Intimität und Sexualität gehören für die meisten Menschen zu einem erfüllten Leben dazu. Fachärztinnen und Fachärzte mit der Zusatz-Bezeichnung Sexualmedizin kümmern sich um Patientinnen und Patienten mit Störungen und Erkrankungen, die die Sexualität betreffen. Wie die Zusatz-Weiterbildung abläuft und wie lange sie dauert, erfahren sie im Beitrag.
Auf einen Blick: Zusatz-Weiterbildung Sexualmedizin
- Definition: Die Sexualmedizin beschäftigt sich mit der Erhaltung und Förderung der sexuellen Gesundheit.
- Voraussetzungen: Facharztanerkennung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung
- Dauer: 80 Stunden Kurs-Weiterbildung in Psychosomatische Grundversorgung oder Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie oder Psychoanalyse, außerdem 120 Stunden Kurs-Weiterbildung in Sexualmedizin und 120 Stunden Fallseminare unter Supervision. Die Fallseminare können durch 6 Monate Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten ersetzt werden.
- Anzahl: In Deutschland sind 51 Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Sexualmedizin“ bei den Kammern registriert. Davon sind 47 berufstätig.
Unter sexueller Gesundheit versteht man mehr als die Abwesenheit von sexuell übertragbaren Erkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2006) definiert den Begriff so: "Sexuelle Gesundheit ist der Zustand körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Wohlbefindens bezogen auf die Sexualität und bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, Funktionsstörungen oder Schwäche. Sexuelle Gesundheit erfordert sowohl eine positive, respektvolle Herangehensweise an Sexualität und sexuelle Beziehungen als auch die Möglichkeit für lustvolle und sichere sexuelle Erfahrungen, frei von Unterdrückung, Diskriminierung und Gewalt. Wenn sexuelle Gesundheit erreicht und bewahrt werden soll, müssen die sexuellen Rechte aller Menschen anerkannt, geschützt und eingehalten werden".
Die Sexualmedizin ist daher ein stark interdisziplinäres Fach: Neben medizinischen Fachrichtungen wie der Urologie, Gynäkologie, Endokrinologie oder Onkologie spielen auch Fragen der Psychologie und Ethik hier eine wichtige Rolle. Die Zusatz-Weiterbildung eignet sich daher für alle Ärztinnen und Ärzten aus diesen und anderen Fachgebieten, die sich im Bereich der Sexualmedizin weiterbilden und spezialisieren möchten.
Themengebiete der Sexualmedizin
- Störungen der sexuellen Funktion (z.B. Erektile Dysfunktion beim Mann, Vaginismus bei der Frau, Anorgasmie bei beiden Geschlechtern)
- Störungen der sexuellen Entwicklung (Störungen der sexuellen Reifung, Orientierung, Identität und Beziehung)
- Störungen der geschlechtlichen Identität (Geschlechtsdysphorie)
- Störungen der sexuellen Präferenz (Paraphilien)
- Störungen des sexuellen Verhaltens (Dissexualität)
- Störungen der sexuellen Reproduktion
Um Patientinnen und Patienten bei diesen Themen beraten und behandeln zu können, ist ein hohes Maß an Empathie nötig. Ärztinnen und Ärzte müssen in der Lage sein, die häufig schambehafteten und sehr persönlichen Themen mit dem nötigen Fingerspitzengefühl anzusprechen. Da häufig psychische Faktoren eine große Rolle spielen, ist für die Zusatz-Weiterbildung eine Kurs-Weiterbildung (80 Stunden) in Psychosomatischer Grundversorgung oder die Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie oder Psychoanalyse verpflichtend.
Sexualmediziner werden: Die Zusatz-Weiterbildung im Überblick
Dauer der Weiterbildung
- 80 Stunden Kurs-Weiterbildung in Psychosomatische Grundversorgung oder Zusatz-Weiterbildung Psychotherapie oder Psychoanalyse
und zusätzlich
- 120 Stunden Kurs-Weiterbildung gemäß § 4 Abs. 8 in Sexualmedizin
und zusätzlich
- 120 Stunden Fallseminare unter Supervision Die Fallseminare können durch 6 Monate Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten ersetzt werden.
Inhalte der Weiterbildung
Übergreifende Inhalte der Zusatz-Weiterbildung Sexualmedizin
- Somatische, psychische und soziale Grundlagen der menschlichen Sexualität
- Psychosexuelle und somatosexuelle Entwicklung und deren Verlauf über die Lebensspanne, die Entwicklung der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung
- Bedingungsgefüge, Formen, Verläufe, Manifestationen von sexuellem Missbrauch und seine gesundheitlichen Früh- und Spätfolgen
- Relevante rechtliche Grundlagen, z. B. Sexualstrafrecht, Personenstandsrecht, Transsexuellengesetz
- Offene und wertfreie sexualmedizinische Gesprächsführung
Diagnostik, Klassifikation, Ätiologie
- Differentialdiagnostik und Klassifikation, ätiologische Modelle, Verlauf und Dynamik von Störungen, insbesondere
- der sexuellen Funktionen
- der sexuellen Entwicklung
- der sexuellen Präferenz
- des sexuellen Verhaltens
- der sexuellen Reproduktion
- im Zusammenhang mit Geschlechtsinkongruenz
- der Sexualität im Gefolge von anderen körperlichen und seelischen Erkrankungen und/oder deren Behandlung
- der Sexualität als Früh- und Spätfolgen nach Traumatisierung
- Psychodynamische und paardynamische Prozesse von Sexualität und Geschlechtlichkeit einschließlich Konflikten im sexuellen Erleben und Verhalten sowie damit verbundene Kognitionen und Emotionen
- Sexualanamnese einschließlich der sexualmedizinischen Befunderstellung einer Sexualstörung, auch im Gefolge anderer Erkrankungen und Störungen bzw. deren Behandlung und/oder im Zusammenhang mit Geschlechtsinkongruenz, insbesondere
- dokumentierte und supervidierte Erstgespräche (Richtzahl: 10)
Sexuell übertragbare Infektionen
- Epidemiologie sowie Resistenzsituation der Erreger von sexuell übertragbaren Infektionen
- Ansteckungswege im Zusammenhang mit dem Sexualverhalten
- Gesellschaftliche Bedeutung von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen
- Differentialdiagnostik und Therapieoptionen sowie Therapiestrategien bei sexuell übertragbaren Infektionen
- Indikationsstellung zur weiterführenden Diagnostik und Therapie bei sexuell übertragbaren Infektionen, auch unter Berücksichtigung der verschiedenen Sexualpraktiken
Sexualmedizinische Beratung und Therapie
- Wirkungsweise von Pharmaka auf das sexuelle Erleben und Verhalten
- Einsatz von Pharmakotherapie für sexualmedizinische Behandlungen
- Indikation und prognostische Einschätzung des sexualmedizinischen Behandlungsansatzes unter Einbeziehung sexualtherapeutischer, psychotherapeutischer, somatomedizinischer und medikamentöser Behandlungsansätze
- Fachspezifische sexualmedizinische Gesprächsinterventionen bei einer Sexualstörung, auch im Gefolge anderer Erkrankungen und Störungen bzw. deren Behandlung und/oder im Zusammenhang mit Geschlechtsinkongruenz, insbesondere
- dokumentierte und regelmäßig im Stundenverhältnis 4:1 supervidierte und abgeschlossene sexualmedizinische Behandlungsfälle (Richtzahl: 10), davon
- unter Einbeziehung des Partners (Richtzahl: 5)
- dokumentierte und regelmäßig im Stundenverhältnis 4:1 supervidierte und abgeschlossene sexualmedizinische Behandlungsfälle (Richtzahl: 10), davon
Prävention und Rehabilitation
- Prävention und Rehabilitation von Störungen bzw. Erkrankungen, welche die sexuellen Funktionen, das sexuelle und/oder partnerschaftliche Erleben und Verhalten sowie die geschlechtliche Identität betreffen, auch infolge anderer Krankheiten und/oder deren Behandlung und/oder sexueller Traumatisierungen
- HIV-/STI-Präventionsstrategien
- Beratung zu sexueller Gesundheit und Präventionsmaßnahmen
Selbsterfahrung
- Personale Kompetenzen und Beziehungskompetenzen
- Themenzentrierte Einzelselbsterfahrung und/oder Gruppenselbsterfahrung zur Stärkung personaler und Beziehungskompetenzen in Stunden (Richtzahl: 50)
Quellen: Musterweiterbildungsordnung 2018 der Bundesärztekammer, Ärztestatistik der Bundesärztekammer 2023, Charité – Universitätsmedizin Berlin: Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin