Zusatz-Weiterbildung Betriebsmedizin: Dauer, Inhalte, Voraussetzungen

10 Mai, 2024 - 08:53
Stefanie Hanke
Junger Arzt im Gespräch mit Patientin

Betriebsmediziner und -medizinerinnen treten überall da in Erscheinung, wo Menschen arbeiten: vom Büro bis zur Ölbohr-Plattform. Wer in diesem Bereich tätig sein möchte, kann entweder die Facharzt-Weiterbildung Arbeitsmedizin absolvieren, oder sich mit einer anderen Facharzt-Anerkennung über die Zusatz-Weiterbildung Betriebsmedizin qualifizieren. Wie die Zusatz-Weiterbildung abläuft und welche Voraussetzungen es dafür gibt, erfahren Sie im Beitrag.

Auf einen Blick: Zusatz-Weiterbildung Betriebsmedizin

  • Definition: Die Betriebsmedizin beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Arbeitswelt und Gesundheit. Dazu zählen Maßnahmen zum Erhalt und zur Förderung der psychischen und physischen Gesundheit arbeitender Menschen und die Behandlung arbeitsbedingter Erkrankungen.
  • Voraussetzungen: Facharztanerkennung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung
  • Dauer: 360 Stunden Kurs-Weiterbildung in Arbeitsmedizin / Betriebsmedizin und 1.200 Stunden betriebsärztliche Tätigkeit. Diese Tätigkeit kann durch 9 Monate Weiterbildung ersetzt werden.
  • Anzahl der Ärzte: In Deutschland sind 7.522 Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin" bei den Kammern registriert. Davon sind 4.046 berufstätig.

In der Fabrik für den Arbeitsschutz sorgen oder im Büro ergonomische Arbeitsplätze einrichten? Beides gehört zu den Aufgaben von Betriebsmedizinerinnen und -medizinern. Während nur große Unternehmen eigene Werksärztinnen und -ärzte einstellen, gibt es auch die Möglichkeit, niedergelassen oder angestellt in einer Praxis zu arbeiten und mehrere kleine und mittlere Unternehmen parallel zu betreuen.

Die Arbeits- bzw. Betriebsmedizin beschäftigt sich vor allem mit der Prävention, aber auch der Früherkennung und der Rehabilitation von arbeitsbedingten Erkrankungen. Ärztinnen und Ärzte in diesem Bereich beraten beispielsweise Arbeitgeber bei Fragen des medizinischen Arbeitsschutzes, finden Gesundheitsrisiken in den Arbeitsabläufen eines Betriebes, erstellen Präventionsprogramme, bauen Konzepte für die Erste Hilfe auf, engagieren sich im Gesundheitsmanagement und unterstützen Beschäftigte, die nach längerer Erkrankung wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Sind sie in einem Betrieb direkt vor Ort, werden Betriebsärztinnen und -ärzte bei medizinischen Notfällen gerufen. Darüber hinaus haben sie aber mit der Therapie von Erkrankungen nicht so viel zu tun.

Perfekt für Quereinsteiger aus anderen Fachgebieten

Wer schon im Studium von einer Arbeit in diesem Bereich träumt, für den ist die Facharzt-Weiterbildung Arbeitsmedizin die richtige Wahl. Allerdings ist die Betriebsmedizin auch ein dankbares Fach für Quereinsteiger und zieht viele Ärztinnen und Ärzte an, die dem Klinik-Stress den Rücken kehren und etwas anderes ausprobieren möchten. Für diese Menschen ist die Zusatz-Weiterbildung Betriebsmedizin eine gute Idee: Voraussetzung hierfür ist eine Facharzt-Anerkennung in einem anderen Gebiet der Patientenversorgung.

Für alle, die Wert auf eine gute Work-Life-Balance legen, hat der Wechsel von der Klinik in die Betriebsmedizin viele Vorteile. Dazu zählen beispielsweise regelmäßige Arbeitszeiten, keine Dienste, flexible Arbeitszeitmodelle und ein breites Feld an abwechslungsreichen Aufgaben. Speziell Ärztinnen und Ärzte, die für mehrere Unternehmen tätig sind, müssen sich darauf einstellen, viel unterwegs zu sein. Sie verbringen nicht den gesamten Arbeitstag in einer Klinik oder Praxis, sondern besuchen die unterschiedlichen Auftraggeber. Dort begehen sie Produktionsstätten oder kümmern sich um die ergonomische Ausstattung von Büros, führen Augenuntersuchungen durch oder impfen gegen die Grippe. Das Aufgabenspektrum entspricht damit dem der Ärztinnen und Ärzte, die sich schon in der Facharzt-Weiterbildung auf den Bereich Arbeitsmedizin spezialisiert haben.
 


Betriebsmediziner werden: Die Zusatz-Weiterbildung im Überblick

Dauer der Weiterbildung

  • 360 Stunden Kurs-Weiterbildung gemäß § 4 Abs. 8 in Arbeitsmedizin/Betriebsmedizin und zusätzlich
  • 1.200 Stunden betriebsärztliche Tätigkeit unter Befugnis.

Die betriebsärztliche Tätigkeit kann ersetzt werden durch 9 Monate Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten.

Inhalte der Weiterbildung

Übergreifende Inhalte der Zusatz-Weiterbildung Betriebsmedizin

  • Wesentliche Gesetze, Verordnungen, Regeln und Empfehlungen, insbesondere Arbeitsschutzgesetz, Arbeitssicherheitsgesetz, Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge und Präventionsgesetz
  • Duales Arbeitsschutzsystem durch den Staat und die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung
  • Betriebliche Organisationsstrukturen und Ablaufprozesse
  • Beratung von Arbeitgebern, Beschäftigten und deren Interessenvertretungen im Fall arbeitsbedingter Gefährdung der Gesundheit einschließlich psychischer Belastung und Beanspruchung
  • Berufskunde
  • Konzepte der Arbeitsmedizin, z. B. Belastungs-Beanspruchungs-Konzept und Dosis-Wirkungs-Beziehungen
  • Grundlagen der Epidemiologie und Statistik
  • Arbeitsphysiologie
  • Grundlagen der Sozialmedizin
  • Grundlagen der Reise-, Tropen- und Flugmedizin
  • Beratung über gesundheitsgerechtes Verhalten im Ausland einschließlich der Expositionsprophylaxe, gesundheitliche Einschränkungen sowie bei Reisen während der Schwangerschaft

Arbeitsmedizinische Diagnostik

  • Berufsbezogene Risiken
  • Berufsanamnese mit Erhebung von berufsbezogenen Risiken und Symptomen
  • Untersuchungen zur Bewertung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit sowie der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit, insbesondere
    • Lungenfunktionsprüfung
    • Ergometrie
    • apparative Techniken zur orientierenden Untersuchung des Hör- und Sehvermögens
  • Indikationsstellung und Befundinterpretation radiologischer Untersuchungen

Primärprävention

  • Verhältnisprävention und Verhaltensprävention einschließlich Arbeitsplatzgestaltung, Ergonomie, Arbeitshygiene und Unfallprävention
  • Betriebs- und Arbeitsplatzbegehung, Arbeitsplatzbeurteilung, Gefährdungsbeurteilung einschließlich psychischer Belastungen, Risikobeurteilung, z. B. für besondere Beschäftigungsgruppen wie Jugendliche, Schwangere, leistungsgewandelte Beschäftigte
  • Beratung zu Maßnahmen der Verhaltensprävention, Präventionsberatung
  • Beurteilung von Messergebnissen verschiedener Arbeitsumgebungsfaktoren, z. B. Lärm, Klima, Beleuchtung, Gefahrstoffe
  • Beratung zur Auswahl von persönlichen Schutzausrüstungen, z. B. beim Umgang mit Gefahrstoffen
  • Grundzüge der Pandemieplanung im Betrieb
  • Durchführung von Maßnahmen der Infektionsprophylaxe im Betrieb
  • Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb

Sekundärprävention

  • Früherkennungsuntersuchungen bei Risikofaktoren und arbeitsbedingten Erkrankungen
  • Vorsorgeuntersuchungen gemäß Verordnung arbeitsmedizinischer Vorsorge
  • Eignungsuntersuchungen und -beurteilungen nach entsprechenden Rechtsverordnungen einschließlich verkehrsmedizinischer Untersuchungen

Tertiärprävention

  • Beratung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement einschließlich individueller Einzelmaßnahmen
  • Medizinische, arbeitsplatzbezogene, betriebliche und soziale Rehabilitation
  • Beratung zur Arbeitsplatzgestaltung bei Beschäftigten, z. B. mit chronischen Erkrankungen und bei leistungsgewandelten Beschäftigten

Arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten

  • Berufskrankheiten gemäß SGB VII und Berufskrankheiten-Verordnung
    • durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten
    • durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten
    • Infektionskrankheiten und Tropenkrankheiten
    • Atemwegserkrankungen
    • Hautkrankheiten
  • Meldung des Verdachts von Berufskrankheiten gemäß SGB VII
  • Arbeits(mit)bedingte Erkrankungen
  • Beteiligung am Feststellungsverfahren für Berufskrankheiten
  • Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Volkskrankheiten

Arbeitstoxikologie

  • Toxikologische Grundlagen
  • Grundlagen der Kanzerogenese
  • Biomonitoring am Arbeitsplatz
  • Ambient Monitoring
  • Beurteilung chemischer Belastungen und Beanspruchungen
  • Beratung beim Umgang mit Gefahrstoffen

Arbeit und psychische Gesundheit

  • Grundlagen psychischer und psychosomatischer Krankheitsbilder und Symptome
  • Grundlagen der Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie einschließlich betrieblichem Konflikt- und Stressmanagement
  • Beurteilung psychischer Belastungen und Beanspruchungen
  • Beratung und Begleitung im Rahmen betrieblicher Suchtprävention
  • Auswirkungen kultureller Faktoren und Einflüsse auf den Zusammenhang von Arbeit und psychischer Gesundheit

Betriebliches Gesundheitsmanagement

  • Grundlagen der Förderung der Gesundheit der Bevölkerung in der Arbeitswelt
  • Grundsätze der Salutogenese
  • Grundsätze gesunder Führung
  • Instrumente der Gesundheitsförderung
  • Koordination von Präventionsdienstleistern im Betrieb

Quellen: Musterweiterbildungsordnung 2018 der Bundesärztekammer, Ärztestatistik der Bundesärztekammer 2023

Das könnte Sie auch interessieren: