
Die eigenen Rollen im Berufs- und Privatleben gut zu integrieren, ist ein fortlaufender Prozess, der gerade von leitenden Ärztinnen und Ärzten Zeit und Anstrengung erfordert. Wer seine individuellen Strategien kontinuierlich überprüft und anpasst, kann ein ausgeglicheneres Berufsleben führen.
Leitende Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus haben unterschiedliche Rollen. In der klassischen klinischen Rolle arbeiten sie direkt mit Patienten und sind verantwortlich für Diagnose, Behandlung und empathische Betreuung. Wichtige Grundlage, diese Rolle gut auszufüllen ist die Kompetenz und Bereitschaft, sich ständig weiterzubilden. Weitere Rollen sind:
- Managementrolle: Leitende Ärztinnen und Ärzte sind verantwortlich für die Organisation und Leitung von Abteilungen oder Kliniken. Sie müssen sicherstellen, dass die Einrichtung effizient und wirtschaftlich arbeitet und dass die Mitarbeitenden angemessen geschult und ausgestattet sind.
- Führungsrolle: Ärztinnen und Ärzte müssen in der Lage sein, ihre Mitarbeitenden zu motivieren und zu inspirieren. Sie sollten ein positives Arbeitsumfeld schaffen und Mitarbeitende in hrer persönlichen und beruflichen Entwicklung unterstützen.
- Forschungsrolle: Ärztinnen und Ärzte können auch eine Forschungsrolle haben und an der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden und medizinischer Technologien arbeiten.
- Lehrrolle: Leitende Ärztinnen und Ärzte bilden mitunter Medizinstudierende aus oder Auszubildende und andere Mitarbeitende im Krankenhaus.
Rollenkonflikte erhöhen den Stress
Probleme und damit Stress entstehen nicht selten dadurch, dass Rollen untereinander widersprüchlich sind. Kommt eine Ärztin beispielsweise aus einem Gespräch, in dem sie einem Patienten schildern musste, dass seine Erkrankung schwerwiegend ist und wird sie direkt danach von einem Assistenzarzt angesprochen, der sich darüber beklagt, dass er den nächsten Nachtdienst übernehmen soll, ist das sofortige Wechseln der Rollen anspruchsvoll und kann den Stress erhöhen. Wenn es Konflikte oder konträre Anforderungen zwischen Rollen gibt, ist es schwierig, die jeweilige Rolle effektiv auszuführen, richtige Entscheidungen zu treffen, Prioritäten zu setzen oder die Balance zu finden. Beispiele für mögliche Konflikte:
- Führung und Patientenversorgung: Leitende Ärztinnen und Ärzte haben die Verantwortung, ihre Mitarbeitenden zu führen. Gleichzeitig haben sie eine Verantwortung gegenüber den Patienten. Es braucht ein hohes Maß an emotionaler Kompetenz und Einfühlsamkeit, sich auf die Bedürfnisse der Kranken einzustellen und direkt danach Streitschlichter und Führungskraft zu sein, wenn es beispielsweise um die Besetzung des Nachtdienstes geht.
- Management und klinische Arbeit: In Gesprächen mit der Geschäftsführung erleben Ärztinnen und Ärzte oft das Phänomen des Widerspruchs. Nicht selten liegt das daran, dass Arzt und Geschäftsführung eine andere Art des Denkens und Herangehens an Probleme gelernt und trainiert haben. Oft erleben Ärztinnen und Ärzte, dass sich Geschäftsführungen bei zahlreichen Themen vertagen und Optionen überdenken. Die ärztliche Ausbildung ist dagegen einerseits geprägt von einem linearen Denken, andererseits müssen Ärztinnen und Ärzte viele Entscheidungen mit einem hohen Maß an Komplexität, Ambiguität, in einer Umgebung mit widersprüchlichen Informationen und begrenzten Ressourcen treffen. Sie müssen Probleme von Patienten schnell erfassen und behandeln.
- Medizinische Entscheidungen und wirtschaftliche Interessen: Wenn es zu Konflikten zwischen bestmöglicher medizinischer Versorgung und wirtschaftlichen Interessen kommt, kann es für ärztliche Führungskräfte herausfordernd sein, optimale Kompromisse zu finden.
- Verantwortung gegenüber der Klinik und der ärztlichen Ethik: Ärztliche Führungskräfte müssen Entscheidungen treffen, die mit den Werten und Zielen der Klinik vereinbar sind. Gleichzeitig müssen sie jedoch auch Entscheidungen treffen, die im besten Interesse ihrer Patienten liegen.
Konflikte sind manchmal unvermeidlich
Im Umgang mit all diesen Konflikten ist wichtig zu erkennen, dass es normal ist, Schwierigkeiten zu haben, verschiedene Rollen zu vereinbaren, und Konflikte mitunter unvermeidlich sind. Hilfreich ist, die eigenen Rollen und Anforderungen an die jeweiligen Rollen konkret zu beschreiben. Wann ist welche Rolle, welcher Hut gefordert? Manchmal erkennen Ärztinnen und Ärzte, dass sie noch bestimmte Defizite im Ausüben einer Rolle haben. Viele sind nicht oder nur unzureichend auf ihre Führungsrolle vorbereitet. Gerade der Aufbau von Kompetenzen in der Betriebswirtschaft kann dann hilfreich sein. Entsprechende Fortbildungen können unterstützen.
Wichtig ist auch, Rollenkonflikte zu erkennen und zu erinnern, welche Erfahrungen man in der Vergangenheit gemacht hat. Je konkreter man Situationen benennt, desto einfacher können Rollenkonflikte identifiziert werden. Widersprüche zwischen Rollen kann zum Beispiel der Zeitaufwand hervorrufen, da man vielleicht noch weitere Patienten versorgen muss oder den Feierabend nach hinten schieben muss, die Familie wartet und enttäuscht ist, wenn man zu spät nach Hause kommt.
Handlungsempfehlungen und Selbstreflexion
Ratsam ist, lösungsorientierte Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Wer Rollenkonflikte identifiziert und dadurch entstehenden Stress erkennt, kann planen, wie er oder sie besser mit diesen Situationen umgeht. Beispielsweise kann es hilfreich sein, sich nicht auf Personaldiskussionen wie abgelehnte Urlaubstage während oder kurz nach der gemeinsamen Visite mit dem Assistenzarzt einzulassen. Vorteilhaft kann dann sein, auf Terminvereinbarungen zu verweisen und das Thema, über das Mitarbeitende sprechen wollen, vorab anzukündigen. Auf diese Weise können leitende Ärztinnen und Ärzte ihre entsprechende Rolle besser vorbereiten und zielführend eine Lösung finden.
Auch braucht es Zeit zur Reflexion: Ärztliche Führungskräfte sollten regelmäßig Zeit zum Nachdenken und Reflektieren einplanen, um ihre unterschiedlichen Rollen zu bewerten und Verbesserungen vorzunehmen. Durch eine regelmäßige Selbstreflexion können sie ihre Stärken und Schwächen erkennen und ihre Strategien anpassen. Zentral sollte eine klare Trennung zwischen Berufs- und Privatleben sein. Eine gesunde Grenzziehung und das Planen von Zeit für Familie und Freunde ist wichtig.
Dtsch Arztebl 2023; 120(23): [2]
Der Autor
Dr. med. Matthias Weniger
Ärztlicher Leiter
Institut für Stressmedizin Rhein Ruhr
45525 Hattingen