Kinder und Jugendliche haben andere Bedürfnisse als Erwachsene und brauchen andere Therapien – das gilt auch in Bezug auf psychische Erkrankungen. Deshalb gibt es eine eigene Facharzt-Weiterbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Wie lange die Weiterbildung dauert und wie sie abläuft, erfahren Sie im Beitrag.
Auf einen Blick: Weiterbildung (Facharztausbildung) Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
- Definition: Fachärzte und Fachärztinnen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie beschäftigen sich mit der Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung von psychischen, psychosomatischen und neurologischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr.
- Dauer: Die Facharzt-Weiterbildung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie dauert 60 Monate. Davon können bis zu 12 Monate in anderen Gebieten abgeleistet werden.
- Anzahl der Fachärzte: In Deutschland gibt es 3.545 Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Davon sind 2.855 berufstätig. 1.375 arbeiten ambulant, 1.259 stationär in einer Klinik.
Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sind Experten für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. Eine eigenständige Facharzt-Weiterbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es in Deutschland erst seit 1968. Die Psychotherapie wurde erst 1992 in die Fachbezeichnung aufgenommen. Da es im Kinder- und Jugendbereich – anders, als bei den erwachsenen Patienten – keinen gesonderten Facharzt für Psychosomatische Medizin gibt, fällt auch die Beurteilung und Therapie von Beschwerden ohne klare organische Ursache häufig in den Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Manche Verhaltens- und emotionale Störungen beginnen typischerweise bereits in der Kindheit und Jugend. Dazu zählen beispielsweise AD(H)S, Störungen des Sozialverhaltens, Emotionale Störungen, Elektiver Mutismus, Bindungsstörungen, Ticstörungen, nichtorganisches Einnässen und/oder Einkoten, Fütterstörung im frühen Kindesalter und Autismusspektrumstörungen. Andere psychische Störungen treten auch bei Erwachsenen auf, können aber ebenso auch Kinder und Jugendliche betreffen: Das ist beispielsweise bei Abhängigkeitserkrankungen, Schizophrenie, Depression, Manie, Angst- und Zwangsstörungen, Posttraumatischen Belastungsstörungen, Essstörungen (z.B. Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa), Schlafstörungen oder Persönlichkeitsstörungen (z.B. Borderline) der Fall.
Laut Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer haben etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung, 20 Prozent klagen über psychosomatische Beschwerden. Dabei sind bis zur Pubertät Jungen stärker gefährdet, danach steigt das Risiko für Mädchen. Insgesamt sind etwa 18 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychisch auffällig. Vor allem Störungen des Sozialverhaltens, der Entwicklung und der Emotionalität haben in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen. Und: Erkrankungen, die in jungen Jahren erstmals auftreten, können bis ins Erwachsenenalter andauern.
Fachärzte und Fachärztinnen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie brauchen vor allem ein gutes Einfühlungsvermögen und kommunikative Fähigkeiten. Denn psychische Erkrankungen bei Kindern sind ein besonders sensibles Thema. Neben den jungen Patienten selbst werden auch Bezugspersonen wie Eltern oder Lehrkräfte in die Arbeit der Fachärzte und die Therapie mit einbezogen. Außerdem gibt es in der Kinder- und Jugendpsychiatrie einen engen interdisziplinären und interprofessionellen Austausch mit anderen Heilberufen: Darunter sind Logopäden, Kunst-, Ergo- und Musiktherapeuten, aber auch Psychologen und Pädagogen.
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Kinder- und Jugendpsychiater und -psychotherapeut werden: Die Weiterbildung (Facharztausbildung) im Überblick:
Dauer der Weiterbildung:
Die Weiterbildungszeit beträgt 60 Monate bei einem Weiterbildungsbefugten an einer Weiterbildungsstätte. Davon können zum Kompetenzerwerb bis zu 12 Monate Weiterbildung in anderen Gebieten erfolgen.
Inhalte der Weiterbildung:
Übergreifende Inhalte
- Wesentliche Gesetze, Verordnungen und Richtlinien
- Begutachtung im Sozial-, Unterbringungs-, Straf- und Familienrecht
- Gefahreneinschätzung, Prävention und Intervention bei körperlicher und psychischer Gewalt bei Kindern und Jugendlichen in der Häuslichkeit und in sozialen Systemen
- Indikationsstellung und Umsetzung deeskalierender Maßnahmen im Vorrang zu Zwangsmaßnahmen
Krankheitslehre und Diagnostik
- Entwicklungspsychologie und -psychopathologie
- Kinder- und jugendpsychiatrische, -psychosomatische und -psychotherapeutische Anamnese und Befunderhebung, Differentialdiagnostik, Verhaltensbeobachtung und Explorationstechnik unter Beachtung einer diagnostischen Klassifikation und der Einbeziehung symptomatischer Erscheinungsformen sowie familiärer, epidemiologischer, schichtenspezifischer und transkultureller Gesichtspunkte einschließlich standardisierter Diagnostik, insbesondere
- Theorie- und Fallseminare zur Krankheitslehre und Diagnostik in Stunden (Richtzahl: 70)
- dokumentierte Erstuntersuchungen, einschließlich Konsiliar- oder Liaisonuntersuchungen (Richtzahl: 60)
- Entstehungsbedingungen, Differentialdiagnostik und Verlaufsformen der psychischen und psychosomatischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter sowie bei Heranwachsenden
- Theoretische Grundlagen der Psychotherapie in den wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren
- Neurologische Krankheitsbilder bei Kindern und Jugendlichen, einschließlich der Methodik und Technik der neuropädiatrischen Anamneseerhebung und Untersuchung
- Neuropsychologische Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
- Indikationsstellung und Befundinterpretation neurophysiologischer Untersuchungen, insbesondere Elektroenzephalographie
- Indikationsstellung und Befundinterpretation bildgebender Untersuchungen
- Methodik, Durchführung und Befunderstellung psychologischer Testverfahren in der Entwicklungs-, Leistungs- und Persönlichkeitsdiagnostik
- Erhebung des psychopathologischen Befundes
Behandlung psychischer und psychosomatischer Störungen im Kindes- und Jugendalter
- Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit Intelligenzminderung
- Technik der Behandlung durch Spezialtherapeuten, z. B. Ergotherapeuten, Heilpädagogen, Sprach-, Bewegungs- und Kreativtherapeuten
- Indikationsstellung zu spezialtherapeutischen Therapien
- Anleitung eines multiprofessionellen Teams
- Behandlung psychischer und psychosomatischer Störungen, einschließlich der Definition von Behandlungszielen, der Indikationsstellung für verschiedene Behandlungsmethoden, der Anwendungstechnik und Erfolgskontrolle sowie der Festlegung eines Behandlungsplans unter Einbeziehung der Bezugspersonen, davon
- Theorie- und Fallseminare zur störungsspezifischen Behandlung, einschließlich Psychotherapie in Stunden (Richtzahl: 170)
- Behandlungsfälle unter Supervision (Richtzahl: 75)
- Verhaltensmodifikationen von Bezugspersonen durch Psychoedukation und fokussierte störungsspezifische Psychotherapie
- Sozialpsychiatrische Behandlung komplexer kinder- und jugendpsychiatrischer Fallkonstellationen in Zusammenarbeit mit Jugendhilfe, Sozialhilfe und Schule sowie Gremienarbeit im Sozialraum und Case Management
- Behandlung mit wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren und -methoden sowie -techniken, davon
- Kurzzeittherapien und Langzeittherapien gemäß Psychotherapie-Vereinbarung im jeweiligen Verfahren in Einzel-Psychotherapiesitzungen unter Supervision und unter Einbeziehung der Bezugspersonen in Stunden (Richtzahl: 240)
- Gruppen-Psychotherapien bei Kindern oder Jugendlichen mit 3 bis 9 Teilnehmern (bei mehr als 9 Teilnehmern mit 2 Therapeuten) unter Supervision in Stunden sowie begleitende Gruppen-Psychotherapie von Bezugspersonen (Richtzahl: 120)
- Übende und suggestive Techniken, z. B. Autogenes Training, Jacobson-Entspannungsverfahren, Hypnose, Skills-Training
- Somato- und Pharmakotherapie kinder- und jugendpsychiatrischer Störungen einschließlich der Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und Complianceförderung
Notfälle
- Kriseninterventionen und Fokaltherapie bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter
Suchtmedizinische (Grund-)Versorgung
- Jugendspezifische Konsumgewohnheiten und Risikokonstellationen von riskantem Konsumverhalten, Pharmakologie suchterzeugender Stoffe
- Entzugs- und Substitutionsbehandlung
- Anamneseerhebung bei Patienten mit substanzabhängigen und substanzunabhängigen Abhängigkeitserkrankungen, einschließlich Fallvorstellungen zur Behandlungsplanung (Richtzahl: 10)
- Suchtspezifische Behandlung und Rehabilitation
- Behandlung von Patienten mit Suchtproblemen unter Berücksichtigung ihres sozialen Umfeldes und Komorbidität, Fälle mit mindestens 5 Behandlungsstunden ggf. einschließlich der Beratung von Bezugspersonen, davon
- dokumentierte Fälle mit jeweils mindestens 5 Sitzungen (Richtzahl: 3)
Prävention und Rehabilitation
- Früherkennung, Krankheitsverhütung, Rückfallverhütung und Verhütung unerwünschter Therapieeffekte
- Indikationsstellung und Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen
Selbsterfahrung
- Personale Kompetenzen oder Beziehungskompetenzen durch Einzel- und Gruppenselbsterfahrung in Stunden (Richtzahl: 200)
- Balintgruppenarbeit oder interaktionsbezogene Fallarbeit in Stunden (Richtzahl: 70)
Quellen: Musterweiterbildungsordnung 2018 der Bundesärztekammer, Ärztestatistik der Bundesärztekammer 2023, neurologen-und-psychiater-im-netz.org, Bundespsychotherapeutenkammer
Aktuelle Stellenangebote in diesem Fachgebiet:
Assistenzarztstellen Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Facharztstellen Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Oberarztstellen Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie