Ambulant angestellt in Praxis und MVZ: Worauf muss ich achten?

20 Oktober, 2021 - 06:07
Gerti Keller
Junge Ärztin im Wartezimmer mit vier Patienten

Immer mehr Ärztinnen und Ärzte lassen sich in Praxen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) anstellen – doch die Konditionen können sehr unterschiedlich ausfallen, von der Vergütung bis zu lohnenswerten Zusatzleistungen. Welche Regeln gelten für Arbeitsverträge, die sich auf dem „freien Markt“ nicht an Tarifbestimmungen halten müssen? Erstaunlich wenig… Stefanie Gehrlein, Justiziarin vom Marburger Bund Bundesverband (MB), gibt Auskunft.

Feste Arbeitszeiten, oft mehr Patientennähe und eine prima Möglichkeit, sich erst mal über eine eventuelle eigene Niederlassung schlau zu machen: Das sind für viele Mediziner gute Gründe, sich in einem MVZ oder einer Praxis anstellen zu lassen. Und es werden immer mehr, auch weil die Möglichkeiten dafür in den letzten Jahren gesetzlich flexibilisiert wurden. Inzwischen ist fast jeder Dritte in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung angestellt. 2020 waren es insgesamt mehr als 40.000 Ärztinnen und Ärzte.

Die einen schätzen die familienfreundlichen Teilzeitmöglichkeiten, die anderen die flachen Hierarchien. Für viele ist es auch die perfekte Vorbereitung auf die Selbstständigkeit ohne sofort ein ökonomisches Risiko einzugehen. Denn man erhält einen authentischen Einblick in die Abläufe und Praxisorganisation, von der Materialbestellung über die Abrechnung bis zur Mitarbeiterführung. Dafür ist das Einkommen teilweise geringer. So verdienen manche im Gegensatz zu den Kollegen im Krankenhaus wesentlich weniger. Denn Achtung: Für den ambulanten Bereich existieren im Gegensatz zum stationären keine flächendeckenden Tarifverträge.

Warum eigentlich nicht? Der einfache Grund ist, dass dafür eine Gewerkschaft mit einem Arbeitgeberverband verhandeln müsste, und den gibt es hier einfach nicht. Einzige Ausnahme: In Rheinland-Pfalz haben die Hausärzte einen Arbeitgeberverband gegründet und da finden aktuell auch Verhandlungen statt. Tarifverträge mit der KV oder den Kammern sind aus rechtlichen Gründen schlichtweg nicht möglich. Doch was heißt das nun eigentlich für den Vertragsabschluss?

Alles ist frei verhandelbar

„Es lässt sich im Grunde alles vereinbaren, was nicht gegen das Gesetz verstößt. Jede einzelne Arbeitsbedingung muss oder kann zwischen Arbeitnehmer und -geber individuell ausgehandelt werden. Der Erfolg wird daher hauptsächlich vom persönlichen Verhandlungsgeschick bestimmt“, erläutert Stefanie Gehrlein. Und dabei geht’s nicht nur um die Höhe des Gehalts. Denn ein Arbeitsvertrag kann viel mehr regeln. Dazu zählen beispielsweise die Vergütung von Überstunden, die Anzahl der Fortbildungstage, eine betriebliche Altersvorsorge und noch einiges andere mehr. „Das alles gehört eigentlich in einen Arbeitsvertrag, steht aber oft überhaupt nicht drin. Dann kann dieses wichtige Dokument auch sehr kurz ausfallen, was es nicht sollte“, erklärt die Justiziarin vom Marburger Bund (MB).

Was enthalten sein muss, sind lediglich die wesentlichen Vertragsbedingungen. Es gibt zudem gesetzliche Mindeststandards. So sieht das Arbeitsrecht einen Mindesturlaub von 20 Tagen im Jahr vor sowie die Entgeltfortzahlung von sechs Wochen im Krankheitsfall und Kündigungsfristen, die von beiden Seiten eingehalten werden müssen. Nicht gerade viel, oder?

Gibt es sogar Luft nach oben?

Aber: Es ist durchaus möglich, dass man mehr für sich herausholt, als es ein Tarifvertrag vorsieht. „Jeder Vertrag ist anders. Wir haben zwei große Umfragen unter ambulant angestellten Ärztinnen und Ärzten durchgeführt. Sie zeigten, dass wir bei jeder einzelnen Vertragsbedingung im ambulanten Bereich eine riesige Bandbreite haben. Das gilt insbesondere für die Vergütung. Das geht wirklich los mit Verträgen, bei denen man sich die Augen reibt, wie niedrig das Gehalt ist, bis hin zu Einigungen, nach denen sich jeder Krankenhausarzt die Finger lecken würde“, so Gehrlein. Empfehlenswert sei generell, sich am tariflichen Oberarztgehalt zu orientieren. „Alles, was darunter liegt, ist für uns keine gute Bezahlung“, konstatiert Gehrlein und fügt an: „Wieviel Spielraum man insgesamt hat, hängt natürlich auch vom Fachgebiet ab, vom Arbeitgeber, der Lage der Praxis oder der technischen Ausstattung.“

Grundlage der Verhandlung kann ein Mustervertrag für angestellte Ärztinnen und Ärzte der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung sein, auf den Praxisinhaber gerne zurückgreifen. Eine arbeitnehmerfreundlichere Variante hält der MB für seine Mitglieder bereit – und bietet ihnen darüber hinaus Rechtsberatung an. „Es ist vielleicht noch nicht so bekannt, weil es früher nicht so viele waren, aber wir vertreten auch die angestellten, ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte und zwar vollumfänglich. Unsere Juristinnen und Juristen in den Landesverbänden beraten sie vor und nach der Unterschrift, auch zum Beispiel zu Themen wie Elternzeit bis hin zur Vertretung vor dem Arbeitsgericht“, informiert Gehrlein.

Ist bald jeder Zweite angestellt?

Und die Nachfrage nach Beratung steigt. Allein in den letzten sechs Jahren hat sich die Zahl der angestellten Ärztinnen und Ärzte in Praxen und MVZ mehr als verdoppelt. Experten prognostizieren, dass in gar nicht so ferner Zukunft sogar die Hälfte der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte angestellt sein wird. Bislang sind sie ungefähr zu einem Drittel in Einzelpraxen tätig und zu zwei Dritteln in Berufsausübungsgemeinschaften sowie in MVZ – mit steigender Tendenz zu größeren Einheiten. „Gerade die jüngeren Ärztinnen und Ärzte legen großen Wert darauf, in kooperativen Strukturen zu arbeiten. Denn dort finden sie Kolleginnen und Kollegen, um sich fachlich auszutauschen“, begründet Gehrlein. Doch nicht alle bleiben da: „Sie nutzen es zunehmend als Start ins Berufsleben, um sich nach der Ausbildung im stationären Bereich erstmal zu orientieren, wohin die Reise geht“, sagt Gehrlein.

Viele der ambulant Angestellten haben gerade ihren Facharzttitel in der Tasche. Daneben gibt es aber auch Ältere, die den Wechsel nach längerer klinischer Tätigkeit vollziehen. Manche tun es auch, um sich nach und nach aus dem Berufsleben zurückzuziehen, falls das Fachgebiet dies zulässt. Der Ärztemangel bietet in jedem Fall gute Verhandlungsmöglichkeiten dafür – man muss sie nur nutzen.

Übrigens: Nicht selten fängt man schon mal ohne Vertrag in der Tasche an, nachdem alles mündlich besprochen wurde. Das sogenannte Nachweisgesetz verpflichtet Arbeitgeber allerdings spätestens vier Wochen nach Beginn des Arbeitsverhältnisses dazu, dem Arbeitnehmer die wesentlichen Vertragsbestandteile schriftlich auszuhändigen!

Ambulant Angestellte im Marburger Bund und den KVen

Die Ärzte-Gewerkschaft Marburger Bund macht sich auch stark für die politische Vertretung dieser Gruppe. „Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind traditionell eher ein Hort der niedergelassenen Ärzte, dementsprechend sind die Gremien besetzt. Wir möchten nun ebenso die ambulant Angestellten besser vernetzen, damit auch sie ihre Themen mehr nach vorne bringen und sich im nächsten Jahr zur Wahl stellen“, betont Gehrlein. Und bei den KVen scheint ebenfalls langsam ein Umdenken einzusetzen: „Es gibt jetzt tatsächlich welche, die auf ihrer Homepage eine eigene Rubrik für ambulant angestellte Ärzte haben. Das wäre vor zehn Jahren noch überhaupt nicht denkbar gewesen“, kommentiert die Juristin.

Die Expertin:

Stefanie Gehrlein

Stefanie Gehrlein ist Justiziarin im MB-Bundesverband.

Foto: MB/Mark Bollhorst

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