Ärztinnen und Ärzte in Führung: Leichter ein Team aus Top-Mitarbeitenden entwickeln

5 Oktober, 2022 - 07:20
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Ärztinnen und Ärzte in Führung: Prof. Dr. Sonja Güthoff
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach und Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen.

Nicht alle ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitenden sind gleich engagiert bei der Arbeit. Neben den Proaktiven und Motivierten, mit denen Sie gerne zusammenarbeiten und denen Sie voll vertrauen können, gibt es immer auch wieder die Miesmacherinnen und Miesmacher. Erhalten Sie in diesem Artikel Tipps, wie Sie mit unterschiedlichen Mitarbeitenden umgehen können, um ein Team aus Top-Mitarbeitenden zu entwickeln.

Das forschungsbasierte Beratungsunternehmen Gallup ermittelt jährlich in einer jeweils repräsentativen Studie zur Arbeitsplatzqualität den Engagement Index der Mitarbeitenden global. Für Deutschland zeigte sich für 2021, dass sich nur 17 Prozent der Beschäftigten aktuell emotional an ihren Arbeitgeber gebunden fühlten, 69 Prozent der Befragten eine geringe Bindung an ihren Arbeitgeber hatten und nur Dienst nach Vorschrift machten, und 14 Prozent der Beschäftigten sogar keine emotionale Bindung angaben und bereits innerlich gekündigt hätten; die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund von innerer Kündigung beliefen sich dabei im Jahr 2021 auf eine Summe zwischen 92,9 und 115,1 Milliarden Euro. Die Gallup Studie eruierte für Deutschland 2021, dass der Trend zu einer gestiegenen Wechselbereitschaft sich wiederum bestätigt habe: 23 Prozent der Beschäftigten möchten in einem Jahr und 42 Prozent nicht mehr in drei Jahren bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber tätig sein.

Auch unter Ärztinnen und Ärzten ist der Kündigungsgedanke hoch. Eine Studie vom Marburger Bund von 2019 offenbarte bei 86% der Antwortenden (n=2.060) einen Kündigungsgedanken mindestens einige Male im Jahr und bei 14% sogar mehrere Male pro Woche (Marburger Bundes Landesverband Berlin/Brandenburg, Befragung von Ärzt*innen zu ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation 2019). Im Marburger Bund Monitor 2022 gaben 25% der Klinikärztinnen und -ärzte an zu erwägen, die ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben, und 18% waren sich unschlüssig (8.340 gültige Antworten bei dieser Frage, www.marburger-bund.de/monitor).

Mitarbeitende, die bereits innerlich gekündigt haben, bringen oft nicht mehr das Engagement und die Kollegialität auf, die Sie sich als ärztliche Führungskraft für Ihr Team wünschen. Woran erkennen Sie diese Mitarbeitenden? Und wie können Sie ein Team aus Top-Mitarbeitenden entwickeln?

Wie können Sie Top-Mitarbeitende definieren?

Prof. Dr. Jörg Knoblauch, Recruiting-Experte für Top-Mitarbeitende, unterteilt Mitarbeitende in drei Kategorien:
A-Mitarbeitende = Mutmacher
B-Mitarbeitende = Mitmacher und
C-Mitarbeitende = Miesmacher

Dabei sind die A-Mitarbeitenden diejenigen, die ein ungewöhnliches Maß an Engagement mitbringen, die vorausdenken und proaktiv handeln, Verantwortung übernehmen, sich flexibel zeigen, wenn es nötig ist. Insgesamt sind das die Top-Mitarbeitenden, die das Team begeistert zum Erfolg bringen.

Die B-Mitarbeitenden erreichen die vorgegebenen Ziele und erfüllen die Aufgaben, die ihnen übertragen werden. Das machen sie auch gewissenhaft, so dass sie nicht kontrolliert werden müssen. Insgesamt kann man sich auf sie verlassen, jedoch machen sie lediglich Dienst nach Vorschrift, ohne freiwillig Mehrarbeit zu leisten.

C-Mitarbeitende hingegen haben bereits innerlich gekündigt. Sie erledigen zwar viele Aufgaben ordentlich, jedoch gibt es immer wieder Bereiche, wo ihre Arbeit mangelhaft ist. Oft machen sie Fehler, die von Kolleginnen und Kollegen korrigiert bzw. aufgefangen werden müssen. Häufig sind sie destruktiv und gegen neue Ideen im Team, reden vieles schlecht und intrigieren gegen Führungskräfte, Kolleginnen und Kollegen.

Wie entwickeln wir ein Team aus Top-Mitarbeitenden?

Als erstes sollten wir versuchen, bei Neueinstellungen gleich die richtige Auswahl zu treffen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, vor allem wenn wir das Gefühl haben, dass die Auswahl z.B. an sich bewerbenden medizinischen Fachangestellten (MFA) oder Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten gering ist. Gerade dann sollten wir besonders auf den Auswahlprozess achten und zu Magneten für gute Mitarbeitende werden.

Überlegen Sie sich, was die Eigenschaften gute Mitarbeitende für Sie und Ihre Abteilung bzw. Praxis ausmachen. In einem nächsten Schritt definieren Sie, wie Sie diese Eigenschaften erfragen bzw. bei den Bewerbenden herausfinden können. Beziehen Sie Ihre jetzigen Top-Mitarbeitenden unbedingt mit in das Auswahlverfahren ein, denn Top-Mitarbeitende ziehen wieder Top-Mitarbeitende an. Besonders wichtig ist jedoch auch, mit sich ehrlich zu sein, wie die Klinik bzw. Praxis für genau diese Bewerbenden attraktiv wird. Was können Sie diesen Top-Mitarbeitenden bieten? Wie können Sie sie halten?

Das können und sollten Sie gleich auf Ihre vorhandenen Top-Mitarbeitenden übertragen. Meist suchen diese nach immateriellen Werten wie Spaß im Job, eine gute Arbeitsatmosphäre, angemessene Verantwortung und Gestaltungsspielraum. Nehmen Sie sich Zeit, genau herauszufinden, wie Sie Ihre Top-Mitarbeitenden fördern können.

Tipp:

Definieren Sie die Eigenschaften Ihrer jetzigen Top-Mitarbeitenden und suchen Sie gezielt nach diesen in Einstellungsgesprächen. Lassen Sie sich von Ihren Top-Mitarbeitenden dabei unterstützen.

Können alle Mitarbeitende Top werden?

Sicherlich nicht – jedoch ist es sinnvoll, jede Person individuell zu beurteilen. Fragen Sie nach, weshalb C-Mitarbeitende destruktiv sind. Warum macht dieser Person die Arbeit keinen Spaß, aus welchem Grund hat er/sie bereits innerlich gekündigt? Ganz wichtig ist es, im Blick zu behalten, dass als Grund auch ein Burnout-Prozess dahinterstecken kann. In der oben erwähnten Studie vom Marburger Bund von 2019 gaben 35 Prozent der Befragten an, dass sie oft bis sehr oft Gefühle des Ausgebranntseins erlebt hätten. Im Marburger Bund Monitor von 2022 gaben ca. 31 Prozent der Klinikärztinnen und -ärzte an, sich durch ihre Arbeit immer, und 60%, sich zunehmend erschöpft zu fühlen.

Die neue Metaanalyse von Hodkinson et al. eruierte zudem aus 170 Studien mit 239.246 Ärztinnen und Ärzten, dass Burnout in dieser Berufsgruppe assoziiert sei mit der Zunahme von Arbeitsplatzwechsel-Intention (Odds Ratio 3.10), Produktivitätsabnahme (Odds Ratio 1.82), aber auch einer Zunahme von Vorfällen im Bereich der Patientensicherheit (Odds Ratio 2.04) (BMJ 2022, https://doi.org/10.1136/bmj-2022-070442). Diese Auffälligkeiten können sich mit der Definition der C-Mitarbeitenden decken (siehe oben). Und auch Pflegefachkräfte im stationären und ambulanten Bereich sind stress- und burnout-gefährdet (Rohwer et al. Zbl Arbeitsmed 2021, https://doi.org/10.1007/s40664-020-00404-8).

Holen Sie sich bei Verdacht auf Burnout-Gefährdung Hilfe von der Personalabteilung und/oder von externen Beratenden (Resilienz-Training, individuelles oder Team-Coaching etc. und bei fortgeschrittenem Prozess klinische Intervention).

Merke:

Hinter destruktivem Verhalten kann eine Burnout-Gefährdung stecken

Sowohl ärztliche als auch pflegerische Mitarbeitende können aufgrund der psychischen und physischen Arbeitsbelastung von Burnout gefährdet sein.

Burnout-Gefährdete können schneller genervt und reizbarer als zuvor sein. Das kann sich in Schimpfen über andere zeigen, im Aufstacheln des eigenen Teams, sodass es zu interprofessionellen Konflikten kommen kann. Das kann sich auch im negativen Umgang mit Patientinnen und Patienten offenbaren.

Das Gefühl, ständig ungerecht behandelt zu werden, kann ebenfalls ein Warnzeichen für eine Burnout-Gefährdung sein. Oft wächst dieses auf der Basis der eigenen Geringschätzung, wobei Kritik stärker wahrgenommen wird als Lob.

Manchmal sind Mitarbeitende einfach unter- oder überfordert mit den jeweiligen Aufgaben. Eruieren Sie gemeinsam, welche Motivationshemmnisse es gibt, wo die Person Unterstützung, Weiter- oder Fortbildung benötigt. Vielleicht ist sie auch komplett falsch eingesetzt und würde sich in einer anderen Abteilung oder einem anderen Beruf wohler und glücklicher fühlen. Ein offenes und respektvolles Gespräch kann hier für beide Seiten erhellend sein.

Offene und respektvolle Gespräche nutzen

Gerade im turbulenten Klinik- oder Praxisalltag vergessen wir mit vollem Fokus auf die Patientinnen und Patienten leider öfter unsere Funktion als Führungskraft. Schließlich sind wir dafür verantwortlich, unsere Mitarbeitenden zu fördern und zu fordern. Dazu gehört natürlich auch, dass wir unsere Mitarbeitenden kennen, wissen, wo ihre Stärken und Schwächen sind, wie ihr Aus- bzw. Weiterbildungsstand ist und was ihre Motivation darstellt.

Eine gute Basis ist, Vertrauen aufzubauen. Gerade um den Mitarbeitenden individuell gerecht zu werden, kann eine erste Möglichkeit sein, sie über ihre Persönlichkeit einzuschätzen, um dann einen besseren Zugang zu ihnen zu finden. Wichtig ist es auch, miteinander ins Gespräch zu kommen. Das können zum einen die kurzen Vertrauens-Gespräche sein, die wir an der Kaffee-Maschine, beim Essen oder beim Umziehen führen, bei denen wir auch von den privaten Umständen der Mitarbeitenden erfahren.

Zum anderen sollten wir jedoch auch strukturierte Feedbackgespräche mindestens ein- oder zweimal im Jahr führen. Diese sollten jedoch nicht nur den Weiterbildungsstand oder bei MFA / MTA etc. den Fortbildungstand beinhalten. Hier ist es darüber hinaus wichtig, die Beziehungsebene zu stärken sowie Mitarbeitende auf der Verhaltensebene zu fördern. Auch ein eigenes Feedback einzuholen, hilft Ihnen wiederum, besser die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeitenden zu verstehen und auf sie einzugehen.

Bei C-Mitarbeitenden braucht es teilweise Mut, hier ggf. auch einen Arbeitsplatzwechsel anzuregen und sie ziehen zu lassen. Vielleicht entdecken Sie jedoch auch in manchen B-Mitarbeitenden ungeahnte Potentiale und können diese zu Top-Mitarbeitenden entwickeln – viel Freude dabei.

Toolbox Führung

Fragen, die Sie sich im Umgang mit Mitarbeitenden nach der A-B-C Methode von Prof. Knoblauch stellen können:

A-Mitarbeitende:

  • Welche Eigenschaften machen für mich Top-Mitarbeitende aus?
  • Wie kann ich diese Eigenschaften gezielt in Bewerbungsgesprächen erfragen oder erkennen? (Lassen Sie sich von Ihren jetzigen A-Mitarbeitenden darin unterstützen)
  • Was ist meinen Top-Mitarbeitenden wirklich wichtig? Wie kann ich auf diese Bedürfnisse eingehen, um diese Mitarbeitenden zu fördern und zu halten? (Nutzen Sie hierfür Vertrauensgespräche und strukturierte Feedbackgespräche)
  • Gebe ich meinen Top-Mitarbeitenden genügend Vertrauen und Gestaltungsspielraum, dass sie ihr Potential voll entfalten können?

B-Mitarbeitende:

  • Was fehlt diesen Mitarbeitenden zur Motivation? (Nutzen Sie hierfür Vertrauensgespräche und strukturierte Feedbackgespräche)
  • Sind diese Mitarbeitenden richtig eingesetzt? Fühlen sie sich unter- oder überfordert? Fehlt ihnen die Sinnhaftigkeit oder der Gestaltungsspielraum?
  • Mangelt es vielleicht noch am Können, sodass ich über Weiterbildung oder Fortbildung diese Mitarbeitenden zu Top-Mitarbeitenden entwickeln kann?
  • Bringe ich diesen Mitarbeitenden genügend Vertrauen entgegen, damit sie Verantwortung übernehmen können und wollen?

C-Mitarbeitende:

  • Warum haben diese Mitarbeitenden bereits innerlich gekündigt? (Nutzen Sie hierfür Vertrauensgespräche und strukturierte Feedbackgespräche)
  • Könnte eine Burnout-Gefährdung hinter ihrem destruktiven Verhalten stecken?
  • Sind diese Mitarbeitenden richtig eingesetzt? Fühlen sie sich unter- oder überfordert? Fehlt ihnen die Sinnhaftigkeit oder der Gestaltungsspielraum? Benötigen Sie Weiterbildung oder Fortbildung in bestimmten Bereichen?
  • Gibt es auch positives Verhalten, das ich fördern kann? Wann habe ich diesen Mitarbeitenden zuletzt meine Wertschätzung gezeigt?
  • Ist es für diese Mitarbeitenden und meine Abteilung / Praxis besser, wenn ich ihnen einen Arbeitsplatzwechsel anrate und sie ziehen lasse?

Beispiel aus der Praxis

Der Praxisinhaber einer hoch frequentierten HNO-Praxis bekommt immer wieder von Patientinnen und Patienten zu hören, dass sie die Praxismanagerin an der Anmeldung unfreundlich behandele. Er selber weiß auch, dass die Stimmung unter den MFA immer wieder angespannt sei und eine angestellte Fachärztin bereits angekündigt hat, sich nach einer neuen Stelle umzusehen.

Er realisiert, dass er sich aufgrund des Arbeitspensums nicht besonders um seine Mitarbeitenden gekümmert hat. Daher belegt er ein Führungskräfte-Training und lässt sich coachen. Als erste Maßnahme zum Lösen seiner Praxisprobleme lädt er die Mitarbeitenden zu Feedbackgesprächen ein, wobei er schon klar formuliert, was die Themen sein werden und dass er auch selbst Feedback erhalten möchte. Die Gespräche überraschen ihn zum Teil sehr.

Gerade die Praxismanagerin ist mit ihrer Position sehr unglücklich. Sie ist die älteste Mitarbeitende in der Praxis, die sehr viel Knowhow hat. Aus diesem Grund hat der Praxisinhaber sie auch zur ersten Kraft gemacht und ihr das Praxismanagement übergeben. Sie sei jedoch mit den organisatorischen Aufgaben überfordert, sodass sie sich ständig ausgebrannt fühle. Zudem fehle es ihr, Untersuchungen wie die Rhinomanometrie oder Allergietestung zu machen. Gemeinsam besprechen sie, dass sie wieder in den Praxisablauf zurückkehrt und die jüngeren Kolleginnen und Kollegen anleitet, denen auf vielen Ebenen noch das Knowhow fehle. Für die Praxisorganisation suchen sie gezielt eine neue Kraft, da sowieso noch eine Stelle nicht besetzt ist.

Auch die angestellte Fachärztin kann der HNOler nach einem intensiven und offenen Gespräch in der Praxis halten. Sie und auch andere ärztliche Mitarbeitende bemängeln, dass sie zu wenig operative Eingriffe machen dürften. Tatsächlich gibt der Praxisinhaber zu, dass er selbst zu viele und sogar einfache Eingriffe übernommen hätte, nur um im operativen Haus den Praxiskonflikten zu entfliehen. Die OP-Einteilung wird künftig besser abgestimmt und gerechter verteilt.

Die Autorin:

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care und Studiendekanin der School Health & Social Sciences an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.

Sie möchten mehr erfahren? Das Modul „Vorsprung durch Top-Mitarbeitende“ mit Prof. Dr. Jörg Knoblauch als Recruiting-Experte für Top-Mitarbeitende ist eines der Module im Führungskräfte-Konzept der Leaders Academy.

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