Wie gelingt das Mitarbeitergespräch in der Klinik?

18 Januar, 2023 - 11:15
Michael Fehrenschild
Ärzte sitzen auf der Treppe und reden
Mitarbeitergespräche brauchen nicht unbedingt einen formellen Rahmen. Wichtig ist aufrichtiges Interesse am Gegenüber.

Der autoritäre Führungsstil ist heute von gestern: Auch Ober- und Chefärztinnen und -ärzte müssen mehr denn je darauf achten, den richtigen Ton zu treffen – in der allgemeinen Kommunikation von oben nach unten sowie beim Mitarbeitergespräch. Wirtschaftspsychologe und Autor Marcus Schweighart spricht über die Kunst, Personalgespräche zeitgemäß zu führen.

Der „Big Boss“ hat im 21. Jahrhundert zunehmend ausgedient. Die Gesellschaft ist im Wandel hin zu mehr Diversität und flachen Hierarchien, die Grenzen zwischen Chefetage und „Untergebenen“ verschwimmen. Und das kommt langsam auch in den Krankenhäusern an. Coach Marcus Schweighart empfiehlt daher, auch dort verstärkt auf moderne Gesprächsführung hinzuarbeiten: „Das Mitarbeitergespräch sollte wirklich zu neuen Erkenntnissen führen und beide Seiten ein Stück weit schlauer machen. Heißt: Relevanz beinhalten, aber auch Resonanz auf der Beziehungsebene.“

Allzu oft steht dem aber immer noch eine negative Unternehmenskultur im Weg. Viele Führungskräfte schauen vor allem auf die Fehler, was der Experte den „eingebauten Defizitfokus“ nennt. Da wird vielleicht mal nebenbei erwähnt, dass etwas gut klappt, aber der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der „Reparatur“ von Negativem.

Stärken statt zusammenfalten

„Wenn etwas auf einer Station nicht funktioniert, was sich beispielsweise auch in den Rückmeldungen der Patienten niederschlägt, kann der Chefarzt natürlich das Personal zusammentrommeln und lospoltern: ‚Leute, was stimmt mit euch nicht? Das geht so nicht, das muss besser werden!‘“, schildert der Wirtschaftspsychologe. Doch wenn er danach einfach rausgeht, hat er aus psychologischer Sicht nur Kritik geübt, die Stress auslöst. Das lässt die Mitarbeitenden frustriert zurück, statt Lösungen aufzuzeigen.

Besser wäre ein erklärender und einladender Ansatz, der – und das ist ein genialer Kniff – das Negative konkret anspricht und das als Sprungbrett für die Wendung zum Positiven benutzt. Etwa so: „Wir haben Mängel. Die müssen wir beheben. Was wollen wir eigentlich erreichen? Wir wollen der Bereich mit den wenigsten Beschwerden werden. Ich weiß, dass wir das Potenzial, die Fähigkeiten und die Erfahrung haben, das zu schaffen. Lasst uns doch gemeinsam überlegen, wie wir das hinkriegen.“ So werden die Mitarbeitenden gleichzeitig aufgebaut und in die Lösung eingebunden.

Dieser „Zaubertrick“ kommt aus der positiven Psychologie. „Das ist die Wissenschaft vom gelingenden Leben. Sie unterstützt Menschen, ihre Potenziale zu entfalten.“ Es geht also weniger darum, Mitarbeitende in dem zu verbessern, was sie nicht so gut können, sondern das zu perfektionieren, was ihnen bereits gelingt. Schweighart ist überzeugt: „Wenn ich nur die Defizite wegcoache, dann entwickele ich einen unauffälligen, aber keinen exzellenten Mitarbeiter!“ Aber ein Missverständnis möchte er unbedingt vermeiden: „Positive Psychologie bedeutet nicht, alles durch eine rosarote Brille zu betrachten oder mit Wattebäuschchen um sich zu werfen, denn die Missstände werden klar genannt.“

Ehrliches Interesse beim Mitarbeitergespräch

Moderne Führung beinhaltet im Vier-Augen-Mitarbeitergespräch aber noch viel mehr, zum Beispiel ein ehrliches Zuhören, um das Gegenüber auch wirklich zu verstehen. Dazu gehört die uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Schweighart betont: „Wenn ich das umsetze, habe ich schon eine gute Voraussetzung für die Kommunikation. Falls der Oberarzt stattdessen während des Termins nebenher in einer Patientenakte blättert, zeigt er, dass ihn die Antworten seines Gegenübers nicht sehr interessieren.“ Andererseits sollten Vorgesetzte kein Interesse heucheln. „Wer nur so tut, als ob für ihn die Antworten der Mitarbeitenden relevant sind, unterschätzt die Menschen – denn die merken das in der Regel“, so der Berater.

Der beste Einstieg in den Dialog ist immer das Thema „Wo liegen die Stärken des Mitarbeitenden?“ Wie macht sich zum Beispiel eine Assistenzärztin im ersten Jahr? Was klappt prima? Ein Oberarzt kann vielleicht auch mal ein Gespräch so anfangen: „So empathisch wie du neulich mit Frau Maier gesprochen hast, das finde ich echt klasse. Du hast ihr ein Lächeln ins Gesicht gezaubert und ihr die schwierige Situation erleichtert.“ Schweigharts Erfahrung ist, dass Mitarbeitende dann zumeist verlegen lächeln und „zwei Zentimeter größer werden“. Und: „Das tut einfach gut. Es stärkt die  Beziehung und letztendlich die personellen Ressourcen,“ erklärt der erfahrene Trainer.

Gespräche mehrmals im Jahr

Auch die klassische Formulierung von Zielen und Visionen ist nach wie vor hilfreich – vor allem der gemeinsamen. In der positiven Führung geht es darum, mit jedem Mitarbeitenden zusammen zu überlegen, was der Beitrag ist, den er oder sie dazu leisten möchte. Wichtig ist aber, darauf hinzuweisen, dass dieses Ziel erst angestrebt wird. Dazu sollten Vorgesetzte klarstellen: „Wir sind noch nicht dort, aber ich möchte da gerne hin.“ Generell gilt: Nicht in der Vergangenheit stecken bleiben, mehr nach vorne schauen.

Darüber hinaus hat das etablierte Jahresgespräch nach wie vor seine Berechtigung. „Aber es sollte nicht das einzige sein“, so Schweighart und empfiehlt häufigere und dafür kürzere Begegnungen: „Wenn nur einmal im Jahr so ein Gespräch stattfindet, versucht die Führungskraft im positiven Fall alle Wertschätzung in diesen einen Tag zu legen. Das ist ein bisschen wie Muttertag, wo man noch schnell auf dem Weg an der Tankstelle Blumen kauft – und das geht dann oft schief.“ Er empfiehlt stattdessen am Anfang ein Grundlagengespräch über die Erwartungen an die Zusammenarbeit zu führen und dass dann alle vier bis acht Wochen wieder kurz aufzugreifen. Diese Treffen können anlassbezogen sein, auch mit Lob und Feedback. Dadurch kann das oft „gefürchtete Jahresgespräch“ kompakter werden, weil vieles schon gesagt wurde. Auch muss der Gesprächsrahmen nicht immer formell sein. Auch der „Schnack“ an der Kaffeemaschine – dem viele Vorgesetzte eher aus dem Weg gehen, ist wichtig, wie diverse Studien belegen. Und natürlich sollte niemand nur mit seinen Lieblingen sprechen.

Zudem warnt der Coach davor, „angelesene“ Konzepte – egal von wem und wie gut sie sind – einfach ohne Selbstreflexion zu übernehmen: „Wenn die Chefin nach einem eintägigen Kommunikations-Seminar plötzlich wie ein Honigkuchenpferd durch die Etage läuft, denkt die Belegschaft ‚in zwei Wochen ist sie wieder normal…‘ Die Umsetzung der Methoden muss zur eigenen Persönlichkeit passen.“

Sieben goldene Regeln für gute Mitarbeitergespräche

  • Regelmäßige Gespräche führen – formell und informell
  • Stärken aufzeigen und fördern
  • Nicht zurück, sondern nach vorne schauen
  • Kein Interesse heucheln
  • Nicht stur nach Lehrbuch vorgehen
  • Ziele nicht verkünden, sondern einordnen und erklären
  • Ideal: ein Verhältnis von positiven zu negativen Inhalten von etwa 4:1.

Der Experte

Marcus Schweighart

Marcus Schweighart ist Wirtschaftspsychologe und Bankfachwirt. Als Coach, Trainer und Berater legt er den Schwerpunkt auf „Positive Führung“. Zusammen mit dem Politikwissenschaftler und Coach Christian Thiele hat er aktuell das Buch „Mitarbeitergespräche positiv führen“ veröffentlicht.

Buchtipp: Schweighart, Marcus / Thiele, Christian: Mitarbeitergespräche positiv führen. Konstruktiver kommunizieren als Führungskraft – auch in schwierigen Situationen. BusinessVillage 2022

Bild: © romanus fuhrmann

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