Das besondere Training: Professionelle Kommunikation in der Zentralen Notaufnahme

5 Januar, 2023 - 07:49
Gerti Keller
Hektische Situation in der Notaufnahme

Ein gutes Miteinander ist die beste Quelle für Resilienz – gerade in der Notaufnahme. Mitentscheidend dafür sind Tonfall & Co. gegenüber Patientinnen und Patienten, Angehörigen, aber auch untereinander. Der Diplompsychologe Gottfried Müller und die Pflegewissenschaftlerin Hie-Sun Yang geben einen Einblick in ihr spezifisches Kommunikationstraining, das auch auf Hochstress-Situationen in der ZNA zugeschnitten ist.

Klar: Arbeiten in einem der stressigsten Bereiche im Krankenhaus ist eine besondere Herausforderung. Die „hereinströmenden“ Beschwerden betreffen nicht nur alle Fächer, auch die Patientinnen und Patienten sind häufig sehr fordernd. Und: Es ist einfach oft verdammt viel los. Genug Gründe für eine professionelle Kommunikation. Doch was läuft in einem solchen Training?

„Eine der wichtigsten Voraussetzungen für mich als Trainer ist erst mal der Respekt vor der Leistung der Leute, die in den Notaufnahmen arbeiten. Diese Arbeit stellt immense Anforderungen“, beschreibt der Psychologe Gottfried Müller seine oberste Prämisse – und springt dann direkt rein ins Thema. „Wie Freundlichkeit geht, wissen wir eigentlich alle. Was macht es uns dann oft so schwer, das in der Kommunikation auch umzusetzen?“. So lautet auch eine der Eingangsfragen, mit denen er seine Kommunikationsseminare eröffnet.

Darauf gibt es gerade in Notaufnahmen mannigfaltige Antworten, wie die zunehmende Arbeitsdichte, unter anderem durch multimorbide Patienten und Personalausfälle. Hinzu kommt ein spezielles Dilemma: „Einerseits möchte die Pflege mehr Professionalisierung, andererseits wird sie stetig ausgedünnt, sodass sie sich abgrenzt von den steigenden Anforderungen“, erklärt Müller. Teaminterne Konflikte sind ein weiterer Faktor, zum Beispiel wenn junge Ärztinnen und Ärzte auf langjährig erfahrene Pflegepersonen treffen. Das alles können potenzielle Konfliktzünder sein. 

Entscheidend: Die innere Haltung

Die Hauptrolle bei all dem spielt die innere Haltung – für Müller, der schon etliche Notaufnahmen beraten hat, der zentrale Punkt überhaupt, insbesondere für die Patientenansprache. „Wenn jemand die Haltung entwickelt hat, ‚wir müssen die Patienten erziehen‘, ist die Kommunikation schon schief gegangen, bevor das erste Wort gesprochen wurde.“ Denn Patientinnen und Patienten haben ein sehr feines Gespür dafür, ob sie vom anderen in ihrer Situation angenommen werden, oder eher nicht. Erst recht, wenn sie sich, zumindest subjektiv gesehen, in Not befinden. Denn dann treten die gängigen Stressmuster zu Tage, die viele Menschen nun mal nicht eben sehr vernünftig und sympathisch aussehen lassen.

„Der Patient weiß ja nicht, dass ein Notaufnahmebesuch wegen chronischer Rückenschmerzen nicht allerhöchste Priorität bei vollem Wartezimmer hat. Doch genau an dieser Stelle ist es eine Aufgabe der Pflegenden und auch der Ärztinnen und Ärzte, diesem Menschen zu helfen, mit seiner subjektiven Situation umzugehen“, betont Müller und erläutert sein Vorgehen: „Entscheidend ist, dass sich die Seminar-Teilnehmenden bewusstwerden, wie sie Patienten und Angehörigen begegnen und sich fragen: Was hindert mich manchmal daran zugewandt zu kommunizieren? Wie hat sich meine Einstellung in meinen Berufsjahren inzwischen entwickelt und verändert? Und dann gehen wir in verschiedene Kommunikationssituationen, experimentieren und probieren mal was anderes aus.“

Dabei geht es zunächst klassisch um die nonverbalen Aspekte, wie Tonfall und Körpersprache. Danach kommt der Inhalt, also wie man trotz ständiger Störungen vorwurfsfrei kommunizieren kann. Zum Beispiel: Sag was Du brauchst, aber lass den Vorwurf weg – auch den Unterschwelligen, der beispielsweise in der Frage „Und deswegen kommen Sie hierher?“ oder „Fünf Tage haben Sie die Schmerzen also schon und warten bis heute am Sonntag?“ mitschwingt. „Um hier künftig achtsamer zu kommunizieren, haben wir die Grundlagen der gewaltfreien, wertschätzenden Kommunikation für die Notaufnahme übersetzt“, so Müller.

Lebendiges Üben

Das Training funktioniert als lebendiges Üben mit zahlreichen ganz alltäglichen Szenarien und Dialogen, die in der Notaufnahme aber oft schwieriger Alltag sind. Nachgestellt wird zum Beispiel die Triage-Situation unter dem Fokus: Wie schaut hier die empathische Haltung aus, die trotzdem die nötige Klarheit vermittelt? Und was ist, wenn die Warteschlange immer länger wird?

03.02.2025, Hospital zum Heiligen Geist gGmbH
Fritzlar
24.01.2025, St. Marienhospital Vechta
Vechta

Dabei arbeitet die Gruppe gemeinsam an den Themen, wobei den Teilnehmenden im Laufe des Trainings meist selbst einfällt, wie es besser geht. „Es ist ein Lernprozess, bei dem die Leute spüren, ‚aha, das ist es. So geht es also auch‘“, veranschaulicht der Berater und schildert: „Ich mache keine Vorgaben nach dem Motto ‚du solltest‘. Mir geht es um die tiefere, subkutanere Ebene. Ich möchte, dass die Team-Mitglieder spüren, wie hat sich das angefühlt, als der das so und so gesagt hat – und vor allem: Wann fühlt es sich gut an?“

Nebenbei geben die Kommunikationsspezialisten den Teams einige Standards und Merksätze an die Hand, die sich auf einfache Situationen übertragen lassen. Dazu gehört die Reaktion auf Vorwürfe. Wenn eine Patientin beispielsweise die Pflegekraft genervt fragt „Wie lange dauert es noch?“ könnte sie antworten: „Der Arzt ist noch im OP. Was brauchen Sie denn jetzt gerade, damit sie gut zurechtkommen können mit der Wartezeit?“, statt zu argumentieren, was alles nicht geht oder in die Rechtfertigungshaltung zu gehen. Auch bekommt man den ein oder anderen Tipp zum Umgang mit uneinsichtigen Patientinnen und Patienten. „Hier kann ich mir überlegen: Was muss der jetzt überhaupt wirklich einsehen? Und was brauche ich von ihm? Dafür ist auch hilfreich, dass ich den Dialog verlangsame und dem anderen ausdrücklich zeige, was ich von ihm verstanden habe“, empfiehlt Yang.

Auch den Nichtrauchern eine Pause gönnen

Eine weitere Empfehlung lautet: Man sollte den in Hochstresszeiten notwendigen Arbeits- und Kommunikationsstil nicht zur Dauernorm machen, sondern die ruhigeren Zeiten nutzen, um auf die Patienten einzugehen, vielleicht sogar zu plaudern, selbst wenn es nur für zwei Minuten ist. Dann weiß der Patient, er ist willkommen, auch wenn später wieder keine Zeit ist. „Wenn ich ein bisschen mehr auf die Leute zugehe, als unbedingt erforderlich, werde ich mit sehr viel Dankbarkeit belohnt“, so die Beraterin. Zur Sprache kommt oft auch das Thema Pause. So fragt Müller die Teams immer wieder „könnt ihr euch vorstellen, dass nicht nur die Raucher ab und an für fünf Minuten rauskommen?“ Ohne Erholungsmomente könne niemand leistungsfähig bleiben – gerade, wenn viel los ist.

Und wenn es passt, leiten die Trainer zudem kleine Übungen zur Stärkung der Achtsamkeit an. „In Hochstresssituationen besteht die Achtsamkeit darin, dass ich meine Aufmerksamkeit auf den Moment richte: Ich nehme wahr, ich bin im Stress und wie fühlt sich das an? Aha, da spüre ich mein Herz pochen und vielleicht auch eine leichte Angst, aber ich kann auch meinen Atem fühlen. Ich schau jetzt, dass ich gut priorisiere und mache einfach das, was möglich ist“, informiert Müller.

Wie ist das Prozedere?

„Im Vorfeld telefoniere ich mit dem Leitungsteam. Wenn möglich, reise ich am Vortag an und besuche die Notaufnahme. Denn mir ist es wichtig zu wissen, wo das Team arbeitet. Ist das dort eng, gibt es Licht, wie ist die Stimmung gerade? Manchmal sorgen schon die Umgebungsfaktoren für erhöhten Stress beim Arbeiten“, beschreibt Müller. Das Training findet in einem Seminarraum außerhalb der Notaufnahme statt. Da natürlich nicht die komplette Mannschaft gemeinsam teilnehmen kann, braucht es in der Regel zwei bis drei Trainingstage in Teilgruppen.

Ein einzelnes Training reicht meist noch nicht, um die Kommunikationskultur nachhaltig zu verbessern. „Das geht nicht von heute auf morgen. Man muss immer wieder dranbleiben, aber dann kann sich über ein bis zwei Jahre eine wirklich gute Kommunikation entwickeln“, skizziert Müller. Hier haben die Teamleitungen die wichtige Aufgabe, immer wieder Vorbild zu sein, wie achtsame und wertschätzende Kommunikation aussieht und die Mitarbeitenden darin zu unterstützen.

In der Regel liegen nach dem ersten Training zudem bestimmte Probleme auf dem Tisch, die zur Weiterverfolgung den ärztlichen und pflegerischen Vorgesetzten an die Hand gegeben werden. Denn es stellt sich nicht selten heraus, dass Kommunikationsprobleme auch eine Folge anderer Ursachen sind. „Man muss da mit einem offenen Blick herangehen. Wenn Teams ein ganz starkes Kommunikationsproblem haben, kann der Grund dafür in einer ganz knappen Personalbesetzung oder einer ungünstigen Führungs- und Organisationsstruktur liegen. Wenn gewünscht, bieten wir zur Bewältigung drängender Themen weitere Beratungen an. In unseren Projekten reorganisieren und optimieren wir auch Notaufnahme-Abläufe, manchmal bis hin zur baulichen Organisation“, fügt Yang hinzu.

Letztlich brauchen Notaufnahmen beides – gute Strukturen und Prozesse ebenso, wie ein lebendiges und wertschätzendes Kommunikationsklima. Denn die Hilfsbereitschaft im Team, die gegenseitige Unterstützung und das Wir-Gefühl sind die stärksten Quellen von Resilienz in Notaufnahmen.

Die Experten

Gottfried Müller

Gottfried Müller
 
Gottfried Müller ist Krankenpfleger, Diplom-Psychologe und Gestalttherapeut. Er hat viele Organisationsentwicklungsprojekte in Krankenhäusern (vor allem in Notaufnahmen) geleitet und arbeitet unter anderem als Führungskräfte- und Kommunikationstrainer. Seit 2017 ist er Partner der Unternehmensberatung Müller & Mooseder.

Hie-Sun Yang

Hie-Sun Yang
 
Hie-Sun Yang ist Hebamme, Pflege- & Gesundheitsmanagerin und Pflegewissenschaftlerin. Sie arbeitete in einem Universitätsklinikum und war Pflegedienstleitung für mehrere Fachbereiche. Sie ist Beraterin bei Müller & Mooseder.

Fotos: © Theresa Meyer – Fotografie

Weitere Infos: www.personal-im-krankenhaus.de.
 

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