Wenn Mitarbeitende ihre Argumente mit großer Heftigkeit vorbringen oder einander nicht mehr zuhören, sollten ärztliche Führungskräfte dies als Warnsignal sehen. Dipl.-Verw. Martin Michel, Referat Personal der St. Franziskus-Stiftung Münster, erläutert exklusiv auf aerztestellen.de, wie Chef- und Oberärzte im Arbeitsalltag richtig mit Konflikten umgehen.
1. Klären Sie, ob es wirklich einen Konflikt gibt
Zunächst ist zu klären, ob überhaupt ein Konflikt vorliegt oder ob es lediglich um eine Meinungsverschiedenheit geht. Unterschiedlichen Meinungen können durchaus so stehen bleiben. Sie klären die Positionen und hindern nicht unbedingt die Zusammenarbeit.
Ein Konflikt hingegen bahnt sich an, wenn Mitarbeitende sich nicht mehr zuhören oder sich gar gegenseitig beschimpfen. Auch wenn Sie den Eindruck haben, dass die Beteiligten mehr übereinander als miteinander sprechen, sollten Sie besonders achtsam sein.
2. Machen Sie sich bewusst, um welche Art Konflikt es geht
Ein sozialer Konflikt ist eine Spannungs-Situation in der zwei oder mehr Menschen (Parteien), die voneinander abhängig sind und sich ihrer Gegnerschaft bewusst sind, mit Nachdruck versuchen, scheinbare oder tatsächlich unvereinbare:
- Ziele zu erreichen (Ziel-Konflikt)
- Interessen durchzusetzen (Interessen-Konflikt)
- Ressourcenverteilung zu erlangen (Verteilungskonflikt)
- Formen des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit zu befördern (Beziehungs-Konflikt)
Konflikte entstehen, wenn Bedürfnisse vereitelt oder übergangen werden. Innere Konflikte kommen dadurch zustande, dass man bei sich selbst oder anderen etwas wahrnimmt, was einem nicht ins „Konzept“ oder ins Selbstbild passt. Das kann der Arbeitskollege sein, der ständig raucht oder zu laut spricht, das kann die Entscheidung der Geschäftsleitung sein, ab sofort die Kaffeepausen abzuschaffen. Dadurch wird das innere Harmoniebedürfnis gestört, welches den Menschen in einem gewissen Gleichgewicht hält. Viele dieser Disharmonien, mit denen jeder im Alltag zu tun hat, bleiben ohne Folgen, solange nicht der Kern des Menschen, sein Selbstwertgefühl, beeinträchtigt wird. Ist das der Fall, ist man im wahrsten Sinne des Wortes betroffen.
3. Treten Sie in den Dialog mit den Beteiligten
Der Umgang mit Konflikten beginnt mit dem Verstehen der Beteiligten, der organisatorischen Strukturen und deren Wechselwirkung zueinander. Ein Konflikt ist nicht von vornherein negativ.
Es gilt, es in den Dialog zu treten und die Ursachen des Konflikts zu erforschen. Suchen Sie das Gespräch mit den beteiligten Mitarbeitenden. Nutzen Sie die Pausen, die sich im betrieblichen Alltag ergeben, zum Beispiel zwischen den OPs oder auch Untersuchungen, setzen sie sich zusammen und schildern sachlich, was ihnen aufgefallen ist und was das bei Ihnen ausgelöst hat. Auch Ihren Mitarbeitenden sollten Sie die Möglichkeit einräumen, ihre Sichtweisen zu äußern und darzustellen. Sodann ist die Basis gelegt für eine gemeinsame Verständigung und ein weiteres Vorgehen.
4. Bringen Sie Erregung unter Kontrolle
In einer akuten Konfliktsituation gilt es, Erregung abzubauen und unter Kontrolle zu bringen. Das vordringlichste Bedürfnis in Stresssituationen ist der Erregungsabbau. Das gelingt zum Beispiel, indem man sich körperlich betätigt, etwa durch Spazierengehen, Joggen, Schwimmen oder indem man sich an „Ersatzobjekten“ abreagiert. Auch in den Wald gehen und einmal nach Kräften schreien, ist eine Methode, die man nicht unterschätzen sollte.
Wenn man sich der Wirkung einer solchen Erregungssituation nicht bewusst ist, passiert es, dass sich die Spannung im Kontakt mit einem Unbeteiligten entlädt und dieser etwas abbekommt, was gar nicht ihm gilt. Wichtig ist auch, in der akuten Situation bewusst und tief zu atmen. Das verhindert Paniksituationen.
5. Schulen Sie Ihre Wahrnehmung
Gerade Führungskräfte sollten Ihre Wahrnehmung schulen und stetig überprüfen. Denn: Glauben wir, was wir sehen oder sehen wir, was wir glauben? Wenn zwei Parteien zum Beispiel in einem Konflikt den gleichen Sachverhalt schildern, scheinen diese Schilderungen manchmal „Welten“ auseinander zu liegen.
Wahrnehmung ist offensichtlich mehr als nur ein objektives Registrieren und Verarbeiten dessen, was um uns herum geschieht. Wahrnehmung ist ein Vorgang im Menschen, der manche der angebotenen Daten und Fakten ausblendet und andere hinzufügt, die der Betroffene schon von früher her in sich gespeichert hat. Jeder Mensch konstruiert sich also seine eigene Realität, er schafft sich sein eigenes Bild vom „realen“ Geschehen, also „selektiv“ wahrnimmt. Doch eines ist gewiss: keiner sieht die Welt objektiv.
6. Lösen Sie den Konflikt
Ebenso wie die Krise kann das Lösen eines Konfliktes einen Wachstumsprozess für alle Beteiligten auslösen.
Ein sozialer Konflikt ist gelöst, wenn:
- die die Beteiligten die Situation und die menschlichen Beziehungen wieder als „entstört“ und entspannt erleben
- die Parteien sich wieder als Partner wahrnehmen und behandeln
- es für die Ziele, Interessen, Mittel und menschlichen Beziehungen Lösungen gibt, die beide Seiten akzeptieren und aktiv umsetzen.
Nehmen Sie sich Zeit und schaffen Sie eine entspannte Atmosphäre. Dazu könnte auch einmal die morgendliche Frühbesprechung dienen. Schildern Sie sachlich ihre Wahrnehmungen. Beobachten Sie, welche Emotionen entstehen oder auch zurückgehalten werden. Sprechen Sie auch dies an und bitten Sie die Beteiligten, ihre Emotionen sachlich vorzutragen. Dies ist oft eine schwierig, weil Emotionen auch entgleisen können. Wenn Sie merken, dass diese Emotionen die augenblickliche Situation überwältigen könnten, holen Sie sich Unterstützung von Experten. Bleiben Sie aber dran. Denn ungelöste Konflikte überleben Jahrzehnte. Doch oft sind es die kleinen Dinge im Alltag, die lösbar sind und das Betriebsklima wesentlich verbessern.