Hierarchie-Abbau am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau: Meine Station

2 Mai, 2024 - 07:27
Miriam Mirza
Station C03 im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau
Die Station C03 im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau wird von den Mitarbeitenden selbst organisiert.

Krankenhäuser sind in der Regel von stark hierarchischen Strukturen geprägt – nicht immer zum Vorteil der Mitarbeitenden. Denn in stark hierarchischen Systemen funktioniert die Kommunikation von unten nach oben in der Regel eher schlecht. In der Folge erreichen oft wichtige Informationen oder Bedenken von Mitarbeitenden auf unteren Ebenen die Führungsebene nicht.

Zudem fühlen sich Mitarbeitende schnell übergangen, gegängelt und zu wenig wertgeschätzt, wenn Entscheidungen hauptsächlich auf den oberen Ebenen getroffen werden. Das kann sich negativ auf die Arbeitszufriedenheit und Motivation auswirken. Auch unerwünschte Verhaltensweisen wie Machtmissbrauch oder Mobbing treten in hierarchischen Strukturen öfter auf und belasten die psychische Gesundheit und das Arbeitsklima. Der Druck, hierarchischen Erwartungen zu entsprechen und der mögliche Mangel an Unterstützung von Vorgesetzten, kann schließlich zu erhöhtem Stress und Burnout bei Mitarbeitenden führen.

Es gibt also viele Gründe, hierarchische Strukturen im Krankenhaus aufzubrechen, doch es stellt sich die Frage, wie das die Verantwortlichen am besten bewerkstelligen können. Das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau hat ein interessantes Projekt gestartet, in dem die Möglichkeiten für selbstorganisiertes Arbeiten auf einer Station ausgelotet werden sollen. „Meine Station“ heißt das Projekt, in dem die Mitarbeitenden ihre Station organisieren, auf der alle nach ihren Talenten, Stärken und Interessen eingesetzt werden. Station C03 ist die erste ihrer Art in ganz Deutschland, aber möglicherweise nicht die letzte.

Täglich neue Rollenverteilung

Auf Station C03 gibt es keine Stationsleitung oder Pflegedienstleitung, stattdessen übernehmen die Beschäftigten alle Aufgaben gemeinsam und arbeiten auf Augenhöhe. Das Projekt fördert eine starke Beteiligung des Personals bei der Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung und Prozesse. Praktisch erfolgt das durch regelmäßige Meetings, bei denen jeder Vorschläge einbringen und diskutieren kann. Die Verantwortlichkeiten und Rollen sind flexibel und werden täglich neu verteilt – das erfordert allerdings eine hohe Anpassungsfähigkeit, ermöglicht jedoch gleichzeitig eine starke Personalentwicklung.

Auch die Patientinnen und Patienten werden stärker in den Krankenhausalltag eingebunden. Sie sind zum Beispiel dazu angehalten, ihre Mahlzeiten im Bistro des Krankenhauses einzunehmen und nicht mehr im Zimmer. Visiten werden nicht mehr am Bett, sondern in speziellen Sprechzimmern abgehalten, was die Privatsphäre und Mobilität der Patientinnen und Patienten fördert.

Trotz des flexiblen Rollensystems gibt es strikte Regeln und Abläufe, die eingehalten werden müssen, um Konsistenz und Sicherheit zu gewährleisten. Die Station ist nicht hierarchiefrei, sondern organisiert Hierarchien neu, indem sie auf Regeln und Rollen basiert, die vom Team selbst bestimmt werden.

„Das gesamte Projekt ist im positiven Sinn eine Herausforderung“

Annika Hollmann, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Klinikum Aschaffenburg-Alzenau gemeinnützige GmbH, Standort Aschaffenburg, berichtet im Interview von den Herausforderungen, die es im Projektverlauf zu meistern galt und wie es jetzt weitergehen soll.

Wie kam es dazu, dass Sie dieses Projekt ins Leben gerufen haben?

Annika Hollmann: Das Projekt "Meine Station" entstand als Reaktion auf die zunehmende Unzufriedenheit vieler Pflegekräfte und die Erkenntnis, dass traditionelle Organisationsstrukturen in Kliniken nicht mehr zeitgemäß sind. Prof. Dr. Hubertus Schmitz-Winnenthal, unterstützt von „New Work“-Experten, entwickelte das Konzept, um eine selbstorganisierte Zusammenarbeit im Krankenhaus zu ermöglichen.

Können Sie näher beschreiben, worum es bei dem Projekt geht?

Annika Hollmann: "Meine Station" ist ein Pilotprojekt am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau, das eine selbstorganisierte Zusammenarbeit im Krankenhaus ermöglicht. Das Stationsteam gestaltet die Arbeitsbedingungen selbst, trifft gemeinsame Entscheidungen und integriert die eigenen Bedürfnisse bestmöglich in den Arbeitsalltag.

Auf einer Station arbeiten verschiedene Professionen zusammen. Ist es mit „Meine Station“ gelungen, interdisziplinärer zu arbeiten und Rollenkonzepte aufzulösen?

Annika Hollmann: Ja, das Projekt hat es geschafft, interdisziplinär zu arbeiten und traditionelle Rollenkonzepte aufzulösen. Durch spannungsbasiertes und rollenbasiertes Arbeiten sowie gewaltfreie Kommunikation werden Hierarchien abgebaut und Transparenz im Team erhöht.

Welche Learnings konnten Sie aus dem Projekt gewinnen?

Annika Hollmann: Das Projekt hat gezeigt, dass selbstorganisierte Zusammenarbeit im Krankenhaus möglich ist und zu einer höheren Zufriedenheit der Mitarbeitenden sowie einer verbesserten Patientenversorgung führt. Es hat auch Herausforderungen aufgezeigt, wie die Integration neuer Mitarbeitender und die Anpassung organisatorischer Strukturen.

Gab es weitere Herausforderungen, die Sie meistern mussten?

Annika Hollmann: Das gesamte Projekt ist eine Herausforderung, aber durchaus auch im positiven Sinn. Herausfordernd ist sicher die Einarbeitung neuer Mitarbeitender oder die Anpassung von Organisationsrichtlinien. Die kontinuierliche Entwicklung des Teams und die Abstimmung mit den restlichen klinischen Abläufen stellten ebenfalls Herausforderungen dar.

Welche Reaktionen haben Sie auf das Projekt erhalten? Welches Feedback haben Sie von den Teilnehmenden erhalten?

Annika Hollmann: Das Projekt erhielt überwiegend positives Feedback, sowohl von den Mitarbeitenden als auch von den Patientinnen und Patienten. Die Mitarbeitenden schätzen die Möglichkeit der Mitgestaltung und die verbesserte Zusammenarbeit im Team, während die Patienten die aktivere Einbeziehung in ihren Behandlungsprozess positiv bewerteten.

Was können andere Kliniken von Ihnen lernen?

Annika Hollmann: Andere Abteilungen oder Kliniken können von "Meine Station" lernen, wie selbstorganisierte Zusammenarbeit im Krankenhaus umgesetzt werden kann, um die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu steigern und die Patientenversorgung zu verbessern. Die Implementierung von spannungs- und rollenbasiertem Arbeiten sowie gewaltfreier Kommunikation kann dabei hilfreich sein.

28.02.2025, Praxis
Aschaffenburg
28.02.2025, BAG MVZ medic: GmbH und Bülent Adasoglu
Leverkusen

Wie kommt die Idee bei anderen Krankenhäusern an? Gibt es Nachahmer?

Annika Hollmann: Die Idee wurde von anderen Krankenhäusern positiv aufgenommen und es gibt Interesse an ähnlichen Projekten. Es ist durchaus möglich, dass andere Kliniken "Meine Station" als Vorbild nehmen und ähnliche Modelle implementieren.

Wie soll es damit weitergehen? Bauen Sie jetzt alle Stationen um?

Annika Hollmann: Die Projektphase von "Meine Station" ist bis Ende 2024 festgelegt. Danach werden die Erfahrungen und Erkenntnisse analysiert, um gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen und das Modell auf weitere Stationen oder Krankenhäuser auszuweiten. Es ist jedoch nicht vorgesehen, sofort alle Stationen umzubauen, sondern das Projekt schrittweise weiterzuentwickeln und zu verbreiten.
 

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