Ärztinnen in Führung: Wie Frauen Führungskompetenzen lernen

11 Dezember, 2024 - 07:42
Miriam Mirza
Oberärztin mit Team

„Die Medizin ist weiblich“, stellt Prof. Dr. Mandy Mangler, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin an zwei Vivantes-Kliniken in Berlin, fest. Doch leider spiegelt sich dies nicht in den Führungsriegen wider: Mit 77 Prozent Frauenanteil in der Gynäkologie und dennoch nur 15 Prozent weiblichen Führungskräften zeigt sich eine auffällige Diskrepanz.

„Das zieht sich durch die gesamte Medizin – je nach Fachrichtung und Region sind die Zahlen mal etwas besser, mal schlechter. Doch selbst in gynäkologischen Abteilungen, wo Frauen dominieren, sind die Führungsstrukturen von Männern geprägt,“ kritisiert die Ärztin.

Zwar machen Frauen heute zwei Drittel aller Medizinstudierenden aus – in Führungspositionen sind sie später aber keineswegs paritätisch vertreten. Die Untersuchung „Medical Women on Top" zeigte 2022 auf, dass sich der von Anteil Klinikdirektorinnen seit 2019 nicht verändert hatte und bei mageren 13 Prozent stagniert. Diese Zahlen empören die Gynäkologin und führten sie  zu der Frage, warum Ärztinnen so selten in Führungspositionen aufsteigen und wie sich diese Strukturen durchbrechen lassen.

Ein Seminar für die nächste Generation weiblicher Führungskräfte

Um Abhilfe zu schaffen, leitet die Medizinerin für die Ärztekammer Berlin das inzwischen äußerst erfolgreiche Seminar „Ärztinnen in Führung“. Dieses wurde konzipiert, um Frauen in leitenden Positionen – oder solche, die es werden wollen – das nötige Handwerkszeug für ihre Karrieren an die Hand zu geben. „Ich möchte den Teilnehmerinnen zeigen, dass sie Strukturen verändern können, dass es keine festgelegten Regeln gibt, die sie akzeptieren müssen“, sagt Mangler. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Finden eines authentischen Führungsstils, frei von stereotypen Zuschreibungen wie „weiblich“ oder „männlich“.

„Es geht darum, die eigene Persönlichkeit zu stärken und die Klaviatur verschiedener Führungsstile zu beherrschen – von Empathie bis zu klarer Autorität“, erklärt die Medizinerin. Gleichzeitig sollen die Teilnehmerinnen lernen, wie sie Netzwerke aufbauen, sich gegenseitig unterstützen und neue Strukturen schaffen können, die sowohl für Männer als auch für Frauen gerechter sind.

Besonders wichtig ist Mangler der Austausch zwischen den Teilnehmerinnen. „Das Seminar schafft einen geschützten Raum, in dem Frauen offen über ihre Herausforderungen und Erfolge sprechen können. Es ist beeindruckend, wie viel Potenzial freigesetzt wird, wenn sich Frauen gegenseitig unterstützen und voneinander lernen“, betont sie.

Führungskompetenzen sind für Ärztinnen entscheidend

„Führungspositionen geben thematische Impulse und gestalten die Weiterentwicklung des Fachs“, betont Mangler. Doch sie kritisiert, dass viele Ärztinnen aufgrund traditioneller Rollenerwartungen, unflexibler Strukturen und interner Zweifel nicht den Schritt in die Führung wagen. „Es ärgert mich enorm, wenn Frauen dargestellt werden, als hätten sie Angst oder würden sich nicht trauen. Dabei tragen viele von ihnen eine immense Doppel- und Dreifachbelastung – beruflich, familiär und gesellschaftlich.“

Mangler macht deutlich: Es ist eine strukturelle Problematik, keine individuelle Schwäche. Die Rahmenbedingungen in der Medizin sind häufig nicht auf die Bedürfnisse von Frauen ausgerichtet. Teilzeitmodelle fehlen, und die Last der Care-Arbeit bleibt meist auf den Schultern der Frauen. „Wenn wir als Gesellschaft Versorgungssicherheit wollen, müssen wir Strukturen schaffen, in denen Frauen arbeiten können“, so Mangler.

Die Konsequenzen der aktuellen Strukturen sieht Mangler nicht nur in der Medizin: „Wir sehen immer häufiger, dass junge Ärztinnen und Ärzte die klassischen Karrierewege ablehnen. Sie wollen in Praxen angestellt arbeiten, statt die Verantwortung einer eigenen Praxis zu übernehmen. Das hat massive Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.“

Warum das Private politisch ist

Ein zentraler Punkt, den Mangler anspricht, ist der Einfluss privater Strukturen auf berufliche Erfolgsmöglichkeiten. „Das Ausräumen der Spülmaschine ist politisch“, konstatiert sie. Was zunächst banal klingt, verweist auf eine tiefere Problematik: Die Verteilung der unbezahlten Care-Arbeit. Mangler zeigt auf, wie traditionelle Rollenbilder nicht nur die Karriere von Frauen hemmen, sondern auch deren Altersabsicherung und Lebensqualität beeinflussen.

Sie fordert ein Umdenken – sowohl in den Familien als auch in den Führungsstrukturen. „Frauen müssen sich selbst fragen: Warum mache ich diese Care-Arbeit? Und wie kann ich das ändern?“ Eine Teilnehmerin ihres Seminars brachte es auf den Punkt: „Wir tun es aus Liebe.“ „Liebe ist aber keine gute Währung, um für die Zukunft abgesichert zu sein“, gibt sie zu Bedenken. Für Mangler ist diese Antwort ein Beispiel dafür, wie internalisierte Erwartungen Frauen in Abhängigkeiten halten.

Führungsstile der Zukunft

Die Gynäkologin ist überzeugt, dass die Zukunft der Führung in der Medizin nicht im patriarchalen, autoritären Stil liegt, sondern in einer kooperativen, flexiblen Führung. Studien zeigen, dass Ärztinnen oft bessere Ergebnisse für ihre Patientinnen und Patienten erzielen – sie betrachten diese ganzheitlicher, halten sich stärker an Leitlinien und setzen empathische Ansätze ein. Mangler sieht diese Soft Skills als die neuen Hard Skills: „Diese Fähigkeiten werden in einer technisierten Welt entscheidend sein, denn sie sind das, was Maschinen nicht ersetzen können.“

Mangler betont, dass sich nicht nur die Anforderungen an Führung, sondern auch an die Teamarbeit in Kliniken verändern. „Kooperative Kompetenzen werden immer wichtiger, insbesondere in multiprofessionellen Teams. Ärztinnen bringen häufig ein breiteres Spektrum an sozialen und kommunikativen Fähigkeiten mit, was die Zusammenarbeit und die Patientenergebnisse nachweislich verbessert.“

Ein Seminar mit Erfolg

Das Seminar „Ärztinnen in Führung“ hat in den letzten Jahren großen Anklang gefunden. „Die Frauen freuen sich, dass sie endlich einen Raum haben, in dem ihre Themen im Mittelpunkt stehen und sie echte Lösungen erhalten“, berichtet Mangler. Aufgrund der hohen Nachfrage wird das Seminar nun zweimal jährlich angeboten.

Für Mangler steht fest: Nur, wenn Frauen in der Medizin Strukturen hinterfragen und verändern, wird die Zukunft der Medizin nicht nur weiblicher, sondern auch gerechter und menschlicher. „Es ist unsere Pflicht, die Spielregeln zu ändern – für uns, für unsere Töchter und für die nächste Generation.“

Die Expertin:

Prof. Dr. Mandy Mangler

Prof. Dr. Mandy Mangler ist seit 1. September 2016 Chefärztin für Gynäkologie und Geburtsmedizin am Vivantes Auguste-Viktoria Klinikum in Berlin und seit 1. Januar 2021 im Maximalversorger Vivantes Klinikum Neukölln. Sie ist außerdem Vorsitzende der Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtsmedizin Berlin und Vorsitzende der Berliner Chefärzte und Chefärztinnen der Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Ärztinnen und Ärzte in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe e.V. (BLFG e.V.). In ihrem Podcast "Gyncast" beschäftigt sie sich mit Themen rund um die Frauengesundheit.

Bild: © privat

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