
Am Flughafen München starten und landen täglich Flugzeuge zu mehr als 200 Zielen in aller Welt. Damit alles rund läuft, arbeiten hier mehrere Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Arbeitsmediziner Dr. Stefan Fricke betreut mit seinem Team den Flughafen als Betriebsarzt. Was seine Aufgaben sind und welche Voraussetzungen es für diesen Job gibt, verrät er im Interview.
Herr Dr. Fricke, was ist besonders interessant an Ihrer Arbeit als Betriebsarzt am Münchner Flughafen?
Dr. Stefan Fricke: Eindeutig die Vielfalt. Ein Flughafen ist eine Welt für sich. Hier wird rund um die Uhr, das ganze Jahr über, in Schichtdiensten gearbeitet. Besonders faszinierend ist die Bandbreite der Jobs, die man hier findet – nahezu jede Berufsgruppe ist vertreten.
Außenstehende haben da wenig Einblick. Um welche Berufsfelder und Mitarbeitende kümmern Sie sich?
Dr. Stefan Fricke: Wir decken fast alle denkbaren Bereiche ab. Es gibt Elektriker, Ingenieure, Flugzeugbetanker, Gepäckabfertiger, Mitarbeitende in der Lackiererei, in der Schreinerei und in der Kfz-Werkstatt. Wir haben sogar ein eigenes kleines Kraftwerk für die Energieversorgung. Dann gibt es natürlich die klassischen kaufmännischen Bereiche wie unter anderem Controlling und Einkauf. Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Shops und der Gastronomie sind wir da. Übrigens war der Münchner Flughafen der erste weltweit, der eine eigene Brauerei eröffnete. Wegen der Tiertransporte sind sogar Tierpfleger und Tierärzte am Flughafen beschäftigt. Und last but not least arbeitet auch ein Jäger auf dem Flughafengelände. Es ist also sehr bunt. Mein Team kümmert sich um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Flughafen München Gesellschaft (FMG) und um die Beschäftigten der Tochtergesellschaften. Außerdem betreuen wir als externe Dienstleister einige am Flughafen ansässige Firmen. Insgesamt ist meine Abteilung Arbeitsmedizin für rund 12.000 Beschäftigte zuständig.
Und was ist mit dem Kabinenpersonal und die Pilotinnen und Piloten?
Dr. Stefan Fricke: Eigentlich ist ein Flughafen-Betriebsarzt nur für das Personal eines Flughafens zuständig, nicht aber für das Personal der Airlines, aber bei uns ist das anders. Wir betreuen auch das fliegende Personal einiger Airlines, was eher eine Besonderheit ist. Das gibt es nicht an jedem Flughafen. Das hängt damit zusammen, dass ich nicht nur Allgemein- und Arbeitsmediziner bin, sondern auch Flugmediziner. Diese Zusatzqualifikation berechtigt mich, flugmedizinische Tauglichkeitsuntersuchungen der Klasse 1 und 2 durchzuführen.
Wohin wenden sich erkranke Passagiere?
Dr. Stefan Fricke: An die Notfallambulanz, die rund um die Uhr besetzt ist, und von der externen Firma MediCare betrieben wird. Auch akut erkrankte Mitarbeitende oder Arbeitsunfälle werden dort versorgt. MediCare hat zudem eine Klinik auf dem Gelände, die unabhängig von uns arbeitet.
Früher war das Bild von Betriebsärztinnen und -ärzten, sagen wir mal, sehr eingeschränkt: Impfungen, Hör- und Sehtests – das war's. Was sind eigentlich Ihre Aufgaben am Flughafen?
Dr. Stefan Fricke: Grundsätzlich ist die arbeitsmedizinische Betreuung im Arbeitssicherheitsgesetz geregelt. Prävention und Schutz stehen dabei im Vordergrund. Natürlich ist auch die Lärmvorsorge in den ausgewiesenen Lärmschutzbereichen, in denen Flugzeuge rollen oder parken, ein sehr wichtiges Thema für uns. Alles in allem reichen unsere Aufgaben von regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen über Arbeitsplatzbegehungen bis hin zu umfassenden Gefährdungsbeurteilungen und Eignungsuntersuchungen. Dabei beraten wir sowohl die Beschäftigten als auch den Arbeitgeber. Insgesamt hat sich unser Aufgabenspektrum im Laufe der Zeit von der reinen Vorsorgemedizin zu einem ganzheitlichen Ansatz entwickelt, bei dem wir uns intensiv mit den spezifischen Belastungen der verschiedenen Beschäftigtengruppen auseinandersetzen. Auch das Betriebliche Eingliederungsmanagement hat heute einen anderen Stellenwert als noch vor 20 Jahren. Unser oberstes Ziel ist es, die Gesundheit der Mitarbeitenden so zu fördern, dass sie ihren Beruf möglichst lange, bestenfalls bis zum Rentenalter, ausüben können.
Können Sie den "ganzheitlichen Ansatz" konkretisieren?
Dr. Stefan Fricke: Ein Beispiel sind spezielle Check-ups für Führungskräfte, die aufgrund ihrer verantwortungsvollen Position oft besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Oder nehmen wir die Beurteilung von Arbeitsplätzen, die ein hohes technisches Verständnis voraussetzen. Hier müssen wir die Anforderungen des jeweiligen Arbeitsplatzes genau kennen, um differenzieren zu können: Kann der Beschäftigte trotz seiner Einschränkungen seine Aufgaben sinnvoll erfüllen oder sind Anpassungen notwendig, um seine Gesundheit zu schützen? Ist vielleicht sogar ein Arbeitsplatzwechsel nötig, weil die bisherige Tätigkeit nicht mehr möglich ist?
Erinnern Sie sich an eine besondere Situation, in der ein Arbeitsplatzwechsel notwendig wurde?
Dr. Stefan Fricke: Sagen wir es mal so: So etwas kommt immer mal wieder vor. Stellen Sie sich einen erfahrenen Feuerwehrmann vor, dessen körperliche Belastbarkeit mit der Zeit nachgelassen hat, massive Rücken- und Knieprobleme beeinträchtigen ihn. Nach Beratungen mit dem Arbeitgeber wird ihm beispielsweise der Wechsel in die Feuerlöscher-Werkstatt ermöglicht, wo er nun bei der Wartung und Instandhaltung der Löschgeräte mitarbeitet. Er muss nicht mehr blitzschnell die Rutsche hinunterrutschen, in den Schutzanzug flitzen und 30 Sekunden später draußen am Flugzeug stehen. Die extremen körperlichen Anforderungen seiner früheren Tätigkeit fallen weg und stattdessen hat er jetzt einen strukturierten, ruhigeren Arbeitsalltag. Solche Lösungen schonen die Betroffenen nicht nur, sondern machen sie zufriedener.
Spätestens seit der Corona-Pandemie ist bekannt, dass Infektionen an Orten mit vielen Menschen ein Risiko darstellen. Der Flughafen München verzeichnete im Jahr 2023 mit rund 135.000 Passagieren einen Tagesrekord. Welche Berufsgruppen sind hier besonders von einem erhöhten Infektionsrisiko betroffen?
Dr. Stefan Fricke: Ein potenzielles Infektionsrisiko besteht beispielsweise für alle, die mit Abwässern in Kontakt kommen. Zum Beispiel das Personal, das die Flugzeugtoiletten leert. Wie entscheidend ein ausreichender Impfschutz ist, zeigt folgendes Szenario: An den Kontrolleuren, die von der Sicherheitsgesellschaft München gestellt werden, laufen den ganzen Tag über dicht an dicht Passagiere vorbei. Nehmen wir an, einer davon ist an Masern erkrankt. Wäre der Impfstatus der Kontrolleure nicht bekannt, müssten Dutzende von ihnen in Quarantäne, was zu erheblichen Personalengpässen und längeren Wartezeiten bei der Passagierabfertigung führen könnte. Deshalb ist die Überprüfung des Impfstatus der Kontrolleure essenziell für einen reibungslosen Ablauf. Denn nur bei einem ausreichendem Impfschutz könnten sie ihre Arbeit normal fortsetzen.
Wie sieht es in der Luft aus? Welchen Belastungen sind Pilotinnen und Piloten und Kabinenpersonal ausgesetzt?
Dr. Stefan Fricke: Diese Berufsgruppen haben nicht nur Schichtdienst, sondern Schichtdienst mit Zeitverschiebung. Das heißt, sie starten vielleicht um vier Uhr morgens, fliegen dann über mehrere Zeitzonen, kommen zu einer ganz anderen Zeit in ihrem Zielland an und müssen vielleicht zwei Tage später wieder abfliegen und landen wieder zu einer anderen Zeit. Das bringt den ganzen Biorhythmus völlig durcheinander. So eine körperliche Doppelbelastung darf man nicht unterschätzen. Hinzu kommen die Druckschwankungen beim Steig- und Sinkflug sowie die Belastungen der Schleimhäute durch die sehr trockene Kabinenluft. Besonders wichtig ist das Kabinenpersonal vor allem aber bei Notfällen, denn es ist auch für die Sicherheit an Bord bzw. die schnelle Evakuierung der Passagiere bei einer Notlandung zuständig. Das setzt eine gewisse körperliche, aber auch psychische Gesundheit voraus. Deshalb sind die fliegerärztlichen Untersuchungen für die Pilotinnen und Piloten und die Tauglichkeitsuntersuchungen für das Kabinenpersonal so wichtig.
Gibt es spezielle Abteilungen, mit denen Ihre Abteilung zusammenarbeitet?
Dr. Stefan Fricke: Es gibt eine Zusammenarbeit zwischen uns und dem Gesundheitsmanagement, einer Unterabteilung des Arbeitsschutzes. Gemeinsam erarbeiten wir zum Beispiel präventive Sportangebote, um Langzeitschäden vorzubeugen, wobei wir die medizinische Expertise beisteuern. Das können spezielle Kräftigungsprogramme für Gepäckabfertiger sein oder Kurse zur Stärkung der psychischen Gesundheit. Um die Fitness der Belegschaft zu fördern, gibt es am Flughafen ein umfangreiches Sportangebot. Hier können wir den Trainern und Physiotherapeuten gezielt Hinweise geben, worauf bei bestimmten Mitarbeitenden zu achten ist.
Kommen Beschäftigte auch mit ungewöhnlichen Fragen zu Ihnen, mit solchen, die über den rein arbeitsmedizinischen Bereich hinausgehen?
Dr. Stefan Fricke: Ja, das kommt gelegentlich vor. Ich denke da an den Cargo-Bereich, also die Luftfracht, wo die Frachtstücke geröntgt werden. Da taucht schon mal die Frage auf, ob die großen Frachtstücke, die gerade den Röntgenscanner durchlaufen haben, für die Mitarbeitenden ein Gesundheitsrisiko darstellen könnten. Ich kann sie dann beruhigen und ihnen versichern, dass sie keiner Strahlenbelastung ausgesetzt sind.
Mit Blick auf die demografische Entwicklung ist klar: Die Belegschaften werden älter. Was sind die besonderen Herausforderungen an einem Flughafen?
Dr. Stefan Fricke: Auch wir haben Mitarbeitende, die noch die gleichen körperlich sehr anstrengenden Tätigkeiten ausüben wie vor 20 Jahren. Aber sie sind bei weitem nicht mehr so belastbar. Manche Kolleginnen und Kollegen müssen immer noch 800 Koffer am Tag heben; jeder wiegt zwischen 20 und 30 Kilogramm. Besonders hart ist die Be- und Entladung im hinteren Teil des Flugzeugs, wo die Loader auf Knien und mit eingezogenem Kopf diese Koffer einzeln stapeln und einzeln wieder herausholen müssen ...
... während der Passagier am Gepäckband steht und murmelt: "Wann kommt endlich mein Koffer?"
Dr. Stefan Fricke: Dieser Zeitdruck kommt dazu. So ein Loader-Job am Flughafen ist einer der härtesten, aber der, der am wenigsten gesehen wird. Es ist auch nicht mehr so einfach, neue Leute dafür zu gewinnen, weil die Bezahlung sicherlich nicht zu den besten gehört. Es wird zwar an Robotik-Prototypen gearbeitet, die körperliche Entlastung bringen sollen, aber noch existiert keine Lösung dafür.
Sie blicken auf ein langes Berufsleben zurück. Hat die Fliegerei sie schon immer fasziniert?
Dr. Stefan Fricke: So ist es, schon als Kind war ich begeistert davon. Später habe ich bei der Bundeswehr Medizin studiert und dann als Fliegerarzt in einem Jagdgeschwader der Luftwaffe gearbeitet. Nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr habe ich mich zunächst als Hausarzt niedergelassen. Irgendwann hatte ich – salopp gesagt – genug vom Kassensystem und habe mich zum Facharzt für Arbeitsmedizin weitergebildet. Dann bin ich in den werksärztlichen Dienst bei BMW in Dingolfing gewechselt.
Haben Sie sich dann aktiv um die Stelle des Leitenden Arbeitsmediziners am Flughafen München beworben?
Dr. Stefan Fricke: Nein, das hat sich 2016 zufällig ergeben. Ein Headhunter auf der Suche nach einem geeigneten Kandidaten hat mich für diese Position angesprochen und den Kontakt hergestellt. So bin ich wieder bei der Fliegerei gelandet.
Sie haben auch eine Facharztausbildung zum Arbeitsmediziner gemacht. Ist das der einzige Weg, um als Betriebsarzt oder Betriebsärztin an einem Flughafen arbeiten zu können?
Dr. Stefan Fricke: Das ist nicht zwingend so. Grundsätzlich kann auch eine Ärztin oder ein Arzt mit der Zusatzbezeichnung "Betriebsmedizin" für diese Position in Frage kommen. In unserem Team am Flughafen München legen wir jedoch großen Wert auf höchste Qualitätsstandards. Deshalb beschäftigen wir ausschließlich ausgebildete Fachärztinnen und Fachärzte für Arbeitsmedizin oder Ärztinnen und Ärzte, die sich in dieser umfangreichen Weiterbildung befinden. Denn gerade diese Facharztweiterbildung macht den entscheidenden Qualitätsunterschied zur kürzeren Zusatzbezeichnung "Betriebsmedizin" aus. Aus diesem Grund bezeichnen wir uns bewusst als Zentrum für Arbeitsmedizin.
Wie groß ist Ihr Team, das 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Seite steht?
Dr. Stefan Fricke: Es sind sieben Ärzte und zehn medizinische Fachangestellte. Im Gegensatz zur Notfallambulanz am Flughafen mit ihrem Rund-um-die-Service haben wir geregelte Arbeitszeiten ohne Wochenend- und Bereitschaftsdienste. Das ist sehr angenehm und auch familienfreundlich.