
Wenn Wege sich trennen, gehören Kündigungsgespräche für ärztliche Führungskräfte zum Job. Und dennoch führt sie niemand gern. Es gilt, Überraschungen im Vorfeld der Gespräche auf allen Seiten zu vermeiden und Kränkungen so weit wie möglich zu minimieren.
Vor einigen Monaten gönnte ich mir eine Pause im Garten einer Palliativstation. Dort traf ich auf Dr. Silke Wagner, die Leitende Oberärztin des Palliativteams. Sie saß zusammengesunken auf einer Bank. Dr. Wagner hatte erst seit kurzer Zeit die Position der Leitenden Oberärztin inne, sich jedoch schon viel Anerkennung erarbeitet. Umso mehr überraschte es mich, dass sie so müde aussah. Ich fragte sie, ob ich mich neben sie setzen dürfte. Schweigend deutete sie auf den Platz neben sich.
„Ich habe richtig Angst vor dem Gespräch!“
Ein anstehendes Kündigungsgespräch bereitete ihr schlaflose Nächte. „Wir haben gerade einen Assistenzarzt, Dr. Michaltzki. Entschuldigen Sie, dass ich das so sage, aber er hat das Arbeiten nicht erfunden. Wann immer er kann, vermeidet er Arbeit und geht den anderen Kollegen aus dem Weg. Und dann ist er auch noch patzig zu den Pflegekräften. Neulich hat er zu Sabine, einer erfahrenen Kraft, gesagt, er sei doch nicht doof, das Gespräch mit Herrn Adam aus Zimmer 7 könne führen, wer möchte. Zum Glück ist Michaltzki noch in der Probezeit, ich befürchte, das wird nichts. Das Dumme ist, ich habe noch nie jemandem kündigen müssen. Ich weiß zwar vom Ablauf her schon, wie das geht, doch wollte ich immer eine humane Chefin sein. Ehrlich gesagt, habe ich richtig Angst vor dem Gespräch. Ich schlafe nicht mehr gut, mir liegt das Ganze echt auf der Seele.“
Mit ihrer Schilderung beschrieb Dr. Wagner, wie es vielen Chefs vor Trennungsgesprächen geht. Die meisten durchlaufen im Vorfeld immer die gleiche, emotionale Schleife: Wenn alle Versuche, den Mitarbeitenden zu unterstützen, zu coachen, Rückmeldungen und Führung zuteilwerden zu lassen, nicht wirksam sind, wird immer klarer, dass eine Kündigung unvermeidlich ist. Für viele Vorgesetzte ist diese Zeit von Frust, Ärger und Nervosität geprägt. Die wenigsten Chefs machen sich diese Entscheidung leicht. Viele schlafen schlecht, gehen das Gespräch im Kopf mehrfach durch. Dies ist vielleicht auch notwendig, um eine gut überlegte, ausgeglichene Entscheidung zu treffen.
Als ich Dr. Wagner dies erzählte, entgegnete sie: „Oh, das ist gut zu hören, dass ich nicht die Einzige bin, der es so geht. Ich denke mir immer, alle anderen Chefs sind so kalt und abgebrüht, dass ihnen das gar nichts mehr ausmacht. Aber so will ich nicht werden! Wenn ich bei der Arbeit nichts mehr spüre, höre ich auf.“ Die betroffenen Mitarbeitenden sind in dieser Zeit häufig noch optimistisch und glauben, dass am Ende doch alles so bleibt, wie es ist. Viele verdrängen die Situation. Oft passiert es leider auch, dass viele keine Ahnung davon haben, dass sie im Vorfeld einer Kündigung stehen.
Regel Nr. 1: Im Vorfeld keine Überraschungen!
Regel Nummer 1 im Vorfeld von Kündigungen ist, Überraschungen absolut zu vermeiden. Die Mitarbeitenden müssen wissen, wo sie stehen. Führungskräfte sollten zeitnah Rückmeldegespräche führen, in denen sie klar kommunizieren, was falsch läuft und was der Mitarbeitende tun kann, um den Ansprüchen des Unternehmens zu genügen. Wenn die Probezeit gefährdet ist oder eine Trennung ansteht, sollte die Führungskraft auch dies klar vermitteln. Dabei ist wichtig, ein Protokoll anzufertigen, das der Mitarbeitende zeitnah nach dem Gespräch erhält.
Wenn dies gelingt, kommen Chefin und Mitarbeitende oft zu einer gemeinsamen Einschätzung. Manchmal passt es eben nicht – für das Unternehmen ebenso wie für die Mitarbeitende. Dann sind auch die eigentlichen Kündigungsgespräche nicht das Problem, da sie nicht überraschend kommen. Die Mitarbeitende kann sich im Vorfeld nach einer Alternative umsehen und kommt vielleicht selbst mit einem entsprechenden Vorschlag.
Nachdem wir dies besprochen hatten, kratzte sich Dr. Wagner am Kopf. „Ok, da muss ich nachbessern. Ich habe zwar neulich zwischen Tür und Angel mit Dr. Michaltzki gesprochen und ihm gesagt, dass er sich mehr anstrengen muss, aber klar formuliert habe ich’s nicht. Wissen Sie was, zu dem Gespräch nehme ich Dr. Zumleitner, meinen Stellvertreter, mit. Dann habe ich einen Zeugen.“ In diesem Vorhaben konnte ich sie nur bestätigen.
Wenn das Kündigungsgespräch vorbei ist, fühlen sich viele Vorgesetzte enorm entlastet. Die Botschaft ist platziert, man war freundlich, der sachliche Deal war menschlich. Nun ist Platz für die Suche nach neuen Mitarbeitenden. Für Betroffene indes beginnt die Belastung in diesem Moment erst. Viele sind nach dem Gespräch am Boden zerstört. Sie müssen ihren Familien berichten, dass sie ihre Arbeit verloren haben. Jede Kündigung ist eine Kränkung.
Regel Nr. 2: So wenig Kränkung wie möglich
Kündigungsgespräche dauern maximal eine Stunde, doch die Trennung selbst kann sich Monate hinziehen. Elementar wichtig ist, dafür zu sorgen, dass Leid und Kränkung abgefedert werden. Hilfreich ist, die Betroffenen im Auffinden einer neuen Stelle oder beim Umgang mit der Situation zu coachen. Verletzende Kommentare sind zu unterbinden. Oft hilft es, mit den Betroffenen zu besprechen, wie die Kündigung im Unternehmen kommuniziert werden soll. Auch Gekündigte sind Menschen und brauchen eine menschenfreundliche Behandlung. Was auch immer dazu notwendig ist, es braucht eine sanfte Landung.
Jeder ehemalige Mitarbeitende ist ein Botschafter für oder gegen das Unternehmen, das er oder sie verlassen hat. Wenn eine Trennung freundlich, klar, transparent und unterstützend abläuft, sprechen viele Ehemalige in den Jahren danach noch gut vom Unternehmen. Wenn eine Trennung jedoch schlecht abläuft, werden die Menschen darüber sprechen. Und beides gilt möglicherweise für viele Jahre.
Kündigungsgespräche sind Teil des Jobs
„Also gut“, meinte Dr. Wagner. „Ich habe verstanden, dass auch andere mit Kündigungssituationen Schwierigkeiten haben. Damit muss ich wohl umgehen. Sie sind Teil des Jobs, müssen aber nicht immer im Desaster enden. Ich war leider schon ewig nicht mehr im Fitnessstudio. Ich schätze, da gehe ich jetzt mal hin und lass meinen Frust auf dem Fahrrad. Morgen sprechen Dr. Zumleitner und ich mit Dr. Michaltzki, damit die Sache für ihn berechenbar ist. Und dann schauen wir mal, wie wir alle, auch Dr. Michaltzki, gut aus der Sache herauskommen.“
Dtsch Arztebl 2021; 118(43): [2]
Die Autorin
Dipl.-Psych. Gabriele Schuster
Athene Akademie
97072 Würzburg