Karrierehindernis Schwangerschaft? Aktuelle Umfrageergebnisse

18 März, 2021 - 07:38
Gerti Keller
Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser, Deutscher Ärztinnenbund
Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser ist Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes.

Seit 2018 führt das novellierte Mutterschutzgesetz zu Beschäftigungsverboten für schwangere Ärztinnen. Auch der Politik ist längst klar, dass dies geändert werden muss. Doch die Gesetzesmühlen mahlen langsam. Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) will nun vorab eine pragmatische Zwischenlösung schaffen.

„Wir bekommen so viele Zuschriften von verzweifelten Ärztinnen, die wegen ihrer Schwangerschaft nicht oder nur sehr eingeschränkt arbeiten dürfen“, klagt DÄB-Vizepräsidentin Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser. Um erste verlässliche Daten zu bekommen, wie schwer das Problem bundesweit tatsächlich wiegt, startete der DÄB kürzlich eine Umfrage. Deren Resultate liegen nun vor: Zwei Drittel der knapp 800 Befragten dürfen die Hälfte ihrer bisherigen Tätigkeit seit Bekanntgabe der Schwangerschaft nicht mehr ausüben. Medizinstudentinnen sind sogar noch stärker betroffen. Sie können mehr als 70 Prozent ihrer Kurse, Seminare & Co. nicht mehr besuchen. Und: Jede zweite Teilnehmerin fand die Einschränkungen nicht oder nur teilweise sinnvoll.

„Das ist schon eine brisante Aussage, wenn so viele Betroffene nicht nachvollziehen können, warum sie ihre Arbeit nicht mehr machen dürfen“, erklärt Puhahn-Schmeiser. Ein ebenso heißes Eisen ist: Knapp 40 Prozent haben Bedenken, die Schwangerschaft anzuzeigen. Unter den Studentinnen sind es sogar noch mehr. Sie melden dies im Schnitt erst in der 19. Woche. Das bedeutet: Bis dahin besteht auch kein Arbeitsschutz. Zudem sehen 43 Prozent ihre Karriere behindert. Gerade Operationen beziehungsweise Interventionen wie Lumbalpunktionen sind aber für die Weiterbildung immens wichtig. Auch Fach- und Oberärztinnen verlieren wertvolle Zeit für ihre Laufbahn.

Da die Überarbeitung des Mutterschutzgesetzes noch dauern wird, will der DÄB auf Grundlage dieser Bestandsaufnahme jetzt zwei konkrete Probleme angehen. Laut der Novelle soll der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes vornehmen und diesen entsprechend „schwangerensicher“ umgestalten. Die jeweiligen beaufsichtigenden Behörden schätzen daraufhin die Einsetzbarkeit der schwangeren Ärztin ein und melden dies an die Kliniken zurück. Doch erstens existieren für die Gefährdungsbeurteilung keine offiziellen Leitlinien, zweitens sind von Region zu Region verschiedene Behörden zuständig. „Mal ist es das Gesundheitsamt, mal das Regierungspräsidium. Das hat zur Folge, dass es unglaublich viele unterschiedliche Sichtweisen gibt. Während sich die einen sehr kooperativ verhalten, sind die andern extrem streng“, beschreibt die Neurochirurgin.

In der Schweiz geht’s

Der DÄB will nun gemeinsam mit den Behörden bundeseinheitliche Standardkataloge zur Umsetzung der erforderlichen Arbeitsplatzanpassungen erarbeiten, die sich bereits jetzt praxistauglich umsetzen lassen – und zwar anhand von Best-Practice-Beispielen. Die gibt es genug. „So können etwa in einigen Hamburger Kliniken schwangere Ärztinnen weiterarbeiten unter Einhaltung diverser Schutzmaßnahmen, wie doppelte Handschuhe und Sitzmöglichkeiten. Auch dürfen die Operationen nicht länger als vier Stunden dauern und die Kolleginnen müssen jederzeit ausgewechselt werden können. Außerdem dürfen keine volatilen Anästhetika verwendet werden“, schildert Puhahn-Schmeiser. Darüber hinaus sollten Schwangere nicht in der Notfallversorgung eingesetzt werden und überhaupt nur nah an Patienten arbeiten, bei denen der Infektionsstatus vorher festgestellt wurde. „In der Schweiz ist das alles überhaupt kein Problem. Dort operieren die Kolleginnen bis kurz vor der Geburt. Es geht also“, betont sie.

Hierzulande häufen sich dagegen die absurden Situationen. „Ich kenne den Fall einer jungen Chirurgin, der die Behörde schrieb, der zunehmende Bauchumfang würde das operieren zu sehr einschränken. Ihr Einwand – ein Vergleich mit adipösen männlichen Kollegen – blieb allerdings unbeantwortet. Solche schwer nachvollziehbaren Begründungen wiederholen sich zuhauf in Deutschland“, ärgert sich die in Freiburg tätige Fachärztin, die als Mutter eines zweijährigen Sohnes schon selbst betroffen war.

Hintergrund: Das novellierte Mutterschutzgesetz – ein Bumerang

Bereits das alte Mutterschutzgesetz von 1952 machte schwangeren Ärztinnen die weitere Berufsausübung fast unmöglich. Die Novelle sollte genau dies verbessern, führte stattdessen aber zu einer Verschlechterung. Der Kern ist gut gemeint. So schließt die aktuelle Version Studentinnen mit ein, auch wurden Arbeits- und Ruhezeiten neu definiert. Fakt ist aber: Die Zahl der Beschäftigungsverbote klettert seitdem nach oben. Bislang liegen nur in ganz wenigen Kliniken feste Positivlisten für mögliche Tätigkeiten vor. In der Praxis muss sich die schwangere Ärztin durch die Instanzen hangeln: vom Chef- zum Betriebsarzt bis zur Klinikleitung. Sind alle kooperativ, bleibt am Ende oft noch der größte Stolperstein: die lokal zuständige Behörde.

„Das Problem sind die schwammigen, juristischen Formulierungen. So steht in Paragraph 10, dass der Arbeitgeber die Gefährdung beurteilen muss, denen eine Schwangere oder ihr Kind ausgesetzt sein kann. ‚Kann‘ ist immer ein Totschlagargument“, kommentiert die engagierte Medizinerin. Denn letztlich geht es dabei um die Frage der Haftung: Wer zahlt, wenn das ungeborene Kind geschädigt wurde? Ein Restrisiko lässt sich nie zu 100 Prozent ausschließen. Und genau davor schrecken viele zurück. „Also macht man sich oft gar keine Mühe die Arbeitsverhältnisse anzupassen, sondern schließt schwangere Kolleginnen kategorisch vom Operieren und interventionellen Eingriffen aus“, argumentiert Puhahn-Schmeiser.

Keine OPs, keine patientennahen Tätigkeiten

Denn neben Operationen fallen oft auch sämtliche patientennahe Tätigkeiten weg: von Blutabnahmen bis Wundversorgungen … da bleibt wenig übrig. „Die Frauen haben entweder ein generelles Beschäftigungsverbot oder es werden Alternativmöglichkeiten gesucht, die ihnen aber nichts für die Weiterbildung bringen. Dazu gehören beispielsweise Briefe schreiben, Stations- und Organisationsarbeiten wie Aufnahmen oder Patientenverlegungen. Nicht selten wird das auch genutzt, um unbeliebte Tätigkeiten zu delegieren“, so Puhahn-Schmeiser.

Corona verschärft diese Situation noch. Augenblicklich herrscht fast bundesweit ein Beschäftigungsverbot für schwangere Ärztinnen. Das hat zwar nur mit der Pandemie und nichts mit dem Gesetz zu tun, verlangsamt jedoch die Abläufe für eine Änderung zusätzlich. So verzögert sich auch die Arbeit im Bundesausschuss Mutterschutz seit Ausbruch von Covid-19.
 


Tipp:

Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) informiert in einer Broschüre rund um das Thema "Ärztinnen mit Kinderwunsch". Die Broschüre enthält Informationen für Ärztinnen, aber auch für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.

Broschüre "Tipps und Hinweise für die Praxis: Was kann eine Ärztin mit Kinderwunsch tun, wie können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber handeln?" kostenlos zum Download (pdf, 106 kB)

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