Auswandern für den Job: Wie Ärztinnen und Ärzte aus Osteuropa in Deutschland Arbeit finden

19 September, 2022 - 11:10
Stefanie Hanke
Ärzteteam im Krankenhaus

Der Ärztemangel ist ein großes Problem im deutschen Gesundheitssystem. Eine Lösung könnten Ärztinnen und Ärzte sein, die aus dem Ausland zu uns kommen. Elitsa Seidel hilft mit ihrer Agentur „inmed personal“ Fachkräften aus Bulgarien und Rumänien dabei, in Deutschland Fuß zu fassen und eine Stelle zu finden. Im Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen.

Frau Seidel, Sie helfen Ärztinnen und Ärzten aus dem Ausland, Arbeit in Deutschland zu finden – hauptsächlich aus Bulgarien und Rumänien. Wie ist die Situation für Ärztinnen und Ärzte in diesen Ländern?

Elitsa Seidel: In Bulgarien und Rumänien ist die Situation für Ärztinnen und Ärzte anders als in Deutschland. Vor allem die Weiterbildungsmöglichkeiten sind nicht so gut. Es gibt weniger Stellen für diejenigen, die eine Facharzt-Weiterbildung machen möchten. Außerdem ist die Qualität der medizinischen Weiterbildung häufig längst nicht so gut wie in Deutschland. Und natürlich spielt auch das Finanzielle eine Rolle: Die Gehaltsaussichten für Ärztinnen und Ärzte sind deutlich schlechter als in Deutschland. Aus diesen Gründen entscheiden sich viele, das Land zu verlassen. Sicherlich spielt der wirtschaftliche Aspekt eine Rolle. Aber die Qualität des deutschen Gesundheitssystems und der Weiterbildung ist für die meisten der wichtigste Grund.

Was sind die ersten Schritte für Ärztinnen und Ärzte, die sich entschieden haben, nach Deutschland zu kommen?

Elitsa Seidel: An erster Stelle ist es wichtig, sich gut zu informieren. Man sollte sich einen allgemeinen Überblick verschaffen und dann individuell schauen, was für einen persönlich passt. Außerdem ist es ganz wichtig, möglichst gut Deutsch zu lernen. Wir raten dazu, damit möglichst früh anzufangen. Wer also schon im Studium weiß, dass er in Deutschland arbeiten möchte, sollte besser schon studienbegleitend einen Sprachkurs machen. Für die Approbation in Deutschland wird ein Zertifikat für die Allgemeinsprache auf dem Niveau B2 verlangt. Aber unserer Erfahrung nach ist das Niveau C1 viel besser, um in Deutschland zurecht zu kommen und eine Stelle zu finden, weil es vieles einfacher macht. Deshalb verlangen wir das auch von den Kandidatinnen und Kandidaten, die wir an deutsche Kliniken vermitteln. Wir unterstützen sie aber auch dabei, dieses Sprachniveau zu erreichen.

Wie kann man sich sonst schon frühzeitig auf die Arbeit in Deutschland vorbereiten?

Elitsa Seidel: Viele Ärztinnen und Ärzte aus Bulgarien oder Rumänien wissen schon im Studium, dass sie in Deutschland arbeiten möchten. Eine große Hilfe ist da, wenn man beispielsweise in Erasmus-Semester in Deutschland macht, um das Land kennenzulernen. Außerdem können sie auch einen Teil des Praktischen Jahres in Deutschland absolvieren. Dann wissen sie auch schon, was konkret bei der Arbeit in einem deutschen Krankenhaus auf sie zukommt. So merken sie auch selbst, wie wichtig gute Sprachkenntnisse sind und dass C1 wirklich sinnvoll ist. Natürlich ist so ein Auslandsaufenthalt auch immer davon abhängig, wie man das finanziert und ob man beispielsweise einen Erasmus-Platz in Deutschland bekommt. Aber wenn es klappt, ist es eine wertvolle Vorbereitung. Es ist individuell sehr unterschiedlich, wie viel früher jemand mit der Vorbereitung beginnt.

Läuft denn das Medizinstudium in Bulgarien ähnlich ab wie in Deutschland? Gibt es dort beispielsweise auch ein PJ?

Elitsa Seidel: Innerhalb der EU werden die Studienabschlüsse ja überall anerkannt. Mit einem bulgarischen Medizinstudium kann man also auch in Deutschland eine Approbation beantragen, wenn man auch die entsprechenden Sprachkenntnisse nachweisen kann. In Bulgarien und auch in Rumänien gibt es im letzten Jahr des Studiums eine praktische Phase, in der die Studierenden im Krankenhaus arbeiten – das ist ähnlich wie das PJ in Deutschland und durchaus vergleichbar. Wer das in Deutschland machen möchte, kann das auch angerechnet bekommen.

Wie erleben Sie die deutsche Bürokratie, beispielsweise beim Antrag für die Approbation?

Elitsa Seidel: Die deutsche Bürokratie ist diesbezüglich wirklich ein Dschungel. Vor allem der Föderalismus macht alles sehr unübersichtlich. Der gesetzliche Rahmen ist zwar derselbe, aber die konkrete Ausgestaltung und die praktische Handhabung sind je nach Bundesland sehr unterschiedlich. In einigen Bundesländern braucht man beispielsweise die Stellenzusage eines Krankenhauses, um die Approbation zu beantragen. Das ist natürlich ein Problem, weil die Krankenhäuser lieber Ärztinnen und Ärzte einstellen möchten, die ihre Approbation schon haben. In anderen Bundesländern reicht eine Absichtserklärung, dass der Arzt oder die Ärztin in dem jeweiligen Bundesland arbeiten möchte. Auch was andere Unterlagen und die Fachsprachprüfung angeht, unterscheiden sich die Voraussetzungen zum Teil erheblich.   Gut ist hingegen, dass man das Verfahren aus dem Ausland starten kann. Man braucht aber immer eine Korrespondenzadresse in Deutschland. Diese stellen wir unseren Kandidaten zur Verfügung.

Wie können Sie den Ärztinnen und Ärzten konkret helfen?

Elitsa Seidel: Wir fangen mit den wichtigsten Informationen an, die die Ärztinnen und Ärzte brauchen, um eine sinnvolle Entscheidung treffen zu können. Dann ist es wichtig, die Person individuell kennenzulernen, um einen genauen Plan zu entwickeln. Außerdem stehen wir regelmäßig im Austausch und helfen den Ärztinnen und Ärzten bei allen Fragen, die sie haben. Natürlich ist es eine Kernaufgabe, die Ärztinnen und Ärzte an passende Kliniken zu vermitteln. Aber wir sehen uns nicht nur als eine reine Vermittlungsagentur. Wir bieten eine ganzheitliche Beratung und ein Coaching an. Außerdem übernehmen wir für die Ärztinnen und Ärzte auch die kompletten Kosten für die Sprachvorbereitung, das Approbationsverfahren und die Reisen nach Deutschland. Diese belaufen sich auf bis zu 4.000 Euro. Eine Rückzahlungsverpflichtung besteht nicht, es sei denn, der Arzt bricht das Verfahren vorzeitig ab. Wir unterstützen sie auch bei vielen anderen organisatorischen Dingen, die hier anfallen, zum Beispiel, wenn es darum geht, eine Wohnung zu finden.

Wir begleiten die Ärztinnen und Ärzte über einen sehr langen Zeitraum und bleiben auch nach der Vermittlung in Kontakt – das gibt ihnen viel Sicherheit beim Ankommen. Dazu gehört auch, dass wir alle untereinander vernetzen und beispielsweise wöchentliche Online-Termine sowie gelegentliche persönliche Treffen anbieten. So können sie sich auch gegenseitig kennenlernen, austauschen und bei Fragen unterstützen. So ein Netzwerk ist für alle eine große Hilfe.

Wie erleben Sie die Ärztinnen und Ärzte, die sich von Ihnen helfen lassen? Was sind das für Menschen?

Elitsa Seidel: Das sind ganz unterschiedliche Menschen, die sich in unterschiedlichen Lebenssituationen befinden. Einige kommen allein nach Deutschland und sind sehr flexibel. Es gibt aber auch Paare oder Familien mit Kindern. Diese haben natürlich ganz andere Bedürfnisse. Wir begleiten die Ärztinnen und Ärzte durch eine sehr wichtige Phase ihres Lebens. Die Auswanderung nach Deutschland ist ein großer Schritt für sie. Daher erleben wir ganz unterschiedliche Emotionen – von Angst und Unsicherheit bis zu Vorfreude und Euphorie.

Wie klappt die Integration, wenn die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland angekommen sind?

Elitsa Seidel: Die Integration klappt im Normalfall sehr gut. Die Ärztinnen und Ärzte sind gut ausgebildet, verfügen über gute Sprachkenntnisse und wollen sich integrieren. Grundsätzlich klappt es sowohl mit den Vorgesetzten, den Kolleginnen und Kollegen, aber auch im Privatleben beispielsweise mit Vermietern gut. Manchmal gibt es aber auch Kleinigkeiten, die für gewisse Irritationen sorgen: Beispielsweise gibt es in Bulgarien keine Briefkästen und man gibt Briefe direkt bei der Post auf. Deshalb sind die Ärztinnen und Ärzte immer verwundert, wenn ich ihnen sage, sie sollen die Post einfach einwerfen. Aber so etwas lässt sich natürlich schnell klären und sorgt eher für beidseitige Erheiterung.

Möchten die Ärztinnen und Ärzte denn gern dauerhaft in Deutschland bleiben? Oder möchten sie langfristig doch lieber wieder in ihre Heimatländer zurück?

Elitsa Seidel: In der Regel wollen sie in Deutschland bleiben. Ich habe noch niemanden kennengelernt, der von Anfang an nur für eine gewisse Zeit bleiben wollte. Natürlich kann sich das aus unterschiedlichen Gründen ändern, ist aber die Ausnahme.

Was können die Kliniken tun, um den Ärztinnen und Ärzten den Start zu erleichtern?

Elitsa Seidel: An erster Stelle ist das Onboarding in der Klinik sehr wichtig. Das ist leider nicht überall gut organisiert. Für die erste Zeit ist es wichtig, einen Plan zu haben und zu wissen: Wer ist beispielsweise Ansprechpartner zu einem bestimmten Thema? Wie funktioniert die Rotation? Für was bin ich zuständig? Was darf ich und was nicht? Wenn es hier eine klare Orientierung gibt, ist das für den Start eine große Hilfe. Und natürlich ist eine angenehme Arbeitsatmosphäre ganz wichtig, damit sich die Ärztinnen und Ärzte wohl fühlen. Attraktiv ist es, wenn sie viel lernen können und wenn sich die Vorgesetzten dafür Zeit nehmen. Wir legen bei der Vermittlung großen Wert darauf, dass diese Voraussetzungen gegeben sind.

Ihr Service ist für die Ärztinnen und Ärzte kostenlos. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Kliniken?

Elitsa Seidel: Die Kliniken zahlen eine Provision an uns, wenn wir einen Arzt oder eine Ärztin vermittelt haben. Dadurch können wir diesen den Service kostenlos anbieten und darüber hinaus sogar noch die bereits erwähnten Kosten übernehmen. In der Regel haben wir zunächst qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten, für die wir eine passende Stelle suchen. Es gibt aber auch immer mehr Kliniken, mit denen wir dauerhaft zusammenarbeiten. Diese kommen auch aktiv auf uns zu, wenn sie bestimmte Stellen frei haben.

Welche Vorteile haben die Kliniken davon?

Elitsa Seidel: Wir kennen sowohl die Kandidaten als auch die Kliniken mit der Zeit sehr gut und können deshalb sehr gut abschätzen, ob es passt, sowohl fachlich als auch persönlich. Auch haben wir sicherlich einen besseren Zugang zu den Kandidaten, da sie in der Regel im Ausland leben. Außerdem kennen wir die formellen Voraussetzungen und wissen genau, was sie brauchen, um in Deutschland arbeiten zu können. Durch unser Know-How können die Kliniken sehr viel Zeit und Aufwand sparen. Dadurch, dass wir für die Ärztinnen und Ärzte als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, nehmen wir auch den Personalabteilungen der Klinik sehr viel Arbeit ab. Wir beantworten alle Fragen, die während des Anerkennungsverfahrens aufkommen: Egal, ob Anmeldung bei der Ärztekammer, Versorgungswerk oder Rentenversicherung – damit müssen sich die Kliniken dann nicht beschäftigen. Das sorgt auf der anderen Seite auch dafür, dass die Ärztinnen und Ärzte sich auf die Arbeit konzentrieren können und sich schneller einleben und langfristig in Deutschland bleiben möchten.

25.08.2023, Bundespolizeidirektion 11
Sankt Augustin
25.08.2023, Praxis
Krefeld

In Deutschland ist der Ärztemangel ein großes Problem. Glauben Sie, dass Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland langfristig helfen können, dieses Problem zu lösen?

Elitsa Seidel: Definitiv, davon bin ich überzeugt. Durch den demographischen Wandel werden die Probleme ja eher noch zunehmen. Wichtig ist natürlich, dass die Fachkräfte aus dem Ausland gut ausgebildet und auch ansonsten anständig vorbereitet sind. Deshalb ist es grundsätzlich gut, dass die Hürden relativ hoch sind.

Gibt es denn auch in Bulgarien Probleme mit dem Ärztemangel? Und wird das Problem nicht größer, wenn die Ärztinnen und Ärzte nach Deutschland abwandern?

Elitsa Seidel: Ja, das Problem gibt es dort auch. Das hat aus meiner Sicht vor allem strukturelle Gründe. Das Gesundheitssystem und der Umgang mit den Ärztinnen und Ärzten dort ist viel schlechter. Gerade für alle, die eine Facharzt-Weiterbildung machen möchten, sind die Chancen in Bulgarien nicht gut. Hieran müsste etwas geändert werden, um die Situation zu verbessern.

Die Expertin

Elitsa Seidel

Elitsa Seidel ist selbst in Bulgarien aufgewachsen und zum Studieren nach Deutschland gezogen. Sie hat Wirtschaftsrecht in Mainz studiert und später als Personalleiterin eines Catering-Unternehmens gearbeitet. Danach war sie in der Vermittlung von ausländischen Ärzten und Ärztinnen tätig. Mit der Agentur inmed personal hat sie sich schließlich in diesem Bereich selbstständig gemacht.

Mehr Infos: https://inmed-personal.com  

Bild: © inmed personal

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