Arbeitsmarkt Ärzte: Kaum Lust auf Karriere

5 Mai, 2020 - 07:34
Dr. Wolfgang Martin
junger Arzt in einem Zimmer
Die Zahl der nachrückenden Fachärztinnen und Fachärzte reicht immer weniger aus, den stetig steigenden Bedarf im stationären Sektor und im Öffentlichen Gesundheitswesen zu decken.

Zu wenige nachrückende Fachärzte und schwindendes Interesse an einer klinischen Karriere führen zu Personalmangel auf allen ärztlichen Funktionsebenen. Lösungsansätze sind noch nicht in Sicht.

Seit dem Jahr 2004 beleuchtet der von der Personalberatung mainmedico erstellte Facharztindex (siehe Grafik) das Verhältnis von Angebot und Nachfrage in den einzelnen medizinischen Fachgebieten. Was hat sich seitdem auf dem ärztlichen Arbeitsmarkt verändert?

Starke Zunahme der Teilzeitquote

Bereits zu Beginn der Stellenauswertungen im Deutschen Ärzteblatt zeigte sich: Die Zahl der nachrückenden Fachärztinnen und Fachärzte reicht immer weniger aus, den stetig steigenden Bedarf im stationären Sektor und im Öffentlichen Gesundheitswesen zu decken. Grund für die zunehmende Nachfrage ist neben der Ausweitung des medizinischen Leistungsspektrums die starke Zunahme der Teilzeitquote in den Krankenhäusern.

So hat sich die Zahl der Teilzeitbeschäftigten in den vergangenen 15 Jahren nahezu vervierfacht. Schon allein das bewirkt, dass heute mehr Mitarbeitende nötig sind, um die Vorgaben der Stellenpläne erfüllen zu können. Die Fachgebiete, die seit dem Jahr 2004 regelmäßig die niedrigsten Indexwerte und damit die dünnste Bewerberdecke aufweisen, stehen auch im aktuellen Facharztindex an der Spitze. Besonders in den Fachgebieten aus dem Spektrum Psychiatrie/Psychosomatik machen sich inzwischen gravierende Versorgungsengpässe bemerkbar. Aber auch Schwerpunkte der Inneren Medizin und einige außerklinische und nichtkurative Fächer leiden massiv unter Nachwuchsmangel.

Die betroffenen Fachgesellschaften und Berufsverbände sind zwar bestrebt, dem eigenen Fachgebiet ein modernes und attraktives Image zu geben, buhlen letztendlich aber alle um ein und dasselbe begrenzte Potenzial an Nachwuchsmedizinern. Entspannung ist nicht in Sicht. Dazu müsste die Zahl der nachrückenden Fachärztinnen und Fachärzte deutlich steigen. Zwar wird immer mal wieder angeregt, die Medizinstudienplätze aufzustocken, aber es wird kaum ernsthaft in Erwägung gezogen. Der Verdacht drängt sich auf, insgeheim würde darauf spekuliert, dass zahlreiche Krankenhäuser schließen müssen und dadurch genügend Fachärzte freigesetzt werden, mit denen sich die Löcher dann stopfen ließen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist angesichts der zunehmenden fachlichen Spezialisierung fraglich. Zumal außerdem die Umzugsbereitschaft der Ärztinnen und Ärzte geringer geworden ist.

Ärztliche Führungskräfte am Limit

Eine Auswirkung des zunehmenden Nachwuchsmangels ist unübersehbar: Die Abteilungsstrukturen sind oft bis zum Zerreißen gespannt. Dies bekommen auch die Oberärztinnen und Oberärzte zu spüren: Einerseits sollen sie mehr Führungsaufgaben übernehmen, andererseits müssen sie auch in die Bresche springen, wenn Assistenz- oder Fachärzte fehlen. So haben sie oftmals kaum Möglichkeiten, nach und nach in ihre Rolle als Führungskraft tatsächlich hineinzuwachsen.

 


Facharztindex 2019: In diesen Fachgebieten ist die Bewerberdecke besonders dünn


Und die Chefärztinnen und Chefärzte? Für diese schrumpfen die eigenen Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten gewaltig, weil der Personalmangel anhält und der ökonomische Druck zunimmt. Damit steigt das Konfliktpotenzial mit den Geschäftsführungen: Chefärzte klagen immer häufiger, sie könnten die vorgegebenen Ziele mit den zur Verfügung stehenden personellen und materiellen Ressourcen nicht erreichen.

Kritischer Blick auf Berufsausübung

Der Arbeitsalltag der Leitenden Ärztinnen und Ärzte weckt bei der nachrückenden Ärztegeneration also kaum Lust auf Karriere. So ist es nicht verwunderlich, dass es für die Krankenhäuser immer schwieriger wird, Oberarztpositionen zu besetzen. Und selbst die Zahl an Chefarztbewerbungen nimmt kontinuierlich ab. Als Erklärung für die „Karrieremüdigkeit“ der Ärztinnen und Ärzte fällt schnell der Begriff Work-Life-Balance. Doch auch wenn dieser inzwischen schon reichlich überstrapaziert wirkt: Die nachrückende Ärztegeneration wirft zweifelsohne einen durchaus kritischen Blick auf Art und Umfang ihrer Berufsausübung. Aber reicht dies als Erklärung aus? Liegt es nicht auch an mangelnden Alternativen zum tradierten Karrieremodell, das eigentlich nur einen auf wenige Stufen begrenzten Aufstieg zulässt und in der Regel eine Vollzeittätigkeit voraussetzt?

Fragen dieser Art sind in den letzten Jahren kaum mehr gestellt worden. Mit Abschluss der ersten Tarifverträge durch den Marburger Bund 2006 wurde das hierarchische System fest verankert. Alternativen wurden und werden so gut wie nicht mehr diskutiert. Gab es nicht mal ein Teamarztmodell? Dabei müsste man das Rad nicht neu erfinden. Um alternative Modelle kennenzulernen, würde allein ein Blick in die europäischen Nachbarländer reichen, beispielsweise in die Niederlande oder die Schweiz.

Ungeliebte Hierarchie

Hierarchische Strukturen spielen ebenfalls eine Rolle bei der Frage, warum Frauen trotz „Feminisierung“ der Medizin in ärztlichen Führungspositionen immer noch stark unterrepräsentiert sind. Natürlich geht es immer auch um die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um den Mangel an Mentoring und weiblichen Vorbildern, aber eben nicht nur. Was ist, wenn Frauen aus eher grundsätzlichen Erwägungen keine herausgehobene Führungsverantwortung in den hierarchischen Strukturen übernehmen wollen? Dann stünden sie auch nicht automatisch bereit, um die heutigen Chef- und Oberärzte zu ersetzen, sobald diese in den Ruhestand gehen. Spricht man mit Ärztinnen, hört man diese Einschätzung immer wieder.

Die Bilanz nach 15 Jahren Facharztindex fällt durchaus ernüchternd aus. Der ärztliche Nachwuchsmangel war bereits Anfang des Jahrtausends offensichtlich und die Personalprobleme haben sich in vielen Versorgungsgebieten seitdem weiter verschärft. Besonders kritisch wird es, wenn der Führungskräftenachwuchs ausbleibt. Dies als ein rein zahlenmäßiges Problem zu sehen, greift mit Sicherheit zu kurz. Auf dem Prüfstand stehen auch Führungsstrukturen und Karrieremodelle als solche. Und wer, wenn nicht die Ärzteschaft selbst, wäre dafür prädestiniert, darüber eine Diskussion in Gang zu setzen, über Fach- und Standesgrenzen hinweg?

Dtsch Arztebl 2020; 117(19): [2]
 


Der Autor:

Dr. Wolfgang Martin
mainmedico GmbH
consulting & coaching
60322 Frankfurt am Main

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