
Im Arbeitsalltag ist es für Ärztinnen und Ärzte oft herausfordernd, die Balance zwischen Patientenversorgung, Administration und persönlichem Wohlbefinden zu halten. Wie es gelingt, eigene Ziele zu erkennen, entspannt im Blick zu behalten und die eigenen Aufgaben gut und gerne in den Griff zu bekommen.
Als singuläre Maßnahme hat die Defragmentierung von Komplexität durch Fokussierung den größten Effekt auf die Selbstwirksamkeit. Die Fähigkeit, sich auf ein Ziel oder eine Aufgabe zu konzentrieren und sie ohne Ablenkungen oder Unterbrechungen zu erledigen, kann leistungsfähig machen. Die folgenden vier Schritte können dabei helfen:
1. Sich selbst und dem Umfeld klare Ziele setzen: Ärztinnen und Ärzte sollten sich klare Ziele und Meilensteine für ihren Alltag setzen. Beispielsweise lässt sich ein idealer Arbeitstag auf Station im 4/4-Takt mit je zwei mal zwei Stunden vormittags und nachmittags beschreiben. Die ersten beiden Viertel sollten sie der Visite, den Entlassungen und der Dokumentation, die zweite Halbzeit den Neuaufnahmen, der Funktionsdiagnostik und der Vorbereitung des Folgetags widmen.
Eine Halbzeitpause gehört zum Prinzip. Ärztinnen und Ärzte sollten sie zur Zwischenbilanz, Austausch im Kollegenkreis und Erholung nutzen. Die zeitliche Synchronisation der Gruppe und die positive Verstärkung helfen beim Erhalt der neuen, fokussierten Tagesstruktur.
2. Arbeitsumgebung frei von Ablenkungen schaffen: Ärztinnen und Ärzte sollten sich an ihrem Arbeitsplatz einen Bereich einrichten, der frei von Ablenkungen ist. Sie sollten überflüssige Gegenstände oder unorganisierte Unterlagen auf ihrem Schreibtisch vermeiden und diese in Schubladen unter dem Tisch verstauen. Sie sollten persönliche Geräte wie Smartphone außer Reichweite halten und alle Benachrichtigungen und Alarme abschalten, während sie am Schreibtisch arbeiten. In einem zweiten Schritt könnten sie „stille Stunden“ mit ihrem Umfeld abstimmen. Das sind Zeitfenster, in denen sie defragmentiert Aufgaben abarbeiten können. Externe kann man mit einer Ampel an der Bürotür auf die „stille Stunde“ aufmerksam machen.
3. Etablierte Zeitmanagementtechniken verwenden: So ermöglichen Arbeitsintervalle à 25 Minuten gefolgt von 5 Minuten Pause fokussierte Arbeitseinheiten. Diese Methode zur Defragmentation und Fokussierung wird auch als Pomodoro-Technik bezeichnet. Ärztinnen und Ärzte können beispielsweise im vierten Viertel des Tages auf Station festlegen, dass sie sich für eine Pomodoro-Einheit ausschließlich auf die Dokumentation und Arztbriefschreibung konzentrieren, gefolgt von einer fünfminütigen Pause zur Erholung. In einem zweiten Schritt könnten sie eine telefonfreie Stunde zwischen 14 und 15 Uhr vereinbaren, in der das störende Telefon auf den Dienst umgeleitet wird.
4. Singletasking praktizieren und in Kontexten arbeiten: Beispielsweise haben sich „auf Visite“ Unschärfen bei den Kontexten eingeschlichen. „Visite“ als Kontext ist zu inhomogen, hier hilft die Dichotomie in „Patientenvisite“ und „Visitendokumentation“. Ärztinnen und Ärzte sollten sich beispielsweise während Ihrer Visite zuerst auf ihre Patienten konzentrieren (Kontext Patientenvisite) und anschließend „en bloc“ dokumentieren (Kontext Visitendokumentation).
Die ununterbrochenen und folglich vertrauensvollen Gespräche mit den Patienten im Kontext Visite können kurz und zielorientiert bleiben. Anschließend wechseln Sie ihren Kontext dokumentieren und treffen Anordnungen am Rechner. In einem zweiten Schritt können Ärztinnen und Ärzte die Dokumentation an geschultes Assistenzpersonal delegieren, um die Selbstwirksamkeit in der Visite zu erhöhen.
Die Fähigkeit zur Fokussierung fördert Produktivität und Selbstverwirklichung. Es ist wichtig zu beachten, dass Produktivität ein persönliches und individuelles Konzept ist. Daher kann es hilfreich sein, verschiedene Techniken auszuprobieren und anzupassen, um herauszufinden, was am besten funktioniert.
Konzentration auf wichtige Aufgaben
Priorität wird viel zu selten in der Einzahl genutzt, obwohl dieses Wort tatsächlich nur im Singular Sinn ergibt. Dwight D. Eisenhower schaffte Klarheit, indem er seine Aufgaben klar dichotomisierte: „Es gibt nur zwei Arten von Aufgaben: wichtige und dringliche. Wichtiges ist selten dringlich, und Dringliches ist selten wichtig.“ Dringlichkeiten und Gefälligkeiten drängen sich von extern auf, das Resultat ist die Dringlichkeits- oder Gefälligkeitsfalle. Die mit Dringlichkeiten und Gefälligkeiten verbrachte Zeit fehlt für das Wichtige, insbesondere aus den vier Lebensbereichen Karriere, Beziehung, Gesundheit und Reflexion. Indem Ärztinnen und Ärzte sich auf ihre wichtigen Aufgaben in allen Lebensbereichen konzentrieren und diese priorisieren, können sie sicherstellen, dass sie ihre Zeit am wirksamsten nutzen.
Ärztinnen und Ärzte sollten sicherstellen, dass sie ihre Priorität auf der Grundlage von Wichtigkeit und langfristiger Zielsetzung festlegen. Sie sollten einen Zeitplan oder Zeitplan für ihre Aufgaben, Projekte und Ziele erstellen. Sie sollten ihre Zeit so planen, dass sie genügend Zeit und ausreichend Energie für wichtige Aufgaben haben und auch Zeit für Pausen und Entspannung einplanen. In einem zweiten Schritt können sie Synergien in den Lebensbereichen suchen und entwickeln. Sowohl die regelhafte Fahrt mit dem Rad zur Arbeit als auch ein wertschätzendes Miteinander am Arbeitsplatz hebeln ihre Priorität durch das Nutzen von Schnittmengen der Lebensbereiche.
Delegation und Selbstfürsorge
Zwei wirksame Instrumente sind Delegation und Selbstfürsorge. Ärztinnen und Ärzte sollten unwichtige Aufgaben delegieren, denn so können sie sicherstellen, dass sie ihre Zeit auf die wichtigsten Aufgaben konzentrieren. Die Einbindung eines Steuerberaters oder einer Haushaltshilfe kann Freiräume schaffen. Für Freiräume auf Einkommen zu verzichten, ist oft lohnenswert, zumal sie diese Freiräume nutzen können, um die Einkommensquelle abzusichern. Selbstfürsorge ist das Fundament von Produktivität. Ärztinnen und Ärzte sollten dafür sorgen, dass sie genug Zeit für sich selbst haben und ausreichend Schlaf, Bewegung und gesunde Ernährung erhalten. Indem sie sich um ihre körperliche und geistige Gesundheit kümmern, können sie ihre Energie, Motivation und Konzentration steigern und damit ihre Effektivität verbessern.
Aus der konsistenten Anwendung und Fortentwicklung der persönlichen Arbeitsmethodik und proaktiven Priorisierung entspringen Produktivität und Selbstwirksamkeit nahezu automatisch.
Der Autor:
Prof. Dr. med. Alexander Ghanem
Chefarzt Innere Medizin II
Kardiologie & internistische Intensivmedizin
Asklepios Klinik Nord
22417 Hamburg
Dtsch Arztebl 2024; 121(1): [2]