
Wie lässt sich respektvolle Führung erkennen? Und worauf kommt es beim respektvollen Umgang im Klinik- und Praxisalltag an? Im Beitrag geht es auch darum, wie respektvolle Kommunikation in schwierigen Situationen gelingt – gerade wenn unser Gegenüber pauschalisiert oder Argumente einfach standardisiert wegwischt.
Respektvoller Umgang seitens einer Führungskraft scheint ein starkes Potential der Motivation zu haben, während fehlende Wertschätzung krank machen könnte. Der Facharzt für Arbeitsmedizin Tautz beschreibt, dass im weltweiten Vergleich Respekt als der größte Treiber der Mitarbeitermotivation gelte; hingegen würde schon subjektiv empfundenes Fehlen von Wertschätzung seitens der eigenen Führungskraft längerfristig das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung und / oder einer Depression verdoppeln (Wirtschaftspsychologie aktuell, 2011).
Darüber hinaus zeigten vanQuaquebeke und Eckloff (Journal of Business Ethics, 2009) in einem mehrstufigen Studiensetting mit 426 Teilnehmenden in Deutschland, dass wahrgenommene respektvolle Führung deutlich korreliere mit deren Ansehen für die Führungskraft, deren Identifikation mit der Führungskraft, jedoch auch mit ihrer eigenen Arbeitszufriedenheit.
Respekt könne man lernen, stellt René Borbonus in Aussicht (Econ Verlag, 2021). Aber was genau ist eigentlich Respekt?
Hierarchie oder Respekt?
Gerade in der Medizin sind die hierarchischen Strukturen meist noch ausgeprägt. Chefärztinnen und Chefärzte zum Beispiel genießen ein hohes Ansehen und werden mit Achtung behandelt. Wann bringt man ihnen jedoch Respekt entgegen? Grundsätzlich lassen sich in der Respektforschung zwei Arten von Respekt unterscheiden: vertikaler und horizontaler Respekt.
Die Respect Reasearch Group der Universität Hamburg definiert, dass vertikaler Respekt auf der Grundlage wahrgenommener positiv bewerteter Differenz entstünde, da der anderen Person (besonderes oder größeres) Wissen, (besondere oder größere) Fähigkeiten, (besondere oder größere) Leistungen oder (besondere oder herausragende) Eigenschaften zugeschrieben werde. Merkmal des vertikalen Respekts wäre jedoch auch, dass man der anderen Person freiwillig und gerne folge, zumindest in den Bereichen, in denen diese positive Differenz wahrgenommen werde. Hingegen entstünde der horizontale Respekt auf der Grundlage wahrgenommener Gleichwertigkeit, so dass man die andere Person als prinzipiell gleichwertiges Gegenüber behandele und dessen Wünsche und Wahrheitsdefinition im eigenen Handeln berücksichtige (www.respectresearchgroup.org).
Gerade das Gefühl der gleichwertigen Behandlung kann auf ärztlicher und pflegerischer Seite im Klinikalltag leiden. Und folgen Sie freiwillig und gerne Ihrer (Klinik-)Leitung? Was bedeutet für Sie Respekt und wem schenken Sie bewusst Respekt im (Arbeits-)Alltag?
Unbeabsichtigt respektlos
Respekt stellt ein Grundbedürfnis für uns Menschen dar. Dabei können Respektlosigkeiten auch von uns selbst unbeabsichtigt sein, beschreibt Kommunikationsprofi René Borbonus. Wie schnell übersehen wir in der Hektik des Stationsgeschehens die Bedürfnisse und Wünsche unserer Kolleginnen und Kollegen, lassen die Pflegekraft nicht ausreden, weil wir die Lösung des Problems schon wissen und es uns nicht schnell genug geht, blicken beim Antworten nicht vom Bildschirm auf, sagen die Visite für eine bestimmte Zeit zu und kommen dann doch später, kritisieren das Vorgehen der jüngeren Kolleginnen und Kollegen, leiten sie jedoch wegen Zeitknappheit nicht konstruktiv an etc. Auch witzig gemeinte Sprüche auf Kosten anderer und Suggestivfragen können sehr schnell als respektlos empfunden werden.
Merke:
Wir sind z.B. versehentlich respektlos, wenn
- …wir unser Gegenüber nicht sehen,
- …uns zu sehr auf unsere eigenen Argumente konzentrieren,
- …uns durch Kommunikationsmedien ablenken lassen,
- …Versprechen nicht einhalten,
- …anderen unsere Sichtweise überstülpen,
- …zuhören, um zu antworten, statt zu verstehen,
- …bagatellisieren, verschlimmern und Suggestivfragen stellen.
Sich darüber bewusst zu werden, in welchen Situationen wir unsere Mitarbeitenden unbeabsichtigt respektlos behandeln, ist ein großer Schritt zum respektvollen Umgang miteinander.
nach René Borbonus
Manchmal reagieren wir jedoch auch gut gemeint mit Bagatellisierung, z.B. wenn ein jüngerer Kollege Ihnen anvertraut, dass er nicht weiß, wie er die ganze Stationsarbeit bewerkstelligen soll. Und Sie ihm als Oberärztin vermeintlich gut zureden, dass er es bisher doch immer rechtzeitig geschafft hätte. Folge dieser Antwort kann sein, dass sich der Kollege nicht ernst genommen fühlt. Es kann auch vorkommen, dass man in einer vergleichbaren Situation mit Anteilnahme dem Kollegen begegnet, dass es tatsächlich viel Arbeit sei und man nicht mit ihm tauschen möchte. Hier fühlt er sich zwar ernst genommen, jedoch kann diese Aussage verschlimmernd und entmutigend wirken.
Eine respektvolle Alternative als Führungskraft könnte es sein, dem jungen Kollegen mit seinem Problem zu sehen und mit ihm Strategien zu entwickeln, wie er sich selbst auf der Station besser managen kann. Ähnlich verhält es sich auch mit Patientinnen und Patienten, die uns ihre Ängste und Sorgen offenlegen.
Tipp
Reden Sie in Ihrem (Arbeits-)Umfeld über respektvollen Umgang miteinander.
- Holen Sie sich z.B. Feedback ein, wann Sie unbeabsichtigt respektlos handeln.
- Sprechen Sie auch Situationen an, in denen Sie sich nicht gesehen fühlen und Ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden. Das klappt besonders gut, wenn wir mit der positiven Grundhaltung in das Gespräch gehen, dass auch die andere Person unbeabsichtigt respektlos handelte.
Pauschalisierungen und Ja-aber-Reaktionen
Häufig begegnen uns im Klinik- und Praxisalltag Pauschalisierungen. Wenn man sich z.B. als Assistenzärztin mal beschwert, dass man zu selten in den OP kommt, heißt es gerne mal, dass man sich „immer“ beschweren würde. Vielleicht kennen Sie aber auch die Ausschweifungen der Klinikleitung, dass sich keiner Mühe geben würde, oder „Muss ich immer alles allein machen?“. Pauschalisierungen werden der Situation selten gerecht, so dass sie als respektlos empfunden werden. Eine menschliche Reaktion ist es wiederum, darauf mit Wut und Empörung zu antworten. Um ein respektvolles Miteinander zu ermöglichen, ist es empfohlen, das Gespräch auf die Sachebene zu holen (siehe Toolbox Führung).
Auch auf pauschale „Ja-aber-Reaktionen“ antworten wir häufig mit Gegenwehr, weil das Wort „aber“ negativ besetzt ist. Tatsächlich ist die anschließende Gesprächsentwicklung selten konstruktiv. Hier bietet sich die „Pacing und Leading“ Methode an (siehe Toolbox Führung).
Toolbox Führung
Respektvoller Umgang mit Pauschalisierungen und Ja-aber-Reaktionen
Pauschalisierungen
Antworten Sie auf Pauschalisierungen, indem Sie das Gespräch auf die Sachebene bringen. Nutzen Sie dafür Fragen wie:
- Worauf beziehen Sie sich?
- Woran denken Sie konkret?
- Was genau verstehen Sie unter…?
Ja-aber-Reaktionen und anderer Widerstand
Oft reagieren wir auf Widerstand wie z.B. „Ja-aber-Antworten“ mit Unsicherheit, Zorn oder Arroganz. Dabei löst das Wort „aber“ direkt in uns Gegenwehr aus. Begegnen Sie Widerstand stattdessen respektvoll mit Pacing (annehmen) und Leading (führen).
1. Zustimmung (Pacing)
- Nehmen Sie die Einwände der anderen Person auf, indem Sie (nicht übertriebene) Zustimmung geben.
2. Gesprächsführung übernehmen (Leading)
- Vermeiden Sie das Wort „aber“, denn dies beugt Gegendruck vor.
- Greifen Sie ein Kernwort der anderen Person auf und argumentieren Sie, indem Sie Wortwendungen wie „gerade weil…“, „jedoch…“ oder „gleichzeitig…“ verwenden.
- Formulieren Sie am Ende Ihren Vorschlag.
Üben Sie die Alternativworte zum „aber“ im Alltag, damit Sie Ihnen in Konfliktsituationen wie selbstverständlich über die Lippen gehen.
nach René Borbonus
Beispiel aus der Praxis
Die radiologischen Ärztinnen und Ärzte einer kommunalen Klinik der Maximalversorgung mit jüngstem Ausbau der interdisziplinären Notaufnahme sind aufgrund von krankheitsbedingten Ausfällen und vakanten Stellen komplett unterbesetzt. Es drohen weitere Kündigungen wegen absoluter Überlastung.
Die Oberärztin des CT-Bereichs übernimmt die Aufgabe, das Gespräch mit der Klinikleitung zu führen. Bisher sind die Beschwerden aus dem Kollegium immer direkt mit wirtschaftlichen Argumenten abgeschmettert worden. Sie sammelt gemeinsam im Team Zahlen, Argumente und Vorschläge und möchte in den respektvollen Austausch mit dem Chefarzt und der leitenden Oberärztin gehen.
Der Chefarzt begrüßt die Kollegin bereits mit dem vermutlich witzig gemeinten Spruch „Na, wollen Sie sich wieder einmal beschweren? Wenn es Ihnen danach besser geht, halte ich es gerne für Sie aus“. Sie atmet einmal tief durch und macht sich bewusst, dass sie diese Äußerung nicht persönlich nehmen darf und das Gespräch auf die Sachebene ziehen muss, um konstruktiv voranzukommen. Sie präsentiert der Klinikleitung Daten wie die Aufzählung von Krankentagen, Häufigkeit von Diensten und Überstunden. Der Chefarzt wischt die Argumente weg und antwortet: „Ja, aber Sie wissen doch, dass wir angehalten sind zu sparen, und selbst wenn wir neue Stellen schaffen würden, wir können ja noch nicht mal die vakanten Stellen besetzen!“.
Die Oberärztin erinnert sich an die Kommunikations-Methode „Pacing und Leading“. Sie antwortet: „Sie haben Recht, dass wir wirtschaftlich arbeiten müssen. Gerade weil wir das wirtschaftliche Interesse mittragen, versuchen wir auch, allen Untersuchungen gerecht zu werden. Dies funktioniert mit der aktuellen Unterbesetzung nur aufgrund von Überstunden, die wiederum zu Krankheitsausfällen führen und auch Kündigungen nach sich ziehen, wie ich Ihnen in Zahlen bereits präsentiert habe. Gleichzeitig spricht sich das auch bereits in der Fachgesellschaft herum, so dass wir nicht als attraktive Arbeitsstelle gelten. Daher haben wir folgende Vorschläge für Sie…“. Die Klinikleitung ist offen für die konkreten Vorschläge der ärztlichen Mitarbeitenden.
Wenn wir die andere Person, sei es ärztliche und pflegerische Mitarbeitende oder Patientinnen und Patienten, mit ihren Bedürfnissen und Sorgen sehen, gelingt uns eine respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe. Viel Freude beim respektvollen Umgang miteinander, der allen in der Klinik und Praxis zugutekommt.
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.
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