinischen Arbeit schenken, sondern auch für die Patientinnen und Patienten eine bessere Behandlung gewährleisten.

Was ist eigentlich Resilienz?

Abgeleitet vom lateinischen Wort „resilire“ (zurückspringen, abprallen) bezeichnet der Begriff Resilienz die Fähigkeit einer Person oder eines sozialen Systems, ohne anhaltende Beeinträchtigung belastenden Lebensumständen und negativen Folgen von Stress zu widerstehen. Wie ein Schwamm, den man zusammendrückt und anschließend wieder loslässt, kann sich eine resiliente Person bei psychosozialen Krisen wieder aufrichten.

29.03.2024, klinik Werk.
29.03.2024, Clienia Littenheid AG
Sirnach

Es geht nicht einfach darum, alles an sich abprallen zu lassen, sondern flexibel mit herausfordernden Situationen umgehen zu können, leistungsfähig zu bleiben, vielleicht sogar dazuzulernen, Verbesserungen und Innovationen anzuregen sowie persönlich, aber auch als Team stärker aus ihnen hervorzugehen.

Eigene Stressmuster kennen und wahrnehmen

Als ersten Schritt ist es wichtig, dass wir uns erstmal bewusst machen, wie leistungsfähig wir im Moment sind. Welche Stressmuster haben wir auf den unterschiedlichen Ebenen: Welche Gedanken lasse ich bei Stress zu, wie fühlt es sich an, wie reagiert mein Körper in Stress-Situationen, wie verhalte ich mich jeweils.

Stellen Sie sich eine klassische Situation in der Klinik oder Praxis vor, in der von unterschiedlichen Seiten Anforderungen an Sie gestellt werden, Sie seitens der Pflege bzw. MFA zu Entscheidungen gedrängt werden, Untersuchungen fertig werden müssen, Konsile anstehen, die Labore noch nicht kontrolliert worden sind, Sie den Wünschen und Fragen der Patientinnen und Patienten nicht nachkommen können… wie sieht in so einer Situation Ihr Stressmuster aus?
Versuchen Sie beim nächsten Mal, wenn Sie in einer solchen Situation sind, inne zu halten und sich der vier Ebenen Ihres Stressmusters bewusst zu werden: Gedanken-Ebene, Gefühls-Ebene, Körper-Ebene, Verhaltens-Ebene. Im nächsten Schritt können Sie sich ggf. mithilfe einer Mentorin bzw. eines Mentors für Ihre eigenen Stressmuster Tools und Methoden erarbeiten, die Sie in stressiger Situation nutzen können (Beispiele siehe unten beim Tipp).

Tipp

1. Machen Sie sich Ihre Stressmuster bewusst:

  • Gedanken-Ebene: Welche Gedanken lasse ich zu? Rede ich innerlich schlecht über andere? Schiebe ich die Schuld für die Umstände auf bestimmte Personen? Vergleiche ich mich mit anderen? Kritisiere ich mich selber, dass ich die Situation nicht meistere? Denke ich etwas anderes?
  • Gefühls-Ebene: Wie fühle ich mich? Bin ich traurig, niedergeschmettert, wütend, genervt, erschöpft oder anderes? Spüre ich fast gar nichts mehr und funktioniere einfach nur noch? Bin ich besonders empfindlich? Fühle ich etwas anderes?
  • Körper-Ebene: Bekomme ich Tachykardien (Herzfrequenzsteigerung) und/oder Arrhythmien (Herzrhythmus-Störungen)? Schwitze ich? Bekomme ich einen hochroten Kopf und Hypertonus (Bluthochdruck)? Beginnen meine Finger zu zittern? Reagiert mein Körper anders?
  • Verhaltens-Ebene: Bin ich unfreundlicher, als ich eigentlich sein möchte? Werde ich fahrig und vergesse Dinge? Distanziere ich mich von Freunden, der Familie, dem Partner bzw. der Partnerin? Verhalte ich mich anders als sonst?

2. Erarbeiten Sie sich ggf. zusammen mit einer Mentorin bzw. einem Mentor Tools und Methoden, die Sie gezielt einsetzen können, um auf den entsprechenden Ebenen Ihre individuellen Stressmuster zu durchbrechen z.B.:

  • Gedanken-Ebene: Legen Sie sich förderliche Affirmationen bzw. innere Erlauber gegen hemmende Gedanken zurecht. Seien Sie ehrlich mit sich selbst und fair anderen gegenüber, dass meist nicht Sie selbst und auch keine andere Person schuld an der stressigen Situation ist. Machen Sie sich bewusst, dass Sie selbst Ihre Gedanken steuern können.
  • Gefühls-Ebene: Lassen Sie ggf. Gefühle zu, z.B. kann es sein, dass Sie sich nach einem Gefühlsausbruch wieder besser und ausgeglichen fühlen. Unterdrückte Gefühle können krank machen und Beziehungen belasten.
  • Körper-Ebene: Nutzen Sie Atemtechniken, denn tiefe Atemzüge können sich positiv auf Stresssymptome auswirken und einen Hypertonus senken. Finden Sie eine Entspannungstechnik, die Sie ggf. sogar kurz im Arztzimmer oder auf dem WC ungestört durchführen können.
  • Verhaltens-Ebene: Zynismus, Frustration, Distanzierung und Abgestumpftheit sind typische Reaktionen im Burnout-Prozess. Dazu können auch eine Konzentrationsschwäche und das Gefühl, dass die Leistungsfähigkeit verringert ist, gehören. Sich dieser Verhaltensmuster bewusst zu werden, ist der erste Schritt, sich Hilfe zu holen und gezielt den Burnout-Prozess zu durchbrechen.

Resilienzstärke verbessern

Die gute Nachricht ist: Resilienzstärke kann man trainieren. Die Professorin Jutta Heller definiert auf der Basis der Resilienzforschung sieben Schlüssel für mehr innere Stärke:

  • Akzeptanz: Nehmen Sie Geschehenes, Unveränderbares und Unvermeidbares an. Richten Sie Ihre Energie lieber auf die Dinge, die Sie verändern und proaktiv angehen können.
  • Optimismus: Richten Sie vor allem in kritischen Situationen den Blick auf Ihre eigenen Stärken und Kompetenzen. Erwarten Sie grundsätzlich Positives und nehmen Sie das Positive in Ihrer Umwelt wahr.
  • Selbstwirksamkeit: Vertrauen Sie auf Ihre eigenen Fähigkeiten, darauf, dass Sie Einfluss nehmen können und somit Herausforderungen erfolgreich bewältigen können.
  • Eigen-Verantwortung: Übernehmen Sie für Ihre Handlungen und Entscheidungen selbst die Verantwortung. Dazu gehört auch, die Verantwortung für das eigene Wohlergehen zu übernehmen und gut für sich selbst zu sorgen. Streben Sie dabei für eine gesunde Leistungsfähigkeit ein mittleres Stress-Niveau an.
  • Netzwerk-Orientierung: Pflegen Sie Ihre Beziehungen und Kontakte für ein starkes soziales Umfeld. Gerade in kritischen Situationen ist diese Ressource besonders wichtig für die gegenseitige Unterstützung.  
  • Lösungs-Orientierung: Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Chancen und Alternativen. Probieren Sie immer auch wieder neue Dinge aus, so dass Sie in Krisensituationen handlungsfähig bleiben.
  • Zukunfts-Orientierung: Setzen Sie sich bewusst mit Ihren eigenen Zielen auseinander und sehen Sie die vielen Möglichkeiten, diese Ziele zu erreichen. Üben Sie sich darin, Prioritäten zu setzen, um auch bei Rückschlägen und Motivationstiefs Ihre Kraft zu bündeln.

Machen Sie immer mal wieder einen Resilienzschlüssel-Check, in welchen Bereichen Sie schon gut sind und welche Sie noch ausbauen möchten.

Tooldbox Führung

Resilienzschlüssel-Check

Wie schätzen Sie sich selbst in den einzelnen Resilienzschlüsseln auf einer Skala von 1 (trifft nicht zu) bis 10 (stimmt genau) ein (Checkliste zum Download, pdf, 310 kB)?

Welcher Resilienzschlüssel ist am stärksten ausgeprägt? Warum haben Sie sich diesen Punktewert gegeben? Wann hätten Sie einen noch höheren Punktewert gewählt?

Welcher Resilienzschlüssel ist bei Ihnen am schwächsten ausgeprägt? Aus welchem Grund ist dieser der Schwächste? Mit welchen Maßnahmen könnten Sie diesen Bereich stärken?

nach Prof. Dr. Jutta Heller

Bringen Sie mehr Optimismus in die Klinik oder Praxis

Eine Studie mit 180 katholischen Nonnen zeigte, dass die Probandinnen, die mit 22 Jahren in ihren Autobiographien positive Emotionen beschrieben haben, sechs Dekaden später ein signifikant geringeres Mortalitätsrisiko hatten (D.D. Danner, D.A. Snowdon, W.V. Friesen. J Pers Soc Psychol 2001; 80(5):804-813).

Auch eine Langzeit-Bevölkerungsstudie mit 6.856 Einwohnern in Alameda County (California, USA) demonstrierte über einen Zeitraum von 28 Jahren (von 1965-1993), dass das subjektive Wohlbefinden und dessen positive Komponenten wie positive Gefühle und Lebenserfüllung signifikant assoziiert waren mit einem geringeren Mortalitätsrisiko (bezogen sowohl auf die Gesamtsterblichkeit als auch auf die eines natürlichen Todes, J. Xu und R.E. Roberts. Health Psychol 2010; 29(1):9-19).

Nutzen Sie die positive Kraft des Resilienzschlüssels „Optimismus“ auch für Ihren eigenen (Berufs-)Alltag und implementieren Sie bewusst positive Gedanken und Emotionen in Ihr Stations-, OP- bzw. Praxis-Team.

Merke:

Einer der stärksten Resilienzschlüssel ist der Optimismus.

Integrieren Sie den Optimismus in Ihren eigenen (Berufs-)Alltag, indem Sie Ihre Erfolge und die Dinge notieren, für die Sie dankbar sind.

Nutzen Sie gleichzeitig auch positive Elemente für Ihr Stations-, OP- bzw. Praxis-Team wie z.B.

  • Zusammentragen von positiven Ergebnissen des Vortages / der Woche in der Morgenbesprechung oder Visite (erfreuliche Entwicklungen bei chronisch-kranken Patientinnen und Patienten, gelungene Operationen, gute Zusammenarbeit etc.),
  • Positives Einstimmen auf einen Einsatz im OP, Schockraum, im Rettungsdienst etc.,
  • Weitergeben von positivem Patienten-Feedback bzw. erfreulicher Erwähnung seitens anderer Abteilungen oder der Chefärztin bzw. des Chefarztes etc.,
  • Schaffen Sie insgesamt eine gute Atmosphäre mit Anerkennung und Wertschätzung der unterschiedlichen Personen im Team, bedanken Sie sich für die gute Zusammenarbeit und würdigen Sie das angenehme Miteinander auch mal mit einer (kleinen) Feier.

Beispiel aus der Praxis

Der Gastroenterologe und Oberarzt einer internistischen Station eines kirchlichen Krankenhauses wird von der Chefärztin freundlich, jedoch mit Nachdruck darauf angesprochen, dass sich sein Umgang mit den anderen ärztlichen und pflegerischen Kolleginnen und Kollegen nachteilig verändert habe. Insgesamt leidet das bereits von Personalengpässen und hoher Arbeitsbelastung angespannte Stations-Team unter seiner pessimistischen Einstellung und seinem negativen Umgangston.

Der Oberarzt erschrickt, da es ihm erst in diesem Moment bewusst wird, wie gestresst er selber ist und dass er sich tatsächlich verändert hat. Er stimmt mit etwas Überwindung zu, ein Führungskräfte-Training zum Thema Resilienz zu besuchen. Er kann für sich selbst die Muster erkennen, wie seine Gedanken, seine Gefühle und sein Verhalten sich unter Stress verändern sowie auf welche Weise sein Körper reagiert. Er nimmt sich vor, bei entsprechenden Anzeichen kleine Auszeiten einzubauen, in denen er sich mit einem Kaffee oder Tee für ein paar Minuten in den Klinik-Garten setzt. Außerdem bittet er vertraute Kolleginnen und Kollegen, ihn bei ungewollten Verhaltensänderungen kollegial darauf aufmerksam zu machen.

Der eigene Resilienzschlüssel-Check zeigt dem Oberarzt, dass er besonders in letzter Zeit eher auf die negativen Dinge seinen Fokus lenkt. Schließlich wollte er lieber auf das Schlimmste vorbereitet sein, um nicht enttäuscht zu werden. Auch sein Lebensgefährte bestätigt ihm, dass es häufig nerve, dass er vom Negativen ausginge. Außerdem hat der Oberarzt seine Beziehung und seine Freundschaften vernachlässigt. Er reserviert sich einen festen Tag in der Woche für private Unternehmungen und telefoniert auf dem Heimweg wieder etwas häufiger mit der Familie und Freunden.

Das Stations-Team erkennt sofort, dass sich der Oberarzt um Wertschätzung der guten Zusammenarbeit bemüht. Außerdem nimmt es dankend den Vorschlag an, bei der Visite zuerst von den positiven Ereignissen des Vortages zu berichten. Insgesamt verbessert sich die Atmosphäre auf der Station, und auch dem Oberarzt geht es deutlich besser.

Ein bewusster Umgang mit sich selbst, jedoch auch mit dem Stations-, OP- oder Praxis-Team hilft, gerade in herausfordernden Zeiten widerstandfähig und somit souverän in Klinik und Praxis zu agieren. Viel Freude beim resilienten Führen, sowohl sich selber also auch Ihr Team.

Die Autorin:

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.

Sie möchten mehr erfahren? Das Modul „Resilient führen und leben“ mit Prof. Dr. Jutta Heller als Führungsexpertin ist eines der Module im Führungskräfte-Konzept der Leaders Academy.

Melden Sie sich zur kostenlosen Online-Fortbildung in Führungs-Kompetenzen für Ärztinnen und Ärzte sowie Zahnärztinnen und Zahnärzte an unter: https://leadersacademymedical.onepage.me/

Mehr Infos unter www.leaders-academy.com.

Das könnte Sie auch interessieren: