COVID-19: So wirkt sich die Pandemie auf den Klinikbetrieb aus

29 April, 2020 - 08:18
Stefanie Hanke
Dr. Hans-Peter Schlaudt
Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Geschäftsführer der Klinikum Hochrhein GmbH in Waldshut-Tiengen.

Die COVID-19-Pandemie hat vor allem Norditalien hart getroffen. Nur knapp 300 Kilometer nördlich liegt das Klinikum Hochrhein in Waldshut-Tiengen an der Schweizer Grenze. Geschäftsführer Dr. Hans-Peter Schlaudt hat in den letzten Wochen ganz genau nach Italien geschaut, um die Fehler der Kollegen dort zu vermeiden. Wie die Lage aktuell in seiner Klinik ist, beschreibt er im Interview.

Herr Dr. Schlaudt, wie wirkt sich die aktuelle Situation auf den Klinikbetrieb im Klinikum Hochrhein aus?

Dr. Hans-Peter Schlaudt: Für die Mitarbeiter in unserer Klinik haben sich die alltäglichen Abläufe verändert. Wir haben beispielsweise die ambulanten Behandlungen vollständig aus den Räumen des Krankenhauses herausgenommen. So haben wir im Krankenhaus nur wenige Patienten und Besucher, die im Gebäude herumlaufen. Dadurch ist es insgesamt sehr viel ruhiger als vorher. Alle Mitarbeiter tragen inzwischen Mundschutz. Dazu haben wir uns entschieden, nachdem die ersten COVID-19-Verdachtsfälle auf einer Normalstation aufgetreten sind. Das Arbeiten mit Mundschutz ist für viele natürlich belastender als sonst. Unsere COVID-19-Patientenzahlen gehen aktuell aber deutlich zurück: Im Moment haben wir sechs Fälle auf der Normalstation, fünf Abklärungsfälle und einen Patienten auf der Intensivstation.

Was für Maßnahmen haben Sie denn noch umgesetzt, um Patienten und Mitarbeiter vor Ansteckung zu schützen?

Dr. Hans-Peter Schlaudt: Der erste Schritt war, dass wir uns entschieden haben, keine Patienten mehr zur ambulanten Behandlung anzunehmen. Alle COVID-19-Verdachtsfälle werden von Anfang an ein paar Straßen weiter in der Fieberambulanz gecheckt. Wir haben mit dem Rettungsdienst, den niedergelassenen Ärzten und dem Landratsamt die Absprache, dass wir wirklich nur stationär behandlungsbedürftige Patienten aufnehmen. Das hat sehr zur Entlastung und dem Schutz der Klinik beigetragen – wir hatten bisher zu keinem Zeitpunkt ein echtes Überlastungs-Problem. In Italien wurde das ja anders gemacht – da hat man wirklich alle Infizierten in die Krankenhäuser aufgenommen. Und das hat zu der bekannten Überlastung geführt.  

Sie haben also aus der Situation in Italien gelernt und Ihre eigenen Maßnahmen entsprechend angepasst?

Dr. Hans-Peter Schlaudt: Ja, ich bin in engem Kontakt mit Kollegen aus Südtirol und habe viel mit denen darüber gesprochen, was in Italien schiefgelaufen ist und was wir daraus lernen können. Eine Erkenntnis war, dass sich die Kliniken in Italien ziemlich schnell mit Patienten gefüllt haben. Und als dann die ernsthaft Erkrankten dazu kamen, ist die Situation komplett eskaliert. Das haben wir vermieden und das hat bisher gut geklappt.

Welche Auswirkung hat das alles auf die Personalsituation in Ihrem Klinikum?

Dr. Hans-Peter Schlaudt: Wir haben das Krankenhaus quasi in zwei Einheiten geteilt: für die COVID-Patienten gibt es einen ganz eigenen Gebäudetrakt. So können wir sie getrennt von den nicht infizierten Patienten behandeln. In diesem Trakt haben wir über 70 Betten – die haben wir zum Glück bisher nicht gebraucht. An der Kapazitätsgrenze waren wir bisher noch nie. Gleichzeitig haben wir die OP-Last runtergefahren, dadurch haben wir aktuell eine nicht unerhebliche Minderbelegung im Haus. Ich mache mir aktuell mehr Sorgen darüber, dass viele Patienten, die sonst gekommen sind, aktuell wegbleiben. Uns ist es wichtig, dass zum Beispiel Menschen mit einer Herzinsuffizienz oder mit chronischen Erkrankungen sich weiterhin trauen, in die Klinik zu kommen. Solche Patienten bleiben aktuell teilweise viel zu lange zu Hause – das verschlechtert natürlich ihre Behandlungschancen, wenn sie erst später kommen. Uns ist es wichtig, dass diese Menschen ihre eigene Krankheit nicht hintenanstellen, weil aktuell diese COVID-Welle durchs Land geistert.

Derzeit gibt es ja Überlegungen, den Pflegekräften für ihren Einsatz zusätzliche Urlaubstage zuzugestehen. Was denken Sie darüber?

Dr. Hans-Peter Schlaudt: In unserem Krankenhaus lag die größte Arbeitsbelastung bisher gar nicht bei der Pflege, sondern bei denjenigen, die die ganzen Vorkehrungen getroffen und umgesetzt haben. Grundsätzlich finde ich es gut, wenn die Pflegekräfte mehr Geld und mehr Wertschätzung bekommen. Aber zusätzliche Urlaubstage halte ich für ein völlig falsches Signal. Wir haben ja in Deutschland einen Pflegekräftemangel – uns fehlen weit über 100.000 Leute. Und wenn wir unseren Mitarbeitern mehr Urlaub gewähren, dann erzeugen wir einen künstlichen Personalmangel. Konkret bedeutet dies für ein Haus mit rund 300 Betten: Unsere Pflegekräfte erhalten laut Verordnung fünf Urlaubstage mehr in 2020 und in 2021 sechs Urlaubstage zusätzlich. Dadurch würde ein Personalbedarf von sechs zusätzlichen Pflegekräften für 2020 und sieben zusätzlichen Pflegekräften für 2021 entstehen. Den müssten wir mit anderen Mitarbeitern auffangen – und das wird schwierig. Es gibt ja die Pflegepersonal-Untergrenzen – die sind zwar aktuell ausgesetzt, werden sicher aber künftig wieder in Kraft gesetzt werden. Das könnten wir nur dadurch kompensieren, indem wir Betten nicht belegen – und das kann ja nicht die Lösung sein.

Wie nehmen Sie aktuell die Stimmung unter den Mitarbeitern wahr?

Dr. Hans-Peter Schlaudt: Die Stimmung ist aus meiner Sicht sehr gut. Alle haben hervorragend daran mitgearbeitet, unser Haus für die aktuelle Situation gut aufzustellen. Wir haben ein paar Maßnahmen eingeleitet, damit die Mitarbeiter auch merken, dass ihr Engagement geschätzt wird. Seit drei Wochen geben wir kostenlos Essen aus. Das heißt, es gibt kostenfrei Frühstück, Mittagessen, Abendessen oder belegte Brote. Die Mitarbeiter haben sich bereit erklärt, auch ihre Dienstpläne der Krisensituation anzupassen. Meine Wahrnehmung ist, dass das in vielen Krankenhäusern so ist. Und das ist ein positives Signal: Dass die Mitarbeiter an der Basis alle bereit sind, Krisensituationen gemeinsam zu bewältigen.

Haben Sie denn aktuell ausreichend Schutzausrüstung?

Dr. Hans-Peter Schlaudt: Bei uns ist die Lage eigentlich ganz gut. Normalerweise lagern wir Material für vier Wochen – wir haben aber schon im Januar angefangen, unsere Bestände so aufzustocken, dass sie für vier Monate reichen. Wir erwarten auch noch für die Zukunft Lieferengpässe und wollten darauf gut vorbereitet sein. Aber durch diese frühzeitige Planung haben wir schon im Februar relativ viel Material erhalten. Es gab bei uns aber auch die klassischen Engpässe, beispielsweise beim Mund-Nasen-Schutz, bei Desinfektionsmittel und bei Schutzkleidung. Das hat sich bei uns inzwischen wieder aufgelöst.

Was tun Sie aktuell noch für den Schutz der Mitarbeiter?

Dr. Hans-Peter Schlaudt: Wir haben in dieser Woche damit begonnen, alle Mitarbeiter auf Antikörper zu testen. Wir wollen wissen, wie unsere Maßnahmen gegriffen haben, und wir wollen den Mitarbeitern auch sagen können, ob sie eventuell schon eine stille Infektion ohne Symptome durchgemacht haben oder ob sie vielleicht gerade jetzt akut infiziert sind. Daraus erhoffen wir uns noch weitere Hinweise zur Durchseuchung unserer Belegschaft und dazu, ob die Schutzmaßnahmen gewirkt haben oder nicht. Insgesamt wissen wir darüber ja noch recht wenig – auch in Bezug auf ganz Deutschland. Wir haben einen Fragenkatalog ausgearbeitet, in dem wir auch wissen wollen, in welcher häuslichen Situation unsere Mitarbeiter leben und ob sie in der Vergangenheit schon Symptome hatten, die auf COVID-19 hinweisen. Viele Mitarbeiter sind ja sehr unsicher, weil sie beispielsweise im Februar typische Erkältungssymptome hatten und sich jetzt fragen, ob das vielleicht schon COVID-19 war. Diesen Mitarbeitern wollen wir mehr Klarheit geben. Außerdem wollen wir wissen, wie viele Mitarbeiter sich schon infiziert haben.

Fühlen Sie sich denn gut vorbereitet, falls doch noch eine Infektionswelle kommt?

Dr. Hans-Peter Schlaudt: Aktuell sieht es ja so aus, als ob die Zahl der Infektionen zurückgeht. Die Spannende Frage ist aber: Kommt es später zu einer zweiten Infektionswelle und wie stark wird die sein? Wir stellen uns darauf ein, dass wir diesen Zustand, den wir jetzt eingeübt haben, dann relativ schnell reaktivieren können. Wir haben das Gefühl, dass wir bisher vieles richtiggemacht haben. Eine Garantie, dass wir damit auch für die Zukunft gut aufgestellt sind, gibt es ja nie. Aber im Moment können wir sagen, dass wir das ganz gut hinbekommen haben – auch in der Zusammenarbeit mit dem Landratsamt und dem Rettungsdienst. Ich denke, man kann das gesamte Krisenmanagement hier im Landkreis als gelungen bezeichnen.

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