
Dipl.-Psych. Petra Schubert berät seit vielen Jahren Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft zu Themen rund ums Personalmanagement. An dieser Stelle beantwortet sie die interessantesten Fragen, die Ärztinnen und Ärzte aus der Klinik ihr in Coachings stellen.
Ein Kollege ist mit dem Kopf oft woanders – was raten Sie mir?
„Wir sind ein kleines Team in der Chirurgie eines Hauses der Regel- und Schwerpunktversorgung und aufeinander angewiesen. Bisher hat das immer gut geklappt, da wir uns gegenseitig unterstützen. Ich selbst bin seit zehn Jahren im Haus und inzwischen leitende Oberärztin. Auch mit der Pflege haben wir eine langjährige gute Zusammenarbeit. Einer meiner ärztlichen Kollegen hat gerade ein Baby bekommen. Seit einiger Zeit ist er mit dem Kopf oft woanders. In die tägliche Arbeit schleichen sich kleine Fehler ein. Grundsätzlich ist das kein Problem, da wir aufeinander achten und uns gegenseitig helfen. Doch der Kollege macht oft Dienst nach Vorschrift und achtet stärker darauf, pünktlich Feierabend zu machen. Einerseits verstehen wir das, andererseits haben wir das Gefühl, jetzt alles für ihn mit übernehmen zu müssen. Wie kann ich ihm beibringen, dass er in die alte Zusammenarbeit zurückfinden muss?“
Petra Schubert: „Es freut mich, dass Sie ein Team haben, das schon lange und gut zusammenarbeitet und sich auch berufsgruppenübergreifend gegenseitig unterstützt. Das ist leider selten geworden. Gerade in einem kleinen Team fehlt es natürlich, wenn Einzelne nicht mehr so stark agieren wie zuvor.
Für mich ist die Frage, wie viel das Team für welche Zeitdauer bereit ist zu tragen und für Ihren Kollegen mit zu übernehmen. Möglich wäre künftig vielleicht eine Kultur, in welcher sich Einzelne in besonderen Fällen eine gewisse Zeit etwas zurücknehmen können und das Team dies dann unterstützt. Fraglich ist, wie lange diese Phase bei Ihrem Kollegen dauern würde. Vielleicht könnten Sie mit dem jungen Vater sprechen, ihm Ihre Wahrnehmung schildern und Ihr Verständnis für seine Situation. Sie könnten darstellen, dass das Team ihn gern unterstützen will, jedoch momentan das Gefühl vorherrscht, diese Unterstützung sei sehr einseitig. In diesem Zusammenhang könnten Sie ihn fragen, wie lange er Unterstützung benötigt, um sich auf die neue Situation einzustellen, und wann er wieder bereit ist, sich wie zuvor in der Zusammenarbeit zu engagieren. Vielleicht kann er eine Zeitspanne nennen, die für alle akzeptabel ist.
Danach könnten Sie mit dem Team sprechen und fragen, ob dies für alle tragbar wäre. Vielleicht können sie eine gemeinsame Vereinbarung treffen und sich die künftige Unterstützung und Zusammenarbeit sichern. Falls das Team jedoch sagt, dass es verständlicherweise aufgrund von zu viel Arbeit keine Chance sieht, den Kollegen zu unterstützen, ist es nötig, ein Gespräch mit dem Kollegen zu führen. Darin sollten Sie ihm Ihr Verständnis für seine Prioritäten, aber auch die Probleme schildern, die daraus für das Team entstehen, mit der Bitte, sich wieder voll einzubringen. Ich wünsche Ihnen ganz viel Erfolg!“
Eine Assistenzärztin ist engagiert, doch oft zu schnell – wie verhalte ich mich richtig?
„Eine unserer Assistenzärztinnen ist seit einem halben Jahr bei uns. Sie ist engagiert und will sich weiterentwickeln. Das finde ich klasse. Bei der Arbeit ist sie jedoch oft zu schnell, da sie gern viel erledigt haben will. Neulich kam eine ältere Dame in die Notaufnahme mit starken Bauchschmerzen und Durchfall. Sie konnte fast nichts mehr bei sich behalten, hatte schon an Gewicht verloren und wirkte dehydriert. Meine Kollegin untersuchte die alte Dame und befand, dass die Symptome durch ein paar einfache Medikamente reduziert werden können. Weitere Untersuchungen fand sie nicht notwendig. Zwei Tage später war die ältere Dame wieder bei uns, sie war noch stärker dehydriert. Ich untersuchte sie, ordnete ein Blutbild und eine Koloskopie an. Es stellte sich heraus, dass sie unter starkem Eisenmangel und Morbus Crohn litt. Beides kann man nicht mit einfachen Medikamenten behandeln. Ich finde das Engagement meiner Kollegin gut. Doch habe ich Probleme mit ihrer zu schnellen Vorgehensweise. Was kann ich tun?“
Petra Schubert: „Schön, dass Ihre Kollegin so interessiert ist. Hinsichtlich ihres Pragmatismus würde ich empfehlen, auf sie zuzugehen. Gerade das Beispiel mit der alten Dame könnten Sie verwenden, um ihr die Konsequenzen ihres schnellen Handelns aufzuzeigen. Wichtig wäre, dass Ihrer Kollegin klar wird, dass der Blick auf Symptome allein nicht reicht, um Krankheitsbilder zu behandeln. Sie sollten gemeinsam ein Vorgehen festlegen, mit dem Ihre Kollegin nicht mehr nur an Symptomen arbeitet, sondern auch die Ursachen analysiert. Beispielsweise könnten Sie mit ihr das Vorgehen zur Analyse festlegen, welches sie heranziehen kann, um den jeweiligen Patientenfall zu klären. Zu Beginn könnte sie die Ergebnisse und Befunde mit Ihnen absprechen. So sind Sie auf der sicheren Seite, dass Ihre Kollegin die richtigen Diagnosen und Annahmen trifft.
Wichtig ist, dass Sie ihrer Kollegen dennoch das Gefühl geben, ihr Engagement und Interesse wertzuschätzen. Andererseits sollte sie jedoch verstehen, dass ihre Vorgehensweise nicht immer zur Gesundung der Patientinnen und Patienten beiträgt. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Klärung mit Ihrer Kollegin.“
Der Geschäftsführer versteht nicht, wie wichtig Qualität ist – was kann ich tun?
„Wir merken zurzeit verstärkt wirtschaftlichen Druck. Aus meiner Sicht als Chefarzt der Orthopädie ist es jedoch wichtig, dass Prothesen und künstliche Gelenke aus hochwertigem Material sind, damit Patienten damit mehr Freude als Probleme haben. Dies führt leider oft zu Diskussionen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit, da die Materialien, die ich nutze, nicht kostengünstig sind und es auf dem Markt günstigere, doch qualitativ schlechtere gibt. Unser Geschäftsführer versteht nicht, wie wichtig Qualität ist. Er ist stark fokussiert auf die Wirtschaftlichkeit. Einerseits will ich ungern von meinem Standard und der notwendigen Qualität abweichen. Andererseits kann ich den Druck verstehen und will nicht den Eindruck erwecken, mich diesem zu verschließen. Wie soll ich vorgehen?“
Petra Schubert: „Wäre es für Sie möglich, sich mit Ihren Kollegen aus anderen Häusern zusammenzuschließen und bei diesen nachzufragen, welche Instrumente sie nutzen und wie viel diese kosten, um einen Vergleich abbilden zu können, den sie mit Ihrem Geschäftsführer besprechen?
Dies würde Ihrem Geschäftsführer helfen, ein Verständnis für die fachliche Situation zu bekommen, um somit besser abwägen zu können, was die richtige Entscheidung und die richtigen Instrumente wären. Vielleicht könnten Sie sich in einem Kompromiss auf Instrumente einigen, die auch Ihre Kollegen nutzen. Damit hätte Ihr Geschäftsführer hinsichtlich der Kosten eine einfachere Argumentation gegenüber dem Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat. Er könnte sich darauf berufen, diese Instrumente nicht nur in Ihrem Haus zu nutzen, und darlegen, dass auch andere sie hinsichtlich Kosten-Nutzen-Abwägungen für richtig halten.
Wichtig ist, dass Sie Ihr Verständnis hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit auch gegenüber Ihrem Geschäftsführer äußern, damit er nicht das Gefühl hat, dass sie sich sperren oder blockieren. Ich wünsche Ihnen einen guten Kompromiss!“
Dtsch Arztebl 2022; 120(9): [2]