Die Corona-Krise verlangt den Mitarbeitern in Krankenhäuser viel ab. Das hat vielerorts das Personal sogar stärker zusammengeschweißt. Dr. Iris Hauth, Ärztliche Direktorin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee, erlebt dieses Phänomen auch in ihrem Haus. Im Gespräch berichtet die Psychiaterin, warum die Krise den Teamgeist gestärkt hat, was die Klinikleitung dazu beigetragen hat und wie der neue Zusammenhalt künftig aufrechterhalten werden könnte.
Frau Dr. Hauth, in Ihrer Klinik weht ein neuer Teamgeist. Ausgerechnet ausgelöst durch ein Virus. Wie erklären Sie sich das?
Dr. Iris Hauth: Als die Krise Anfang März über Deutschland hereinbrach, war das für die Gesellschaft, aber auch für uns als Klinik eine völlig neue, unbekannte Situation. Niemand hatte dafür eine Bewältigungsstrategie. Es war ein Schockzustand, der vor allem wegen der Bilder aus Italien etwas sehr Bedrohliches hatte. Hinzu kamen die Folgemaßnahmen des Lockdowns: In kurzer Zeit musste die gesamte Klinik umstrukturiert werden. Ein Krisenstab hat einen speziellen Pandemieplan für unsere Klinik entwickelt, der die Umsetzung der vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen für alle Bereiche der Klinik vorgibt. Die Abstandsregelungen haben zum Beispiel zur Reduktion der Tagesklinikplätze geführt, aber auch zum Wegfall von Teamkonferenzen und Gruppentherapien. Freie Betten für mögliche Corona-erkrankte Patienten mussten geschaffen werden. All das war in der Kürze der Zeit eine enorme Herausforderung.
Aus dieser Herausforderung haben Ihre Mitarbeiter etwas Besonderes gemacht?
Dr. Iris Hauth: Grundsätzlich löst eine Krise zunächst Verunsicherung und Überforderung aus. Allerdings kann eine solche Ausnahmesituation auch Kräfte mobilisieren. Die Menschen stehen zusammen und handeln. Genau das ist bei uns geschehen. Die Corona-Krise hat ein neues Wir-Gefühl erzeugt. Es gab eine große Welle der Solidarität und der Verantwortung füreinander.
Woran machen Sie die Solidarität genau fest?
Dr. Iris Hauth: Unsere Akutaufnahme war anfangs stark überlastet, denn es haben viele Menschen bei uns angerufen, die einfach verängstigt waren. In dieser Situation haben unsere Psychologinnen spontan vorgeschlagen, eine psychologische Hotline für die Bevölkerung einzurichten. Das war freiwillig und kreativ. Einige von ihnen sind auch auf die Akutstationen gegangen und haben dort geholfen, Einzelgespräche mit Patienten geführt. Da Gruppengespräche aufgrund der gesetzlichen Regelungen nicht mehr möglich waren, hatten sich hier Engpässe ergeben. Beide Initiativen gingen von den Mitarbeiterinnen aus und haben unsere Akut-Teams enorm entlastet. Auch andere Mitarbeitergruppen haben sich eingebracht. Unsere Ergotherapeuten beispielsweise haben Masken für die Teams genäht. Das waren kleine Gesten, die aber viel über die Solidarität und den Zusammenhalt aussagen.
Das alles war ja rein freiwillig. Sind Sie als Klinikleiterin Ihren Mitarbeitern auch entgegengekommen?
Dr. Iris Hauth: Von Beginn an haben wir versucht, unseren Mitarbeitern klare Strukturen zu geben und sie engmaschig über aktuelle Entwicklungen zu informieren. In der täglichen Mittagsbesprechung haben wir uns auch nach dem psychischen Befinden unserer Teams erkundigt. Gerade in den ersten Wochen gab es viele Unsicherheiten und Ängste. Das Signal „Es ist uns wichtig, wie es Euch geht“ hat Sicherheit und Zusammenhalt geschaffen. Darüber hinaus haben wir Mitarbeiter freigestellt, deren Kinderbetreuung wegfiel, und andere, die nicht direkt am Patienten arbeiten, haben wir ins Home-Office geschickt. Zudem konnten Mitarbeiter, die unter Stress geraten waren, jederzeit die Hotline unserer Psychologinnen nutzen. Und das kostenlose Anti-Stress-Coaching, das seit vielen Jahren im Haus etabliert ist, haben wir den Mitarbeitenden mit dem Beginn der Krise verstärkt angeboten.
Wie kamen diese Angebote an?
Dr. Iris Hauth: Sehr gut. Nicht alle Angebote wurden in gleichem Maße genutzt. Aber ich bin davon überzeugt, dass es sehr hilfreich und richtig war, auch Angebote für die psychische Gesundheit zu machen.
Inzwischen hat sich der Betrieb in Ihrem Krankenhaus wieder einigermaßen normalisiert, die Hotline wurde eingestellt, die Tagesklinik wird wieder eröffnet. Das Wir-Gefühl besteht immer noch?
Dr. Iris Hauth: Die Solidarität, das Wir-Gefühl, hält definitiv bis heute an. Das bestätigen mir auch meine Mitarbeiter. Alle gehen sichtlich verantwortungsvoller und achtsamer miteinander um. Symbolisch signalisiert das Abstandhalten und Tragen einer Schutzmaske: Ich nehme Rücksicht und respektiere Deine Gesundheit.
Was bleibt, wenn Abstandhalten und Maske tragen irgendwann nicht mehr nötig sein werden, sprich die Krise vorbei ist?
Dr. Iris Hauth: Das ist eine schwierige Frage. Es war ja das Gefühl, der Feind kommt von außen und wir müssen uns gegenseitig helfen. Die Eigenbezogenheit ist zurückgegangen und ein neuer Zusammenhalt ist entstanden. Wenn diese Bedrohung nicht mehr da ist, wird auch das Gefühl, in einem Boot zu sitzen, möglicherweise wieder verloren gehen. Das lässt sich schon jetzt in Teilen der Gesellschaft beobachten. Dabei würde ich mir wünschen, dass wir aus der Krise lernen. Die erfolgreiche Bewältigung von Krisen kann beim einzelnen Menschen und in der Gruppe zu positiven Veränderungen der Haltung und des Verhaltens führen – dies ist die verändernde Kraft von Krisen.
Unternehmen Sie etwas, damit die guten Aspekte der Krise irgendwie im Klinikalltag erhalten bleiben?
Dr. Iris Hauth: Dazu ist eine bewusste Reflexion der Veränderung in unserem Krankenhaus notwendig. Wir planen, mit den Teamleitungen und dem Pflegepersonal gemeinsam zu reflektieren, was gut gelaufen ist, was sich bewährt hat, was erhalten bleiben sollte und auch was sich die Mitarbeitenden in Zukunft von der Klinikleitung wünschen. Gemeinschaftsfördernde Projekte auch nach der Krise zu unterstützen, ist uns wichtig. So führen wir zum Beispiel einmal im Jahr ein verlängertes Wochenende mit 40 bis 50 leitenden Mitarbeitern durch: die „Tage des Innehaltens“. In diesem Jahr kann ich mir vorstellen, dass wir diese Zeit zum gemeinsamen Reflektieren über die Krise nutzen. Entscheidend ist auf jeden Fall, ein Resümee zu ziehen und aus den Erfahrungen der vergangenen Wochen konkrete Maßnahmen abzuleiten.
Das klingt nach einer richtigen Strategie.
Dr. Iris Hauth: Ja, es ist ein bewusster Prozess, in der Krise Bewährtes zu erhalten und sich von Überflüssigem zu trennen. Tatsächlich kann ein Betrieb wie wir mit 400 Mitarbeitern die Krise als Chance nutzen und daran wachsen.
Zur Person:
Dr. Iris Hauth ist Ärztliche Direktorin und Chefärztin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee und Regionalgeschäftsführerin der Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee GmbH. Zudem ist sie Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).