
Dipl.-Psych. Petra Schubert berät seit vielen Jahren Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft zu Themen rund ums Personalmanagement. An dieser Stelle beantwortet sie die interessantesten Fragen, die Ärztinnen und Ärzte aus der Klinik ihr in Coachings stellen.
Das Klima ist deutlich rauer geworden – wie finden wir wieder zu einer guten Stimmung?
„Unser Standing im Umgang mit den Patienten war immer gut, auch die fachrichtungsübergreifende Zusammenarbeit klappte gut. Dann kam Corona. Seitdem ist das Klima deutlich rauer geworden. In unserer Abteilung für Innere Medizin gab es diverse Ausfälle, die einerseits Patienten trafen, andererseits Pflegekräfte. Als Leitender Oberarzt musste ich zum Beispiel gestern beobachten, wie einer unserer Fachärzte eine Patientin sehr ruppig abbügelte, weil sie ihren Befund genauer erklärt haben wollte. Auch die Zusammenarbeit klappt nicht mehr gut. Oft entstehen Konflikte, die wir früher mit einem Lächeln überbrückt hätten. Ich befürchte, dass sich dieser schlechte Umgang miteinander verfestigt. Wie können wir Stimmung und Zusammenarbeit wieder verbessern?“
Petra Schubert: „Ich kann verstehen, dass es schwierig ist, eine gute Stimmung aufrechtzuhalten, wenn die Belastung so hoch ist. Im Normalfall muss der empfundene Druck wieder rausgelassen werden. Oft trifft es dann Unschuldige. Das ist zwar normal und menschlich, macht es aber nicht einfacher. Wichtig ist, die Situation in der Abteilung, zum Beispiel in der Frühbesprechung, zu thematisieren und sich darüber klar zu werden, dass jeder adäquat mit diesem empfundenen Druck umgehen sollte. Im nächsten Schritt wäre es gut festzulegen, dass schlechte Stimmung künftig angesprochen wird und jeder ein Recht darauf hat, sich runterzukühlen. Doch dafür sollte man am besten die Pause und einen Spaziergang oder Ähnliches nutzen. Auch Symbolhandlungen helfen, zum Beispiel ein Papier zu zerknüllen und es in einen dafür vorgesehenen Korb zu werfen mit allen schlechten Gedanken, die man dabei hat. So wird man Druck los. Wichtig ist, sich gegenseitig Wertschätzung zu geben und die positiven Seiten wieder wahrzunehmen. Zum Beispiel könnte das Team festlegen, dass jeder zu Beginn der Frühbesprechung etwas Positives nennen muss, damit alle wieder den Blick dafür bekommen. Auch könnte zur gängigen Verhaltensregel werden, dass sich jeder sofort entschuldigt, der Druck bei jemandem ablässt, der damit gar nichts zu tun hat. Nach einer definierten Zeit sollten alle noch mal auf den Umgang schauen, Veränderungen erfassen oder weitere Verhaltensregeln festlegen.“
Wie bewege ich meinen Kollegen aus der Geriatrie dazu, mit mir zusammenzuarbeiten?
„Seit einem halben Jahr gibt es bei uns im Verbund ein geriatrisches Zentrum. Nun sollen ältere Patienten aus meiner Abteilung, der Allgemein-Chirurgie, in diesem Zentrum behandelt werden, sofern sie entsprechende Befunde oder Komplikationen haben. Ich muss daher oft mit meinem Oberarzt-Kollegen in der Geriatrie zusammenarbeiten, habe jedoch den Eindruck, dass der Oberarzt, nennen wir ihn Dr. Meier, sich sehr stark abgrenzt. Ich erhalte nur die nötigsten Informationen über die Patienten und oft gibt es keine Planung oder Abstimmung mit mir. Die Patienten werden über das OP-Management in meine OPs geplant, ohne dass ich sie vorher gesehen habe. Ich muss Dr. Meier die Informationen aus der Nase ziehen oder mir diese selbst zusammensuchen. Mit meinen Chefarzt habe ich schon darüber gesprochen, dass ich so nicht arbeiten kann. Mein Chef hat daraufhin mit dem Chefarzt der Geriatrie gesprochen, doch das hat nichts gebracht. Ich habe Probleme, so weiterzuarbeiten, da ich wirklich Qualitätsprobleme und Komplikationen befürchte. Was kann ich tun?“
Petra Schubert: „Das ist ja eine mühsame Situation. Es stellen sich verschiedene Fragen: Warum verhält sich Dr. Meier so? Wie können Sie mit ihm umgehen? Könnte das OP-Management eine bessere Organisation und Information unterstützen? Wie verhält sich der Chefarzt von Dr. Meier? Hat es nach der Intervention Ihres Chefarztes ein Gespräch zwischen Dr. Meier und seinem Chefarzt gegeben? Aus meiner Sicht wäre es gut, wenn Sie sich noch mal mit Dr. Meier zusammensetzen, sofern Sie das nicht schon gemacht haben. Erläutern Sie ihm in Ruhe, wie es Ihnen mit der Situation geht, was Sie sich von ihm wünschen und welche Lösungen es aus Ihrer Sicht gibt. Führen Sie das Gespräch, ohne ihm Vorwürfe zu machen, und nehmen Sie eher die erzählerische Perspektive ein. Sie sollten auch verdeutlichen, dass es Ziel des Gesprächs ist, eine Lösung zu finden. Falls dies nicht gelingt und sich an der Situation nichts ändert, sollten Sie auf ein gemeinsames Gespräch drängen, an dem die beiden Chefärzte, Dr. Meier und Sie teilnehmen, und das weitere Vorgehen festlegen. Zudem könnten Sie überlegen, ob ein anderes Vorgehen des OP-Managements hilfreich wäre. Falls das alles nichts ändert, sollten Sie gemeinsam mit Ihrem Chefarzt das Qualitätsmanagement und den Ärztlichen Direktor oder medizinischen Geschäftsführer hinzuziehen. Am besten halten Sie die besprochenen Inhalte der einzelnen Termine in kurzen Stichworten in einer E-Mail fest und schicken diese allen Beteiligten. So haben Sie die Ergebnisse dokumentiert und können sie als Unterstützung oder zur Erinnerung zurate ziehen.“
Wir sollen so viele OPs wie möglich abarbeiten, doch alle sind am Limit – was nun?
„Bei uns in der Orthopädie hatten wir coronabedingt große Ausfälle. Im ersten Lockdown wurden die elektiven Fälle verschoben. Dann kam das Sommerloch. Viele Patienten wollten vermutlich die Möglichkeit nutzen, wieder unter Leute zu gehen, in Cafés oder Restaurants zu sitzen und das öffentliche Leben zu genießen, statt sich einer anstehenden OP zu unterziehen. Wir haben also wirklich schlechte Zahlen in unserer Abteilung und schieben eine ganze Liste von Fällen vor uns her, die wir jetzt abarbeiten müssen. Denn mit der zweiten Welle kamen plötzlich alle auf die Idee, ihre noch anstehenden OPs wahrnehmen zu wollen. Wir haben daher unglaublich viel zu tun und können oft die Anfragen und die Organisation nur noch schwer umsetzen. Die Verwaltung will natürlich so viel Geld wie möglich reinholen und drängt unseren Chefarzt, alles möglich zu machen. Und unser Chefarzt drängt deshalb darauf, zumindest so viele OPs wie möglich abzuarbeiten. Wir sind jedoch alle schon am Limit und schleppen uns nur noch von einem Patienten zum nächsten – mit der Gefahr, Fehler zu machen. Wie sollen wir damit umgehen?“
Petra Schubert: „Sie sollten dringend und ganz deutlich mit Ihrem Chefarzt sprechen. In diesem Gespräch sollten Sie darauf drängen, in der nächsten Frühbesprechung die Belastungssituation anzusprechen, damit alle gemeinsam das Thema loswerden und sie ein gemeinsames Vorgehen festlegen können. Sinnvoll wäre, wenn Sie mit Ihrem Chefarzt definieren, wie viele Patienten die Abteilung realistisch behandeln kann und soll, ohne dass einer Ihrer Kollegen ,zusammenklappt‘. Auf dieser Basis sollte Ihr Chefarzt ein Gespräch mit der Geschäftsführung suchen, die Patientenzahl ankündigen und festlegen. Dabei könnten Sie ihn unterstützen, indem Sie zum Termin mitgehen und die Situation sowie die Stimmung der Kollegen aus Ihrer Sicht schildern. Gleich in der nächsten Frühbesprechung sollten Sie gemeinsam mit Ihrem Chefarzt die festgelegte Patientenzahl kommunizieren und planen.“
Dtsch Arztebl 2021; 118(5): [2]