Notfallmedizin: Wie Digitalisierung Verfahren vereinfacht und Sicherheit bietet

7 November, 2023 - 07:50
Dr. Andreas Staufer und Kristin Kirsch
Notärztin im Einsatz

Digitalisierung darf nicht als Umwandlung von Papierformularen in deren digitale Form missverstanden werden. Sie virtualisiert und vernetzt die reale Welt, Rettungsdienst, Präklinik, Notaufnahme, teilt Daten und organisiert Abläufe. Das setzt voraus, sich von überkommenen Strukturen zu lösen.

Einsatzort: Eine beengte Außentreppe im 7. OG. Der Notarzt ist anderweitig gebunden. Der Patient klagt über linksseitig ausstrahlende Schmerzen, Atemnot, berichtet dem Notfallsanitäter von einem manifesten Brugada-Syndrom und verschiedenen Arzneimittelallergien. Der Telenotarzt unterstützt den Einsatz und meldet den Patienten elektronisch in einer verfügbaren Behandlungseinheit an. Die mitgeführte Diagnostik zeichnet Zeiten und Vitalparameter automatisch auf. Der Verlauf des Behandlungsgeschehens wird später mittels der Telemetriedaten im Krankenhaus einsehbar sein.

Digitale Erfassung unterstützt die Arbeit

Dynamische Einsatzgeschehen, fehlende Einsatzmittel und ungünstige Umgebungsparameter erschweren mitunter den Blick auf das Wesentliche und Erforderliche. Auf einer beengten Außentreppe zu behandeln, entspricht nicht den aus einer stationären Einrichtung bekannten Standards an Personal, Raum, Zeit und Equipment. Behandlung und Dokumentation sind nur eingeschränkt möglich. Je komplexer dann das Szenario, umso wichtiger sind Entscheidungshilfen; umso mehr kann eine automatisierte, digitale Erfassung mit Hinweisgebern und Kommunikationstechnik die Arbeit unterstützen und erleichtern – wenn die Technik mitspielt.

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Stuttgart

Die Dokumentation gehört dabei zum A und O. Sie dient der Erinnerung und Therapiesicherung bei der weiteren Behandlung des Patienten über verschiedene Stationen und Fachdisziplinen hinweg. Sie gibt einen Einblick über das Erstgeschehen und den weiteren Verlauf, gibt Auskunft über Anamnese, Befunde, Behandlungsmaßnahmen, einschließlich der Medikation im zeitlichen Geschehen. Sie reduziert vermeidbare Eingriffe und doppelte Untersuchungen. Dennoch wird sie oft nur als notwendiges Übel hingenommen, ihr Zweck verkannt und aufgrund zeitlicher Nöte nachrangig behandelt. Die automatische Erhebung von Befunden aus Medizinprodukten und anderen Geräten kann vor allem in einem dynamischen Geschehen am Einsatzort die Dokumentation erleichtern und Übertragungsfehler (falsch notierte Werte) reduzieren. So können Geräte Vitalparameter, Standort- und Umgebungsdaten wie die Raumtemperatur, Routen, aber auch Zeiten ohne weiteres Zutun des Personals, autonom erfassen. Eine erneute Dokumentation im Freitext wäre dann unnötig.

Speicherung an einem zentralen Ort

Die elektronische Anwendung muss und sollte sich nicht immer an der Papierform orientieren. Eine grafische und der menschlichen Wahrnehmung folgende Gliederung erleichtert die Bedienbarkeit. Anwendungen können auf Daten und Checklisten gestützt Diagnose-, Anamnese- und Behandlungsalternativen aufzeigen, auf fehlende Parameter hinweisen, Warnungen ausgeben. Das bedeutet aber auch, dass die Anwender begründen müssen, wenn sie sich über Warnungen hinwegsetzen.

Die Speicherung an einem zentralen Ort erleichtert die Anforderungen an die Revisionssicherheit, die Auffindbarkeit und Verfügbarkeit der Daten. Papierprotokolle gehen nicht mehr irgendwo im Fahrzeug oder bei der Übergabe verloren, sondern sind zentral abrufbar. Zugriffsberechtigungen können einheitlich und gegebenenfalls beschränkt auf die erforderlichen Informationen vergeben werden. Bestenfalls kann der Zugriff den an der nachfolgenden Behandlung beteiligten Institutionen gewährt werden. Durchdachte Nutzerberechtigungen wahren das Patientengeheimnis, die informationelle Selbstbestimmung und die Transparenz des Geschehens. Eine sinnvolle Vernetzung dieser Daten vermeidet eine doppelte Erfassung. So könnten Fahrtenbücher zwar aus steuerlichen und verkehrsrechtlichen Gründen erfasst, aber digital verarbeitet werden und unmittelbar in die Abrechnung und die Patientendokumentation einfließen.

Das führt zwar augenscheinlich zu einem Verlust der Individualität des Einzelnen, reduziert allerdings kreative, meist nicht zu Ende gedachte Gestaltungsmöglichkeiten von Individualisten und lässt diesen doch Freiraum. Der Anwender kann keine von anderen Stellen benötigten Daten vergessen, muss für Abweichungen allerdings persönlich einstehen. Mit einer vernünftigen Konzeption reduziert die Digitalisierung zugleich die Haftung der dahinterstehenden Organisation.

Anwenderfreundlichkeit und Bedienbarkeit

Wesentliche Voraussetzung für die Bereitschaft zur Digitalisierung sind allerdings zunächst Anwenderfreundlichkeit und Bedienbarkeit der Anwendungen sowie deren Funktionalität und Verfügbarkeit. Je komplexer und anwendungsunfreundlicher das Programm, desto eher greifen Mitarbeitende auf Vermeidungsstrategien zurück. Konzeption und Entwicklung müssen zugleich unter dem Aspekt Safety First erfolgen. Die Daten müssen redundant sowie ausfallsicher verfügbar und zugleich vor unberechtigtem Zugriff gesichert sein. Zugriffsberechtigungen sind eindeutig zu regeln. Bei Eigenentwicklungen ist zu berücksichtigen, dass auch Software dem Zweck nach als Medizinprodukt klassifiziert werden kann; insoweit sind die Vorgaben der Medizinprodukteverordnung einzuhalten. Bei öffentlichen Beschaffungen gelten die Vergabegrundsätze. Bei Konzeption und Beschaffung hilft eine projektbezogene, juristische Begleitung.

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Die Zukunft liegt in offenen Standards und Schnittstellen. Daten müssen, die Berechtigungen vorausgesetzt, einsehbar und übertragbar sein. So können verschiedene Systeme miteinander zusammenarbeiten. Darauf ist bei der Konzeption zu achten. Ausfälle sind natürlich als mögliches Risiko einzubeziehen und Strategien für die Dauer des Ausfalls sowie die Nacherfassung zu erarbeiten. Diese müssen so einfach wie möglich, übergreifend und nur so komplex wie unbedingt nötig sein. So bietet bereits eine maschinenlesbare mit einheitlicher Patientennummer und QR-Code versehene Papierdokumentation ungeahnte Möglichkeiten.

Anwender sollten in der Digitalisierung eine Chance für mehr Patientensicherheit, zur Risikominimierung und eigenen Absicherung erkennen. Die Dokumentation und Algorithmen können sie bei der Behandlung schützen und Haftungsfälle vermeiden.

Dtsch Arztebl 2023; 120(45): [2]

Das Autorenteam

Dr. Andreas Staufer, Fachanwalt für IT-Recht Fachanwalt für Medizinrecht
Kristin Kirsch, LL.M. Legal Tech, Fachanwältin für IT-Recht
Staufer Kirsch GmbH
80336 München

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