
Wie können wir als Ärztin oder Arzt in Führung unsere Mitarbeitenden unabhängig von Geschlecht oder Elternschaft gerechter in der Weiterbildung und Karriereplanung fördern? Lesen Sie in diesem Artikel außerdem, welche Arbeitszeitmodelle wir in der Medizin etablieren können, um veränderten Familiensituationen und auch der Generation Z gerecht zu werden.
Wir Ärztinnen und Ärzte genießen im Studium eine lange und sehr gute Ausbildung. Im Wintersemester 2022/2023 waren laut statistischem Bundesamt im Medizinstudium insgesamt 108.130 Studierende in Deutschland eingeschrieben. Davon waren es 69.597 (64 Prozent) weibliche Studierende. Die Medizin wird bezogen auf das Studium seit 1999 weiblicher, denn seitdem gibt es mehr weibliche als männliche Studierende. Vergleichen wir hierzu die Ärztestatistik der Bundesärztekammer, so fanden sich zum 31.12.2022 insgesamt 421.303 berufstätige Ärztinnen und Ärzte, wobei der Anteil mit 206.527 Ärztinnen 49 Prozent ausmachte.
Der Deutsche Ärztinnenbund hat mit Update 2022 die Verteilung der Ärztinnen in Führungspositionen an den 38 staatlichen medizinischen Fakultäten in Deutschland aufgeschlüsselt (Deutscher Ärztinnenbund. Medical Women on Top, Update 2022); demnach waren im Erhebungszeitraum Dezember 2021 bis Februar 2022 nur 13 Prozent Klinikdirektorinnen (Chefärztinnen) und 18 Prozent Dekaninnen im Amt, obwohl bereits der Anteil an Oberärztinnen in den Jahren von 2016 bis 2022 von 31 Prozent auf 37 Prozent gestiegen war.
Hier darf und wird sich in den nächsten Jahren einiges in gerechtere Bahnen ändern (müssen). Wie jedoch können wir als Ärztin oder Arzt in Führung diese Entwicklung unterstützen und unsere Mitarbeitenden gerechter in der Weiterbildung und Karriereplanung fördern?
Diskriminierung erkennen und wandeln
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) hat die „Ergebnisse der Umfrage zur Erfassung der Parität von Ärztinnen in Führungspositionen und Gremien in Deutschland, Österreich und der Schweiz“ veröffentlicht, wobei von den 5.157 angeschriebenen Ärztinnen und Ärzten 469 (13 Prozent) geantwortet haben (61 Prozent weiblich, Busson-Spielberger M. et al. Gesundheitspolitische Schriftenreihe der DGHO Band 19, 2022.).
Die Ergebnisse zeigen, dass in der antwortenden Ärzteschaft 21 Prozent eine Diskriminierung wegen des Geschlechts (32 Prozent der Ärztinnen und nur 3 Prozent der Ärzte) und 15 Prozent wegen Mutter- / Vater- / Elternschaft (23 Prozent der Ärztinnen und 2 Prozent der Ärzte) selbst erlebt oder bei anderen wahrgenommen haben. Dabei stimmen 29 Prozent (35 Prozent Ärztinnen und 19 Prozent Ärzte) zu, dass Ärztinnen, die in Elternzeit gehen, benachteiligt werden, und 15 Prozent (15 Prozent Ärztinnen und 16 Prozent Ärzte), dass Ärzte, die in Elternzeit gehen, benachteiligt werden (Busson-Spielberger M. et al. 2022, siehe oben).
Können Sie als Ärztin oder Arzt in Führung sicher sagen, dass Sie Ihre Mitarbeitenden unabhängig von deren Elternrolle und/oder deren Geschlecht fördern und fordern? Woran machen Sie diese Gleichberechtigung fest? Gibt es eine Statistik, wie Operationen, Interventionen oder andere begehrte Tätigkeiten wie diagnostische Maßnahmen verteilt sind? Können Sie eine objektive Vergabe sicherstellen? Diskutieren Sie offen mit dem Team darüber und nehmen Sie Feedback hinsichtlich Ungleichbehandlung ernst.
Tipp
Manchmal ist gut gemeint nicht gut
Versuchen Sie, Mitarbeitende mit oder ohne Kinder gleich zu behandeln. Ein gut gemeintes Schonen von Müttern oder Vätern, z.B. sie nicht zu komplexen Operationen einzuteilen, weil diese eventuell (zu) lange dauern, kann das persönliche Vorankommen entscheidend behindern und/oder zu Demotivation führen. Lassen Sie die Mitarbeitenden selbst entscheiden, was sie sich zutrauen bzw. wie sie die häusliche Situation regeln. Bleiben Sie hingegen offen, falls konkrete Wünsche geäußert werden, bei denen Sie unterstützen können. Zum Beispiel könnte auch von vornherein eine Ablösung im OP vereinbart werden.
Teilzeit ermöglichen und die Vorteile sehen
In der DGHO Umfrage (Busson-Spielberger M. et al. 2022, siehe oben) wird ersichtlich, dass 41 Prozent der Antwortenden (49 Prozent Ärztinnen und 28 Prozent Ärzte) die Aussage bestätigen, dass Ärztinnen, die in Teilzeit gehen, Nachteile erfahren; für die Aussage, dass Ärzte, die in Teilzeit gehen, Nachteile erfahren, stimmten 22 Prozent (20 Prozent Ärztinnen und 25 Prozent Ärzte). Das ist insofern relevant, da laut Mikrozensus 2019 des Statistischen Bundesamtes Ärztinnen in 36 Prozent und Ärzte in 11 Prozent der Fälle unter 36 Stunden arbeiteten (vergleiche Blum M. Ärztestatistik: Mehr Köpfe, nicht mehr Arztstunden. Dtsch Arztebl 2021; 118(15): A-762 / B-641). Außerdem zeigte die Marburger Bund-Mitgliederabfrage eine Teilzeitbeschäftigung von 31 Prozent in 2022 (Marburger Bund, Zahlen-Daten-Fakten 2023).
Ärztinnen oder Ärzte in Führung haben die Möglichkeit, die Kultur im Team entscheidend mitzuprägen. Oft merken wir nicht, dass wir durch unbedachte Äußerungen zum Beispiel die Teilzeit-Kolleginnen und -Kollegen schlechter stellen. Dabei gibt es mittlerweile einige Studien, die zeigen, dass kürzere Arbeitszeiten genauso effektiv oder sogar effektiver sein können. Zum Beispiel wurde durch eine isländischen Langzeitstudie mit über 2.500 Arbeitenden, die einem Anteil von über 1 Prozent der arbeitenden Bevölkerung von Island entsprachen, demonstriert, dass eine Arbeitszeitverkürzung auf 35-36 Stunden verteilt auf vier Tage die Woche (ohne Gehaltskürzung), mit gleicher oder sogar gesteigerter Produktivität sowie Leistungserbringung einherging (Haraldsson G. & Kellam J. Going Public: Iceland’s journey to a shorter working week. Alda, Association for Democracy and Sustainability 2021). Das Autoren-Team Haraldsson und Kellam beschreibt zudem, dass die Gewerkschaften auf der Basis der Studienergebnisse die permanente Reduktion der Arbeitszeit für deren Mitglieder erwirken konnten, sodass ca. 86 Prozent der arbeitenden Bevölkerung von Island bereits kürzer arbeiten würde beziehungsweise das Recht dazu hätte.
Gerade hinsichtlich der zunehmend nachkommenden Generation Z, die für ihre deutliche Ausrichtung hin zur Life-Work-Balance bekannt ist, ist es wichtig, dass auch in der Medizin weitere Arbeitszeitmodelle genutzt werden.
Toolbox Führung
Offen bleiben für weitere Arbeitszeitmodelle in der Medizin
Gerade hinsichtlich des Fachkräftemangels und zur Steigerung der Mitarbeitenden-Bindung ist es sinnvoll, dass Sie in Ihrem Klinik-, Ambulanz- oder Praxisteam weitere Arbeitszeitmodelle diskutieren lassen:
Teilzeit: Gibt es Mitarbeitende, die früher aus der Elternzeit zurückkämen, oder die Sie zusätzlich gewinnen könnten, wenn diese in Teilzeit nur ein paar Stunden arbeiten könnten? Gibt es Stoßzeiten, wo eine Unterstützung sinnvoll wäre und andere Zeiten, wo auch mit weniger Personal eine gute Abdeckung möglich wäre? Bleiben Sie auch offen für den Gedanken, dass bei weniger Arbeitsstunden durch fokussiertes Arbeiten und mehr Motivation die Produktivität gleich bleiben kann. Überlegen Sie immer, welche Prozesse sie als Team noch optimieren könnten.
Jobsharing: Eröffnen Sie die Möglichkeit, dass sich auch zwei oder drei Ärztinnen und Ärzte eine Stelle oder einen Aufgabenbereich mitsamt der Verantwortung teilen. Hier lässt sich über eine vertrauensvolle Absprache sogar die Position der Chefärztin oder des Chefarztes aufteilen. Auf diese Weise können Führungspositionen und generell verantwortungsvolle Positionen von Müttern und Vätern mit reduzierter Arbeitszeit übernommen oder insgesamt flexibler gestaltet werden.
Gleitzeit / Funktionszeit: Bei der Gleitzeit werden bestimmte Kernarbeitszeiten festgelegt, in der die Mitarbeitenden anwesend sein müssen, jedoch darüber hinaus ihre Arbeitszeit sinnhaft verteilen können. In der Klinik-, Ambulanz- oder Praxis müssen natürlich die Funktionseinheiten entsprechend immer abgedeckt sein. Jedoch kann es durchaus auch sinnvoll sein, dass bei guter Absprache untereinander einige der Mitarbeitenden erst später beginnen und dafür länger bleiben. Ist es z.B. wirklich notwendig, dass alle Ärztinnen und Ärzte bei der Frühbesprechung dabei sein müssen, nur weil es schon immer so war?
Homeoffice: Was in „normalen“ Unternehmen bereits üblich ist, kann auch mit entsprechender Planung und Absprache in der Klinik, Ambulanz und Praxis möglich sein. Schließlich gibt es bei dem hohen Anteil an Dokumentations- und Bürozeit wie Arztbriefe und OP-Berichte schreiben bzw. diktieren sowie Therapiepläne erstellen, Qualitätsmanagement etc. durchaus Möglichkeiten, diese Aufgaben von zuhause zu erledigen. Gerade durch die fortschreitende Digitalisierung wird es zunehmend einfacher sein, auf die hierfür notwendigen Dokumente auch im Homeoffice zuzugreifen. Dafür braucht es jedoch die grundsätzliche Akzeptanz und das Vertrauen, dass Homeoffice in der Medizin möglich ist, damit es „erlaubt“ wird und auch die technischen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden.
Vertrauen Sie darauf, dass ein gut funktionierendes Team mit zufriedenen Mitarbeitenden sich gut selbst organisieren kann – Sie müssen jedoch dazu auch die Möglichkeit lassen. Hierzu können New Work Ansätze in der Medizin umgesetzt werden (lesen Sie hierzu auch die Artikel aus der Reihe Ärztinnen und Ärzte in Führung „New Work in der Medizin umsetzen“ und „New Work in der Medizin einfach machen“).
Beispiele dafür, dass gerade Chefärztinnen sich erfolgreich eine Stelle und somit die Verantwortung teilen können, finden sich nicht nur in kleineren Häusern als Trio (vergleiche zum Beispiel Geteilte Führung: Das Chefärztinnen-Trio), sondern auch zumindest an einer staatlichen medizinischen Fakultät im Bereich der Allgemeinmedizin (vergleiche Richter-Kuhlmann E. Arbeitszeitmodelle: Weibliche Doppelspitze. Dtsch Arztebl 2018; 115(10): A-420 / B-366 / C-366).
Merke
Die Position als Chefärztin oder Chefarzt kann als Doppelspitze oder sogar Trio geteilt werden, wie bereits einige Beispiele beweisen.
Gerechte Chancen bei Publikationen
Als Grundlage für eine akademische Karriere als Arzt oder Ärztin sind wissenschaftliche Publikationen notwendig. Um einen höheren Anteil an Chefärztinnen und Dekaninnen zu ermöglichen, ist auch eine Förderung der Ärztinnen hinsichtlich Forschung und Publikationen notwendig. In der Arbeit von Hart K. L. & Perlis R. H. (Trends in Proportion of Women as Authors of Medical Journal Articles, 2008-2018. JAMA Intern Med. 2019; 179(9):1285-1287) wurden in neun medizinischen Fachgebieten im Zeitraum 1. Januar 2008 bis 1. August 2018 in den 15 Fachzeitschriften mit höchsten Impact Factors für 2016 verglichen, wie die Geschlechter verteilt sind; auch wenn insgesamt über die Fachbereiche die Anzahl an Autorinnen über die Jahre gestiegen ist, waren sie noch deutlich seltener als Autoren in den untersuchten Fachzeitschriften zu finden, was sich besonders in der Position als Letztautorin ausprägte. Dabei deckte die Arbeit auf, dass Artikel mit einer weiblichen Letztautorin 13 Prozent häufiger eine weibliche Erstautorin hatten.
Auch bei eingeladenen Kommentaren, die von Expertenwissen auf den entsprechenden Gebieten zeugen, gibt es bisher noch eine Ungleichverteilung bezogen auf das Geschlecht. Wie die Analyse von Thomas E. G. et al. (Gender Disparities in Invited Commentary Authorship in 2459 Medical Journals. JAMA Netw Open. 2019; 2(10):e1913682) ergab, war im Fünfjahres-Zeitraum von 2013 bis 2017 bezogen auf 2.459 Fachzeitschriften die Wahrscheinlichkeit, einen eingeladenen Kommentar zu schreiben, für Frauen 21 Prozent geringer als für Männer, wenn diese im gleichen medizinischem Bereich und mit gleichen Publikationswerten seit im Median 19 Jahren aktiv waren.
Achten Sie daher als Ärztin oder Arzt in Führung darauf, auch Ärztinnen zu ermutigen, sich an wissenschaftlichen Publikationen zu beteiligen und bringen Sie diese ins Gespräch für eingeladene Kommentare, wenn sie darauf einen Einfluss haben. Für ein effektives und zufriedenes Team ist es wichtig, unabhängig vom Geschlecht oder der Elternschaft das Potential aller voll auszuschöpfen. Viel Freude beim Fördern Ihres Teams.
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Expertin für Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen, Professorin für Health Care an der AKAD Hochschule Stuttgart sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen und begleitet Ärztinnen und Ärzte, aber auch andere Führungskräfte aus dem Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen.
Sie möchten mehr erfahren? Kontaktieren Sie die Autorin gerne zu den Themen Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen unter info@sonjaguethoff.com und nutzen Sie die Fortbildungsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte unter www.instgag.com.