
Naturheilverfahren haben eine teilweise jahrtausendealte Tradition. Doch sie sind nach wie vor gefragt, weil sie häufig eine sanfte und nebenwirkungsarme Therapie versprechen. Wie die Zusatz-Weiterbildung aufgebaut ist und welche Voraussetzungen es gibt, erfahren Sie im Beitrag.
Auf einen Blick: Zusatz-Weiterbildung Naturheilverfahren
- Definition: Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatz-Bezeichnung Naturheilverfahren haben sich auf natürliche Heilmethoden spezialisiert. Dazu zählen pflanzliche Mittel (Phyto-Therapie), Ernährung, Bewegung und Entspannung sowie die medizinische Anwendung von Wasser, Licht, Kälte und Wärme.
- Voraussetzungen: Facharztanerkennung
- Dauer: 160 Stunden Kurs-Weiterbildung in Naturheilverfahren und 80 Stunden Fallseminare unter Supervision Die Fallseminare können durch 6 Monate Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten ersetzt werden.
- Anzahl: In Deutschland sind 16.063 Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren bei den Kammern registriert. Davon sind 11.904 berufstätig. 9.592 arbeiten ambulant in einer Praxis, 1.150 in einer Klinik.
Lavendel gegen Schlafstörungen, Thymian gegen Husten oder Fenchel für die Verdauung: Heilkräuter und pflanzliche Arzneimittel werden schon seit Jahrtausenden für medizinische Zwecke genutzt und sind auch heute sehr beliebt. Die Phyto-Therapie beschäftigt sich mit der Wirkungsweise von Heilkräutern – also den Blüten, Wurzeln oder Blättern bestimmter Pflanzen. Ein Trend-Thema in der Medizin ist nach wie vor Cannabis: Während der Freizeitgebrauch von Cannabis als Rauschmittel in Deutschland nach wie vor illegal ist (Stand: Februar 2023), können Ärztinnen und Ärzte cannabishaltige Arzneimittel seit 2011 bei bestimmten Erkrankungen verschreiben. Und auch das freiverkäufliche CBD-Öl, das beruhigend, schmerzstillend und entzündungshemmend wirkt, gehört in den Bereich der Naturheilkunde.
Neben der Anwendung von Heilpflanzen gehören auch Methoden wie die Aromatherapie oder eine bestimmte Ernährungsweise in den Bereich der Naturheilkunde. Auch Akupunktur und Massagen gehören dazu – allerdings kann man sich darauf auch mit anderen Zusatz-Weiterbildungen spezialisieren (siehe Zusatz-Weiterbildung Akupunktur und Zusatz-Weiterbildung Manuelle Medizin). Die Naturheilkunde hat einen ganzheitlichen Ansatz und geht davon aus, dass jeder Mensch anders ist und es daher keine „One-size-fits-all“-Lösung gibt. Alle Patientinnen und Patienten sollten daher individuell behandelt und mit ihren Bedürfnissen berücksichtigt werden.
Naturheilkunde vs. „Schulmedizin"?
Viele Patientinnen und Patienten sehen einen Gegensatz zwischen der Naturheilkunde bzw. alternativen Heilmethoden, die als schonender und nebenwirkungsärmer wahrgenommen werden, und der sogenannten „Schulmedizin". Damit gemeint ist die vorwiegend naturwissenschaftlich orientierte Medizin, die mit wissenschaftlichen Methoden arbeitet. Während chemische und pharmazeutische Möglichkeiten die traditionelle Naturheilkunde in der westlichen Medizin des 20. Jahrhunderts größtenteils verdrängt haben, findet inzwischen ein Umdenken statt: Immer mehr Ärztinnen und Ärzte erkennen an, dass naturheilkundliche Methoden die Behandlung von Patientinnen und Patienten unterstützen können und auf große Akzeptanz stoßen. Inzwischen wird Naturheilkunde auch als Teil des Medizinstudiums gelehrt und im Staatsexamen geprüft.
Auch, wenn einem Teil der Naturheilkunde immer noch etwas Esoterisches anhaftet, steht sie durchaus auf einem wissenschaftlichen Boden: So lässt sich die Wirksamkeit vieler Heilpflanzen durch Studien belegen. Beispielsweise kann Johanniskraut laut Leitlinie als erster Therapieversuch bei leichten und mittelgradigen Depressionen eingesetzt werden. Leitlinienempfehlungen gibt es auch für Flohsamen bei Verstopfungen und für eine Kombination von Efeu und Thymian bei Husten. Andere Methoden wie die Homöopathie sind dagegen wissenschaftlich umstritten und werden in der Ärzteschaft kontrovers diskutiert.
Die Zusatz-Weiterbildung Naturheilkunde eignet sich vor allem für Ärztinnen und Ärzte, die sich für traditionelle Heilmethoden interessieren und ihren Patientinnen und Patienten hier eine Alternative bieten möchten. Sinnvoll ist die Zusatz-Qualifikation daher vor allem in der Allgemeinmedizin, aber aber auch in vielen anderen Fachgebieten.
Naturheilkundler werden: Die Zusatz-Weiterbildung im Überblick
Dauer der Weiterbildung
- 160 Stunden Kurs-Weiterbildung gemäß § 4 Abs. 8 in Naturheilverfahren
- 80 Stunden Fallseminare unter Supervision.
Die Fallseminare können durch 6 Monate Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten ersetzt werden.
Inhalte der Weiterbildung
Grundlagen der Naturheilverfahren
- Wirkmechanismen einschließlich der Heilungs- und Therapiehindernisse
- Möglichkeiten und Grenzen der Naturheilverfahren, Wissenschaftlichkeit und Evidenz
- System der Grundregulation
- Ganzheitliche Behandlungsregime
Diagnostische Verfahren in der Naturheilkunde
- Manuelle Untersuchungen einschließlich Befunderstellung, z. B. am muskuloskelettalen Apparat (Richtwert: 10)
- Beurteilung von Haut- und Schleimhautveränderungen (Richtwert: 10)
- Indikationsstellung und Befundinterpretation diagnostischer Verfahren, z. B. orthomolekulare und mikroökologische Diagnostik
Therapie mit Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln
- Gesetzliche Grundlagen, Herstellung, Qualität, Wirksamkeit, Verträglichkeit der Phytotherapie einschließlich Nahrungsergänzungsmittel, bilanzierte Diät
- Spezifika potenzierter Arzneimittel
- Aromatherapie
- Nicht-pflanzlich basierte Arzneimittel natürlicher Herkunft
- Indikationsbezogene Therapie mit
- Phytotherapeutika
- Mikronährstoffen
- Präbiotika und Probiotika
Kneipp-, Hydro-, Balneo- und Klimatherapie
- Physiologie der hydrothermotherapeutischen Maßnahmen sowie Wirkweisen von Naturfaktoren
- Indikationsstellung und Beratung zu (Richtwert: 10)
- Kneipp-Anwendungen
- Hydrotherapie
- Thermotherapie
- Kryotherapie
- Balneo- und Klimatherapie
- Thalassotherapie
Physikalische Verfahren
- Grundlagen physikalischer Verfahren
- Indikationsstellung und Beratung zu
- Ultraschalltherapie
- Foto- und Lichttherapie
- Elektrotherapie einschließlich Magnetfeldtherapie
Massagebehandlungen, Reflextherapie
- Physiologische Grundlagen der Reflextherapie
- Indikationsstellung und Beratung zu (Richtwert: 5)
- klassischer Massage
- Bindegewebsmassage
- Lymphdrainage
- Colon-Massage
- Periost-Massage
- Reflextherapie
Manuelle Verfahren
- Physiologische Grundlagen manueller Verfahren
- Indikationsstellung und Beratung zu
- manuellen Verfahren
- osteopathischen Verfahren
Ernährung und Fasten
- Naturheilkundliche Ernährungsformen und ihre Zubereitung
- Nahrungsmittelunverträglichkeiten
- Erkennung von Fehl- und Mangelernährung
- Beratung zu (Richtwert: 10)
- vollwertiger Ernährung
- Fasten
- Ernährungsänderungen bei entzündlichen, metabolischen und onkologischen Erkrankungen
Ordnungstherapie
- Grundlagen der Ordnungstherapie einschließlich chronobiologischer Ansätze
- Mind-Body-Medicine
- Einfluss psychosozialer Faktoren auf die Gesundheit
- Beratung zu Salutogenese, z. B. Lebensstil, Entspannung, Achtsamkeit (Richtwert: 10)
- Patientenschulungen
Bewegungs- und Atemtherapie
- Spezifische Formen der Bewegungstherapie
- Atemtherapieverfahren
- Indikationsstellung und Beratung zu Bewegungs- und Atemtherapie
Ausleitende und umstimmende Verfahren
- Physiologische Grundlagen ausleitender und umstimmender Verfahren
- Indikationsstellung und Durchführung von (Richtwert: 10)
- Schröpfen
- Blutegeltherapie
- Eigenbluttherapie
- Aderlasstherapie
- Indikationsstellung und Beratung zu diuretischen und laxierenden Verfahren
Grundlagen der Neuraltherapie und Akupunktur
- Grundlagen der Akupunktur
- Indikationsstellung und Durchführung von Neuraltherapie, davon (Richtwert: 10)
- Quaddelbehandlungen
- Segmentinfiltration
- Narbeninfiltration
Quellen: Musterweiterbildungsordnung 2018 der Bundesärztekammer, Ärztestatistik der Bundesärztekammer 2023