
Wie können kleinere Kliniken überleben, wenn das Geld knapp, das Personal rar und die Reformen unklar sind? Im Landkreis Weilheim-Schongau hat die Krankenhaus GmbH den radikalen Schritt gewagt: Aus einem defizitären Krankenhausbetrieb wurde ein sektorenübergreifender Versorger mit ambulantem Schwerpunkt. Claus Rauschmeier, stellvertretender Geschäftsführer der Krankenhaus GmbH und Geschäftsführer des MVZ, sowie Dr. Rolland Rosniatowski, Leiter des Ambulanten OP-Zentrums, berichten, wie der Umbau gelungen ist – und was Ärztinnen und Ärzte daraus lernen können. Besonders bemerkenswert: SoGesund erfüllt alle Merkmale einer Level-1i-Klinik – und ist nicht wie so viele andere Projekte dieser Art gescheitert, sondern hat sich neu erfunden.
Strukturwandel statt Stillstand: Warum ein mutiger Schnitt notwendig war
Die Ausgangslage in Weilheim-Schongau war keine Ausnahme, sondern exemplarisch für viele kleinere Krankenhäuser in Deutschland: sinkende Fallzahlen, fehlendes Personal, wirtschaftlicher Druck. Doch während anderswo Häuser geschlossen oder notdürftig fusioniert wurden, entschied man sich hier für einen radikaleren, aber auch konsequenten Schnitt. Claus Rauschmeier bringt es auf den Punkt: “Wir standen an einem Punkt, an dem gar nichts mehr ging. 190 Grad – links oder rechts – oder Vollbremsung.”
Die Entscheidung ist den Verantwortlichen nicht leicht gefallen, aber sie war alternativlos: Die klassischen Strukturen wurden aufgegeben, der stationäre Bereich stark zurückgefahren, dafür ambulante und sektorenübergreifende Angebote massiv ausgebaut. Entstanden ist SoGesund – ein medizinisches Versorgungsnetzwerk mit MVZ, ambulantem OP-Zentrum, Notfall-Ambulanz, stationären und therapeutischen Angeboten sowie einer gezielten Kooperation mit Fachärztinnen und Fachärzten vor Ort. Was zunächst nach Rückbau klingt, erwies sich als Neuanfang mit medizinischer und ökonomischer Substanz.
Um den Status Level-1i-Klinik beizubehalten, hieß es, neu zu denken. Nicht das ‚kleine Krankenhaus‘ stand im Fokus, sondern die Versorgungsverantwortung für die Region. Dieses Mindset war entscheidend, um den Umbau zu tragen und glaubwürdig gegenüber Mitarbeitenden, Politik und Öffentlichkeit zu vertreten.
Neue Rollen, neue Wege: Warum SoGesund Ärztinnen und Ärzte anders denkt
Rosniatowski, Leiter des ambulanten OP-Zentrums, war selbst Teil des Wandels – als Arzt und als Führungskraft. Im Laufe der Umstrukturierungen waren auch schmerzhafte Entlassungen nötig. Das ist den Verantwortlichen nicht leicht gefallen, erinnert er sich. Am Ende des Prozesses stand jedoch eine grundlegend veränderte Haltung gegenüber der Frage, welche Art von Medizinerinnen und Medizinern SoGesund als Mitarbeitende braucht: „Wir brauchen Fachärztinnen und Fachärzte, die Verantwortung übernehmen – nicht nur für Eingriffe, sondern für Versorgung insgesamt.“
Bei SoGesund sind Ärztinnen und Ärzte nicht Teil einer starren Klinikstruktur, sondern gestalten Prozesse aktiv mit. Das beginnt bei der flexiblen OP-Planung, geht über die Mitwirkung an digitalen Tools bis hin zu interdisziplinären Fallkonferenzen. „Wir wollten keine neuen Hierarchien bauen, sondern funktionierende Netzwerke“, so Rosniatowski. Die Zusammenarbeit mit externen Spezialistinnen und Spezialisten ist ausdrücklich erwünscht – SoGesund versteht sich als Plattform, nicht als geschlossene Einheit.
Auch das ärztliche Selbstverständnis verändert sich dadurch. Junge Fachärztinnen und Fachärzte finden hier flache Strukturen, Eigenverantwortung und moderne Rahmenbedingungen – und entscheiden sich bewusst für eine ländliche Region, weil das Arbeiten dort Sinn stiftet und Gestaltungsspielraum bietet.
Besonders bemerkenswert: Die Ausbildung von Physician Assistants als Ergänzung zur ärztlichen Versorgung. Hier wird nicht nur kompensiert, was an Assistenzärztinnen und -ärzten fehlt, sondern gezielt eine neue, teamorientierte Versorgungspraxis etabliert. Das Modell stärkt nicht nur die ärztliche Arbeit, sondern schafft auch neue Perspektiven für Fachkräfte.
Level-1i-Klinik mit Perspektive: Was SoGesund von anderen unterscheidet
Viele Level-1i-Kliniken kämpfen mit ähnlichen Herausforderungen wie SoGesund: begrenzte Mittel, Personalmangel, unklare Perspektiven. Doch während andere Einrichtungen an der starren Aufrechterhaltung stationärer Strukturen scheiterten, entschied sich SoGesund für einen Neuanfang mit klarer strategischer Linie. Der Unterschied liegt auch im Umgang mit Ambivalenz: Statt in alten Kategorien zu verharren, nutzte SoGesund die Reformdynamik, um eigene Antworten zu finden.
Ein Schlüssel war dabei die Digitalisierung. Von Anfang an investierte SoGesund in IT-Systeme, die speziell für ambulante Prozesse ausgelegt sind. Die OP-Planung läuft digital, genauso wie die Anbindung an regionale Netzwerke. Das ermöglicht eine deutlich effizientere Steuerung – und kommt Patientinnen und Patienten zugute. Allerdings müssen dafür auch finanzielle Investitionen getätigt werden, die anderen Einrichtungen möglicherweise fehlen.
Ein weiterer Baustein für den Erfolg ist die konsequente Kultur der Kooperation. Niedergelassene Kolleginnen und Kollegen wurden früh einbezogen, mitgestaltende Rollen wurden geschaffen, externe Fachärztinnen und Fachärzte gezielt angesprochen. Das Ergebnis: ein Versorgungssystem, das nicht auf Abgrenzung, sondern auf Synergien setzt.
Rauschmeier betont: „Level-1i ist für uns kein Defizitstatus, sondern Verpflichtung. Wir wollen zeigen, dass es auch anders geht – und dass ländliche Versorgung nicht Verzicht, sondern Chance bedeutet.“
Was andere daraus lernen können
SoGesund ist kein Modell, das sich 1:1 übertragen lässt. Aber es ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie strukturelle und kulturelle Veränderungen Hand in Hand gehen können. Der Umbau war nicht schmerzfrei – mehr als 200 Stellen wurden abgebaut, Prozesse mussten neu gedacht, Teams neu geformt werden. Aber das Ergebnis ist ein funktionierendes Versorgungssystem, das zeigt: Ambulantisierung muss kein Synonym für Abbau sein – sie kann auch Gestaltung bedeuten.
Für Ärztinnen und Ärzte bietet das Modell neue Perspektiven. Die Arbeit ist patientennah, flexibel, medizinisch anspruchsvoll – und sie findet in einem Umfeld statt, das auf Vertrauen, Transparenz und Mitverantwortung setzt. Besonders für Fachärztinnen und Fachärzte mit Wunsch nach mehr Gestaltungsspielraum bietet SoGesund eine Alternative zum klassischen Klinikbetrieb.
Und für die Politik liefert das Projekt wertvolle Erkenntnisse: Versorgungssicherung im ländlichen Raum ist möglich – wenn man bereit ist, Klinik neu zu denken. Level-1i-Kliniken wie SoGesund können zu Keimzellen eines anderen Systems werden – wenn man ihnen Raum, finanziell ausreichende Ressourcen, Unterstützung und Autonomie gibt.
Claus Rauschmeier und Dr. Rolland Rosniatowski zeigen mit ihrem Team, dass Transformation möglich ist. Was es dafür braucht: Mut, medizinische Exzellenz, und das Vertrauen, dass neue Wege manchmal mehr tragen als alte Kompromisse.
Medizin trifft Unternehmertum
Ein zentraler Erfolgsfaktor bei SoGesund ist die enge medizinisch-strategische Verzahnung – und damit auch das aktive Engagement von Ärztinnen und Ärzten auf unternehmerischer Ebene. Besonders prägend ist in diesem Kontext die Rolle von Rosniatowski. Als Arzt war er nicht nur fachlich maßgeblich beteiligt, sondern übernahm bewusst auch Mitverantwortung für konzeptionelle und wirtschaftliche Entscheidungen. Für ihn war klar: Ein solch tiefgreifender Umbau kann nur gelingen, wenn medizinische Kompetenz von Anfang an Teil der strategischen Gestaltung ist.
Bei SoGesund denkt man die Versorgung weiter – etwa durch die geplante Anbindung von MVZs, die eine dezentrale, aber vernetzte Versorgung ermöglichen sollen. Rosniatowski ist maßgeblich in solche Überlegungen eingebunden. Er ist nicht nur Arzt, sondern auch Unternehmer – im besten Sinne. Einer, der sich nicht auf klinische Exzellenz beschränkt, sondern sich für Strukturen interessiert, die Versorgung besser, effizienter und nachhaltiger machen. Und er sagt klar: "Wir brauchen mehr Medizinerinnen und Mediziner, die bereit sind, in diesen Rollen zu denken. Nur dann können wir Versorgung wirklich weiterentwickeln."
Diese Haltung – die Verbindung von ärztlicher Expertise und unternehmerischer Verantwortung – ist ein zentraler Baustein für das Gelingen von SoGesund. Sie zeigt, dass ärztliche Beteiligung weit über die Patientenversorgung hinausgehen kann – und in Zukunft vielleicht auch muss.