
Oft gelingt es Führungskräften nicht, ihre Mitarbeitenden als Mitstreiter zu gewinnen. Eine Ursache dafür ist: Das Einfühlungsvermögen in ihre Mitarbeitenden und das Bewusstsein für die emotionalen Prozesse, die in ihnen ablaufen, kurz ihre emotionale Intelligenz, sind nicht genügend ausgeprägt.
Emotionale Intelligenz ist für den Führungserfolg wichtig. Mitarbeitende sind Menschen und keine in Serie gefertigten Maschinen. Entsprechend unterschiedlich sind ihre Biografien und Persönlichkeiten, ihre Werte und Bedürfnisse. Wenn alle Mitarbeitenden gleich wären, bräuchten die Unternehmen ihre Führungskräfte nicht systematisch weiterzuentwickeln. Dann würde es genügen, ihnen wie bei einer in Serie gefertigten Kaffeemaschine eine Gebrauchsanweisung in die Hand zu drücken und ihnen zu sagen: „Wenn ihr Probleme beim Führen habt, schaut da hinein.“
Anders ist es, wenn die Mitarbeitenden und ihre Werte verschieden sind. Dann kann man den Führungskräften zwar Grundregeln zum Beispiel für das Führen von Mitarbeitergesprächen an die Hand geben, doch wie sie die Gespräche mit ihren Mitarbeitenden konkret gestalten, das müssen sie in der jeweiligen Situation selbst entscheiden. Und genau dies erfordert eine hohe emotionale Intelligenz.
Mitarbeitende: Selbstbewusster und fordernder
Heute fällt es vielen Führungskräften aus vielerlei Gründen schwer, die Beziehung zu ihren Mitarbeitenden adäquat zu gestalten. Zum einen wird das Personal heterogener als früher. Zudem sind die Mitarbeitenden selbstbewusster und fordernder – speziell in den Berufen und Branchen, in denen es ein Mangel an qualifizierten Fach- und Führungskräften gibt, wie zum Beispiel im Gesundheitswesen.
Hinzu kommt: Inzwischen werden viele Leistungen in übergreifender Team- und Projektarbeit erbracht. Also haben die Führungskräfte nicht mehr einen so unmittelbaren Zugriff auf ihre Mitarbeitenden wie früher. Zudem können sie, weil sich die Herausforderungen und Rahmenbedingungen rascher ändern, zu ihnen seltener sagen: „Tut dies, dann haben wir Erfolg.“ Sie müssen verstärkt auf die Kompetenz und Loyalität ihrer Mitarbeitenden vertrauen. Aufgrund all dieser Faktoren sind viele Führungskräfte gerade auf der unteren und mittleren Führungsebene heute hochgradig verunsichert.
Führungskräfte stehen selbst unter Druck
Viele Organisationen haben ihre Führungskräfte-Entwicklungsprogramme in den vergangenen Jahren auf Eis gelegt. Oft war ihnen oft selbst unklar, wohin die Reise beim Führen geht. Das heißt, in einer Situation des Umbruchs, in der viele Führungskräfte selbst Halt und Orientierung benötigt hätten, wurde an sie ein falsches Signal gesendet. Zumindest ist dies ein Indiz dafür, dass auch Topmanagern zuweilen ein Gespür dafür fehlt, was sie mit ihren Worten und Taten bei den ihnen nachgeordneten Führungsebenen bewirken.
Dies soll jedoch keine allgemeine Managementschelte sein, das würde dem Problem nicht gerecht. An die Spitze größerer Organisationen gelangen in der Regel nur Menschen, die fachlich fit und brillante Analytiker sind; Menschen zudem, die schon oft bewiesen haben, dass sie andere Menschen führen und inspirieren können, dass sie also Leader sind. Trotzdem fällt es ihnen schwer, die Mitarbeitenden mitzunehmen, weil sie selbst in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Welt unter einem extremen Druck stehen. Zum Beispiel wissen Topmanager oft selbst nicht, wie es in ihren Branchen mittel- und langfristig weitergeht. Sie ahnen es bestenfalls. Trotzdem müssen sie ihre Unternehmen erfolgreich führen. Hinzu kommt: Haben sie endlich eine vorläufige Strategie, dann wird diese immer häufiger von nur schwer vorhersehbaren Ereignissen obsolet gemacht.
Herausforderung: virtuelle Teams
Die Gefahr von Fehlentscheidungen ist am größten in Stresssituationen und wenn man Mitarbeitende aus der Ferne führt. Wer mit einem Mitarbeitenden oder Kollegen in einem Raum sitzt, bekommt automatisch mit, wie dieser tickt. Man spürt anhand seiner Reaktion unmittelbar, ob eine Botschaft ankommt und man kann im Bedarfsfall eine Information nachschieben. Anders ist es, wenn die Menschen, die einem unterstellt sind oder mit denen man kooperiert, ganz woanders arbeiten oder die Kommunikation weitgehend per E-Mail erfolgt. Dann ist es extrem schwierig, sich in den jeweils anderen hineinzuversetzen und zu erahnen, was eine Botschaft bewirkt. In dieser Situation befinden sich heute auch viele Führungskräfte auf der operativen Ebene.
Auch stehen Führungskräfte heute immer häufiger vor der Herausforderung, mehr oder minder virtuelle Teams zu führen, denen nicht selten auch Menschen angehören, deren disziplinarische Vorgesetzte sie nicht sind, zum Beispiel Mitarbeitende anderer Abteilungen. Entsprechend gezielt müssen Führungskräfte die Kommunikation mit ihren Mitarbeitenden und den Menschen, mit denen sie kooperieren, gestalten. Kein Zufall ist, dass das Konzept des „Mindful Leadership“, also des achtsamen Führens, aktuell auf eine recht große Resonanz stößt. Im Wesentlichen zielt es darauf ab, die gewohnten Reiz-Reaktions-Muster, die wir alle, also auch die Führungskräfte, verinnerlicht haben, zu durchbrechen. Statt reflexartig auf einen Impuls zu reagieren, geht es darum, zunächst einmal zu reflektieren „Warum möchte ich so reagieren?“ und „Was würde eine solche Reaktion bei meinem Gegenüber vermutlich auslösen?“, um sich dann bewusst für eine Reaktion zu entscheiden, die zielführender ist.
Zum Teil trifft es der Spruch „Besser erst mal eine Nacht darüber schlafen“. Denn gerade in Stresssituationen neigen Menschen dazu, in einen blinden Aktionismus zu verfallen und der kann, wenn die Mitarbeitenden ohnehin bereits verunsichert sind, verheerend wirken. Deshalb sollten eigentlich alle Führungskräfte ihre Fähigkeit zur Reflexion ihres Verhaltens und zur Steuerung ihrer Gefühle systematisch ausbauen, denn ohne diese Kompetenzen können sie ihre Wirksamkeit nicht erhöhen. Doch das allein genügt nicht.
Führungskräften den Rücken stärken
Die Führungsspitze in Organisationen muss den ihnen nachgeordneten Führungskräften top-down wieder nachhaltig vermitteln: „Wir brauchen euch, denn Führung wird im digitalen Zeitalter immer wichtiger.“ Sie müssen ihnen sozusagen den Rücken stärken, denn ohne ihre aktive Unterstützung gelingt den Organisationen zum Beispiel die digitale Transformation nie.
Dtsch Arztebl 2025; 122(14): [2]
Die Autorin:
Barbara Liebermeister
Leitung
Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ)
65189 Wiesbaden



