Situation der stationären Pädiatrie besonders kritisch

31 August, 2023 - 07:49
Bianca Freitag
Kind sitzt auf einem Bett auf der Kinderstation

Verzweifelte Eltern und überlastetes Personal – so sieht der Alltag der stationären Kinder- und Jugendmedizin aus. Das führt häufig sogar zu einer Patientengefährdung, wie eine Umfrage des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und des Hartmannbundes feststellt. Die Situation der Pädiatrie ist alarmierend.

Kindermedizin lohnt sich wirtschaftlich nicht und ist oft ein Minusgeschäft. Diese Meinung vertreten viele Kliniken. Denn für die Versorgung von Kindern braucht es viel Zeit und Personal. „Rund um die Uhr einen Schockraum zu betreiben, wo sich ein Kinderchirurg, ein Neurochirurg, ein Kinderintensivmediziner, ein Kinderanästhesist jederzeit innerhalb von Minuten treffen und dann für ein kritisch krankes Kind da sind, das ist extrem kostenintensiv“, beschreibt Florian Hoffmann, Oberarzt auf der Kinderintensivstation der Uniklinik München, die Situation.

Patientengefährdung kein Einzelfall

Sowohl die Ärztinnen und Ärzte als auch das Pflegepersonal der Pädiatrie sind an der Belastungsgrenze. Das ergab eine nicht repräsentative Umfrage des NDR und des Hartmannbundes mit 630 Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Berufsgruppe. Rund die Hälfte aller Befragten gibt an, dass sie Pausenzeiten nur selten oder nie einhalten können. 45 Prozent der Medizinerinnen und Mediziner oder des Pflegepersonals vertreten mehrmals monatlich krankheitsbedingte Ausfälle anderer Kolleginnen und Kollegen. Für 60 Prozent erscheint die Wertschätzung ihrer Arbeit mangelhaft. Ein weiteres Problem ist der Fachkräftemangel, besonders bei den Pflegekräften. So müssen sich immer weniger Pflegekräfte um immer mehr Patientinnen und Patienten kümmern.

Diese kritische Situation wirkt sich auch negativ auf die Patientenversorgung aus. 40 Prozent der Umfrageteilnehmenden geben an, dass die hohe Arbeitsbelastung in der Pädiatrie schon einmal zu einer Patientengefährdung geführt hat. Die Größe der Klinik sei dabei nicht relevant. Es fehle die Zeit, Kinder sowohl zeitgerecht als auch gründlich genug zu untersuchen und zu behandeln. Außerdem komme es zu Fehl- oder Überdosierung von Medikamenten. Die Arbeitsbelastung ist so hoch, dass 34 Prozent der Befragten beschreiben, mehrmals in der Woche über ihre persönliche Belastungsgrenze hinauszugehen. Bei 41 Prozent kommt dies mehrmals im Monat vor.

Kindermedizin ist nicht wirtschaftlich

Die Lage der Pädiatrie scheint sich stetig zu verschlechtern. Etwa 60 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass sich die Arbeitsbedingungen in den letzten fünf Jahren verschlechtert haben. Das zeuge noch mehr vom akuten Handlungsbedarf und zeige, wie wichtig eine strukturelle und finanzielle Krankenhausreform sei. Das betonte Dr. Theodor Uden, Vorstandsmitglied im Hartmannbund und Kinder- und Jugendarzt an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Wenn man möchte, dass Ärztinnen und Ärzte und Pflegepersonal sich konzentriert um die Patientinnen und Patienten kümmern können, muss der ökonomische Druck aus dem System“, sagte der Mediziner. Das bestätigte auch Gesine Hansen, Professorin für Kinderheilkunde an der Medizinischen Hochschule Hannover. Kinder würden im Gesundheitssystem weit hinten stehen, da Kindermedizin nicht wirtschaftlich sei.

Konkrete Verbesserungswünsche

Doch wie lassen sich die akuten Probleme lösen? Experten fordern eine grundlegende Strukturreform in der Pädiatrie, um Klinikschließungen zu vermeiden. Laut Uden sei eine (teilweise) fallzahlunabhängige Vorhaltevergütung sinnvoll, die auch die Personalkosten enthalte und eine zusätzliche Komponente, die unterschiedliche Komplexitätsgrade der Patienten abbilde. Darüber hinaus sollte es eine bessere Lenkung der Patientenwege geben, sodass stationäre Kapazitäten effizienter nutzbar werden. Außerdem plädiert Uden für eine Digitalisierung aller Dokumentations- und Behandlungsprozesse. Das schaffe beim medizinischen Personal mehr Zeit für die Patientenversorgung.

Die Umfrageergebnisse beinhalten ebenso konkrete Verbesserungsvorschläge der Befragten. Sie wünschen sich beispielsweise:

  • mehr nicht-pflegerisches oder nicht-ärztliches Personal zur Delegation
  • bessere Arbeitsabläufe
  • eine bessere Vergütung
  • mehr Flexibilität der Arbeitszeit, zum Beispiel Teilzeit
  • eine auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie
  • eine bessere Ausstattung mit pädiatrisch spezialisierten Pflegefachkräften.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bestätigt, dass die Pädiatrie chronisch unterfinanziert sei. Innerhalb der anstehenden Krankenhausreform spricht er von Sonderzuschlägen für diesen Bereich. Wie viel Geld hier gezahlt werden soll, steht jedoch noch nicht fest.

Quelle: NDR/Hartmannbund

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