
Laut jährlich erscheinendem Gallup Engagement Index haben mehr als sieben Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland innerlich gekündigt. Nicht wenige werden stressgeplagte Klinikärztinnen und -ärzte sein. Im Interview spricht die Mediatorin Stephanie Huber über das psychologische Phänomen – und was hilft.
Aktuellen Studien zufolge macht fast ein Fünftel der deutschen Arbeitnehmenden nur noch „Dienst nach Vorschrift“, obwohl die meisten anfangs motiviert waren. Was führt zur inneren Kündigung?
Stephanie Huber: Oft häufen sich mehrere, ganz verschiedene Ereignisse an, die kränkend wirken. Man bekommt immer die ungeliebten Dienste, fühlt sich während der Visite vielleicht bloßgestellt oder ist sich ganz sicher, dass bald die Beförderung zum Stations- oder Oberarzt kommt – doch dann wird eine Kollegin vorgezogen. Gerade bei hierarchischen Strukturen, wie sie oft im Krankenhaus vorherrschen, kann letzteres der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der oder die Betroffene „explodiert“ aber nicht, sondern denkt „jetzt mag ich wirklich nicht mehr“. Das wird aber nicht ausgesprochen. Eine innere Kündigung ist leise.
Was sind die Symptome?
Stephanie Huber: Es handelt sich stets um einen Rückzug. Wer in dieser Situation steckt, ist nicht mehr bereit, das zu geben, was man vorher gegeben hat. Wenn eine ärztliche Kollegin, die sonst für alle da war und immer gern bereitwillig half, auf einmal sagt „nö, bei diesem Dienst springe ich nicht mehr ein“ oder „bitte, nicht schon wieder ich“, kann man hellhörig werden.
Was kann oder sollte ich tun, wenn ich merke, dass jemand aus dem Team dahin abdriftet?
Stephanie Huber: Wenn ich merke, mit einem Teammitglied stimmt seit drei Wochen etwas nicht, sollte ich benennen, was ich sehe. Also diesen Menschen freundlich, möglichst vorsichtig im Konjunktiv ansprechen nach dem Motto „Hey, in letzter Zeit empfinde ich dich anders als sonst. Könnte es sein, dass du dich zurückziehst? Ist irgendwas passiert? Bin ich dir vielleicht auf die Füße getreten? Und kann ich dir helfen?“ Meistens wird den Betroffenen erst jetzt überhaupt bewusst, dass sie ihr Verhalten geändert haben.
Kann man wirklich innerlich gekündigt haben, ohne es selbst zu merken?
Stephanie Huber: Das passiert sogar oft! Viele glauben, dass innere Kündigungen mit Vorsatz gefällt werden. Doch in der Regel haben diese Mitarbeitenden unbewusst eine Schutzmauer zu ihrer Arbeit und der Kollegenschaft gebaut, hinter der sie sich verstecken. Damit es im Inneren nicht so schmerzt, machen sie im Außen zu, sodass sie gar nicht merken, was geschieht. Denkt man an die eigene Kindheit zurück, kennt jeder so eine „beleidigte Leberwurst“. Genau darum geht es hier.
Wie kann ich das bei mir selbst vermeiden?
Stephanie Huber: Holen Sie sich Rat, wenn Ihre Motivation dauerhaft sinkt. Aber nicht bei der besten Freundin, die wird nur Ihre eigene Sicht bestärken. Gehen Sie zu einer geeigneten Kollegin und bitten „hilf mir mal kurz‘“ Es braucht jemand, der zu Ihnen sagen kann „ich glaube, du hast auch deinen Anteil daran“. Oder erzählen Sie Ihre Geschichte einem Supervisor und bitten ihn zu spiegeln, was er heraushört. Frühes Handeln ist auf jeden Fall empfehlenswert. Je weiter man sich ins Schneckenhaus vergräbt, desto seltener bekommt man spannende Aufgaben, darf dem Chefarzt weniger assistieren etc. Das ist auch das Vertrackte daran. Im Verlauf ziehen sich die Menschen so weit zurück, dass sie irgendwann wirklich nicht mehr gesehen werden und das auch niemandem mehr auffällt.
Und wenn ich schon tief drinstecke? Was kann ich tun?
Stephanie Huber: Ebenfalls in die Kommunikation gehen! Je nachdem, wie festgefahren die Situation ist, sollte man mit einer neutralen Person ein Zweiergespräch im geschützten Raum führen. Da können dann all Ihre Vorwürfe erst einmal raus, es darf geschimpft und gemeckert werden. Wenn sich viele Emotionen angestaut haben, muss man die erstmal loswerden. Das ist eine Befreiung. Danach kommt man wieder zur Ruhe, ist bereit sachlich zu sprechen. Und vielleicht hat ja auch die Mediatorin oder der Coach eine gute Idee zur Konfliktlösung auf die Sie noch gar nicht gekommen sind.
Worin kann denn die Lösung liegen?
Stephanie Huber: Letztendlich geht es darum, dass Sie die Ursache für Ihre innere Kündigung finden. Dann können Sie nicht nur daran gehen, diese zu heilen, sondern vor allem eine analytische Entscheidung treffen, wie es mit ihrer medizinischen Laufbahn weitergehen soll. Nur dann handeln Sie souverän und nicht aus der Verletzung heraus. Wenn Sie wirklich kündigen, sollte das ohne Groll geschehen.
Warum ist das wichtig?
Stephanie Huber: Die schlechtere Alternative ist immer, Sie gehen als Opfer da raus und sagen, „die veräppeln mich sowieso alle“. Es ist ratsam, erst das Problem zu klären. Schließlich steckt das Wort „Pro“ da drin, das heißt: etwas voranzubringen. Also nicht lange über den Konflikt reden, sondern sich mehr auf die Lösung konzentrieren. Es gibt immer viele Möglichkeiten, aber nur, wenn wir darüber sprechen. Selbst wenn jemand bei der Beförderung übergangen wurde, obwohl ihm diese vielleicht schon versprochen wurde, kann er noch den Chefarzt fragen: „Wie wollt ihr die Sache wieder gut machen? Was könnt ihr stattdessen für mich tun?“ Wer sowieso kündigen möchte, kann das doch ausprobieren.
Wie kann ich einer inneren Kündigung vorbeugen, wenn ich eine neue Stelle antrete?
Stephanie Huber: Indem Sie sich von Anfang an selbst reflektieren und guten Kontakt zu Ihren Kolleginnen und Kollegen pflegen. Das ist auch eine Form des Gesehen-Werdens. Das Beste ist, regelmäßig Privates auszutauschen, ein freundliches Wort zu wechseln, sich diese kurzen Momente in der Kaffeeküche zu nehmen oder mal zusammen in den Biergarten zu gehen. Ist die Kommunikation gut, wissen wir voneinander, was der andere braucht. Eine innere Kündigung passiert nur, wenn man nicht im Austausch ist.
Kann es auch die Chefarztebene treffen?
Stephanie Huber: Das kann auf jeder Karrierestufe passieren, allerdings werden die Folgen nach oben immer schwerwiegender. Je mehr Einfluss jemand auf sein Umfeld hat, desto größer ist der Störfaktor. Dann nimmt dieser Mensch die anderen manchmal wie eine Lawine mit. Vor einiger Zeit betreute ich eine Führungskraft, die sich wie ein trotziges Kind mit einem Schäufelchen im Sandkasten verschanzt hatte und die anderen nicht mehr mitspielen ließ. Und dort hat er einfach abgewartet, dass das jemand erkennt. Im Grunde wünschen sich alle, die da sitzen, nur eins: Abgeholt zu werden – also wieder ins Gespräch zu kommen. Deswegen sind sie am Ende unglaublich dankbar, weil sie sich in eine Einsamkeit manövriert haben, in der sie sich gar nicht wohlfühlen.
Sind Sie eine Abholerin?
Stephanie Huber: Ich streichle meinen Medianten nicht das Köpfchen und sage „ach, Sie Armer ...“. Wer die innere Kündigung auflösen will, muss seinen Anteil an der Geschichte erkennen, auch wenn ein anderer einem vors Schienenbein getreten hat. Wenn ich mir den Arm breche, muss ich erst mal selbst zum Arzt. Bei dieser Erkenntnis helfe ich.