
Vielleicht erinnern Sie sich noch an Ihren Berufseinstieg? Wie haben Sie sich gefühlt, endlich nach dem langen Studium als Ärztin oder Arzt (meist) in der Klinik zu starten? Der medizinische Nachwuchs von heute scheint sich viel mehr um den Berufseinstieg zu sorgen. Lesen Sie in diesem Artikel, wie wir Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung beim Start unterstützen können, so dass sie freudig und selbstsicher in den Alltag starten. Nutzen Sie hierfür das positive Priming oder den Pygmalion Effekt und schaffen Sie eine gute Atmosphäre im Team.
Bei einer Abfrage im Rahmen unseres Webinars „Karriere-Hack Selbstmanagement: So gelingt dir dein ärztlicher Berufseinstieg“ von Operation Karriere, dem Nachwuchsportal der Ärztestellen, nannten Medizinstudierende sowie Ärztinnen und Ärzte im ersten Weiterbildungsabschnitt zum Thema Berufseinstieg am häufigsten die folgenden zehn Begriffe:
- Stress und Verantwortung als häufigste,
- gefolgt von Überforderung, Unsicherheit und Überstunden,
- und danach gleichgewichtet Angst, Herausforderung, Gehalt, Aufregung und Freude.
Die meisten Begriffe haben eine negative Ausrichtung, Verantwortung, Gehalt und Aufregung können sicherlich je nach individueller Interpretation gewertet werden. Eindeutig positive Worte wie die Freude waren insgesamt unterrepräsentiert.
Gerade hinsichtlich des zunehmenden Nachwuchsmangels in den verschiedensten Fachrichtungen ist es erst recht unsere Pflicht als Ärztinnen und Ärzte in Führung im Sinne des Generationsvertrages (siehe Genfer Deklaration von 2017, Weltärztebund (WMA)) unser Wissen weiterzugeben. Es darf jedoch auch zusätzlich Selbstschutz sein, den medizinischen Nachwuchs so zu behandeln, dass er auch gerne den Arztberuf ausübt und uns nachhaltig Arbeit abnehmen kann.
Priming für einen guten Berufsstart
Die oben genannten Begriffe, die vom medizinischen Nachwuchs hinsichtlich des Berufseinstiegs genannt wurden, sind von Sorgen der Überforderung und Unsicherheit geprägt. Hinsichtlich des Priming Effektes könnte sich dies nachteilig auswirken. John A. Bargh et al. haben gezeigt, dass die Worte, mit denen wir uns beschäftigen, unser Verhalten beeinflussen (Automaticity of social behavior: direct effects of trait construct and stereotype-activation on action. J Pers Soc Psychol 1996; 71(2): 230-44).
In zwei Versuchsdurchläufen mit insgesamt 60 Studierenden der New York University haben Bargh J. A. et al. randomisiert der Hälfte der Teilnehmenden Worte des Alters gegeben (besorgt, Florida, alt, einsam, grau, egoistisch, vorsichtig, sentimental, weise, stur, höflich, Bingo, zurückziehen, vergesslich, im Ruhestand, faltig, starr, traditionell, bitter, gehorsam, konservativ, gestrickt, abhängig, alt, hilflos, leichtgläubig, vorsichtig und allein). Die anderen Teilnehmenden haben nicht mit dem Alter assoziierte Worte zugeteilt bekommen. Allen Teilnehmenden wurde als Zweck der Studie genannt, Sprachkenntnisse zu untersuchen, so dass sie eine Aufgabe mit verschlüsselten Sätzen bearbeiten sollten. Tatsächlich war jedoch der eigentliche Versuch, nach der Beschäftigung mit entsprechenden Worten, dem sogenannten „Priming“, heimlich die anschließende Gehstrecke von 9,75 Metern von einem in den nächsten Versuchsraum zu messen. Dabei wusste die messende Person nicht, welcher Gruppe die Teilnehmenden randomisiert zugeteilt waren (verblindet). In beiden Versuchsdurchläufen führte die passive Aktivierung des älteren Stereotyps jeweils zu einer langsameren Gehgeschwindigkeit (1. Experiment: 8,28s vs. 7,30s, p< 0,01; 2. Experiment: 8,20s vs. 7,23s, p < 0,05; Bargh J. A. et al. 1996, siehe oben).
Tipp
Wir entscheiden selbst, wie positiv wir uns auf unseren Berufseinstieg und auch auf jeden Arbeitstag einstellen. Priming ist eine gute Möglichkeit, uns mit positiven Gedanken zu beschäftigen, um die eigene Einstellung so ebenfalls positiv zu beeinflussen.
Thematisieren Sie in Ihrem Team und vor allem bei Berufseinsteigern die Möglichkeit, sich selbst zu „primen“. Geben Sie z. B. als kleine Aufgabe, für sich selbst zu definieren, was positiv an dem ärztlichen bzw. pflegerischen Beruf ist, wie ich mich bei der Arbeit in der Klinik, Praxis oder Ambulanz fühlen und wie ich mit den anderen zusammenarbeiten möchte. Es kann auch sehr bereichernd sein, diese Gedanken im Team zu teilen.
Den Pygmalion-Effekt positiv nutzen
Außer der Möglichkeit des eigenen Primings, das unsere Erwartung an den Beruf(salltag) prägen kann, kommt auch der Ärztin oder dem Arzt in Führung eine große Verantwortung zu, was die Erwartungen an die (neuen) Kolleginnen und Kollegen anbelangt. Psychologische Studien belegen diesbezüglich den sogenannte Pygmalion-Effekt. Der Begriff wurde aus der griechischen Mythologie abgeleitet, nachdem der Künstler Pygmalion eine für ihn perfekte Statue (später auch als Galatea beschrieben) erschuf, in die er sich verliebte. Robert Rosenthal und Lenore Jacobson nutzten als erste diesen Begriff. Damit beschreiben sie den Effekt, dass die positive Erwartung von Lehrkräften bei Schülerinnen und Schülern zu einem besseren Ergebnis hinsichtlich der intellektuellen Leistung führte (Pygmalion in the classroom. Urban Rev 1968; 3: 16–20). Die Erwartungen basierten auf angeblich vielversprechenden fiktiven Ergebnissen eines Tests, den die Schülerinnen und Schüler gemacht hätten. Dabei war die Auswahl der benannten „Überflieger“ komplett randomisiert. Seit diesen frühen Studien gab es zahlreiche Untersuchungen in verschiedenen Bereichen, die diesen Pygmalion-Effekt bestätigten wie z. B. bei Basketball-Spielern, deren Coaches mit hohen erfunden Spieler-Scores beeinflusst wurden und die entsprechend als besser erwarteten Spieler tatsächlich auch mehr Körbe warfen (Weaver J. et al. Self-Fulfilling Prophecies in Ability Settings. J Soc Psychol 2016; 156(2): 179-89).
Interessanterweise war der Pygmalion-Effekt bei Rosenthal R. und Jacobson L. (1968, siehe oben) vor allem in den ersten beiden Klassenstufen besonders ausgeprägt. Eine spätere Metaanalyse von Studien zum Pygmalion-Effekt in Organisationen zeigte bessere Effekte im militärischen verglichen mit einem unternehmerischen Arbeitsumfeld, wobei die Autorin und der Autor als Grund diskutierten, dass im Militärkontext die Rolle der Führungskraft weniger in Frage gestellt würde, die Aufgaben mehr überwacht würden und die Mitarbeitenden jünger wären (Kierein N. M. & Gold M. A. Pygmalion in work organizations: a meta-analysis. Journal of Organizational Behavior 2000; 21(8): 913-928). Ohne die Klinik mit dem Militär vergleichen zu wollen, stellt sich auf dieser Basis die Frage, ob auch beim Berufseinstieg in der Medizin entsprechend genannte Faktoren vielleicht auch den Pygmalion-Effekt verstärken, so dass wir besonders in dieser Phase mit positive Erwartungen einen guten Start ermöglichen könnten.
Allerdings ist auch der negative, der sogenannte Golem-Effekt beschrieben. Der Begriff leitet sich aus der hebräischen Mystik ab, bei der aus einer Lehmmasse ein menschenähnliches Wesen geformt wird, das unreflektiert Aufgaben ausführt. Hier konnte die Gruppe um Robert Rosenthal zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, die als schlechtere Athleten den Lehrkräften angekündigt wurden, von den somit voreingenommenen Lehrkräften auch nachteilig behandelt wurden und daraufhin schlechtere Sportleistungen brachten als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler (Babad E. Y. et al. Pygmalion, Galatea, and the Golem: Investigations of biased and unbiased teachers. Journal of Educational Psychology 1982; 74(4): 459–474). Aus diesem Grund sollten wir uns auch hier der Verantwortung bewusst sein, dass negative Erwartungen an Mitarbeitende auch hinsichtlich meiner eigenen Vorurteile bezogen auf z. B. Herkunft, Geschlecht oder auch Alter negative Auswirkungen haben können.
Merke
Als Führungskraft kann unsere Erwartung, die wir gerade auch bei neuen Kolleginnen und Kollegen in diese setzen und kommunizieren, einen Effekt auf deren Leistung haben. Daher können wir den Pygmalion-Effekt nutzen und mit positiven Erwartungen eine ebenso positive Bestärkung der Leistung unterstützen. Gleichzeitig sollten wir negative Erwartungen z. B. auch aufgrund von Vorurteilen vermeiden, die einen negativen Effekt zeigen können (Golem-Effekt).
Schaffen einer guten Arbeits- und Lern-Atmosphäre
Kennen Sie den Spruch: „Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch hinaus.“? Ist es Ihnen auch schon aufgefallen, dass es oft von Ihnen selbst ausgeht, wie Ihr Umfeld auf Sie reagiert? Kommen Sie schon mit guter Laune in die Klinik oder Praxis, haben ein Lächeln im Gesicht oder scherzen, so sind auch die Kolleginnen und Kollegen viel freundlicher. Leider gibt es auch den umgekehrten Fall, wenn wir schlecht gelaunt sind. Natürlich reagieren wir genauso positiv oder negativ auf andere Team-Mitglieder. Es gibt Studien, die zeigen, dass Unhöflichkeiten ansteckend sein können wie eine Erkältung (Foulk T. et al. Catching Rudeness Is Like Catching a Cold: The Contagion Effects of Low-Intensity Negative Behaviors. Journal of Applied Psychology 2016; 101(1): 50-67). Dabei wirkt sich gerade bei uns als Team aus Ärztinnen und Ärzten, Pflegefachkräften und anderen im Gesundheitswesen Tätigen unhöfliches Verhalten von Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen, Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen negativ auf unser Wohlbefinden und auf die Individual- sowie die Teamleistung aus (Riskin A. et al. Rudeness and Medical Team Performance. Pediatrics 2017; 139(2): e20162305).
Toolbox Selbstführung
Gerade als Ärztin oder Arzt in Führung ist es wichtig, dass wir schlechte Laune im Team erkennen, Unhöflichkeiten direkt aufdecken und entgegenwirken sowie insgesamt für eine gute Atmosphäre sorgen. Das unterstützt nicht nur das gesamte Team, sondern hilft auch gerade neuen Kolleginnen und Kollegen dabei, sich entspannter einleben zu können.
- Fangen Sie bei sich selbst an und überprüfen Sie, mit welcher Einstellung und welchem Gefühl Sie in die Klinik, Praxis oder Ambulanz gehen. Können Sie daran etwas verbessern? Können Sie vielleicht positive Gedanken als „Priming“ nutzen (Bargh J. A. et al. 1996, siehe oben)? Kommen Sie mit positiven Erwartungen in Ihr Team, um den Pygmalion-Effekt nutzen zu können (Rosenthal R. und Jacobson L. 1968, siehe oben)?
- Im Sinnes eines Impathic Leadership Ansatzes (siehe Ärztinnen und Ärzte in Führung: Von impathischer Selbstführung zu Impathic Leadership) darf ich auch erstmal in mich hineinhören, was ich selber brauche, um gute Laune zu haben und mich bei der Arbeit wohl zu fühlen.
- Motivieren Sie auch Ihre Team-Mitglieder, impathisch zu sein. Fragen Sie Ihr Team, was die Einzelnen selbst brauchen und wie sich dies im Team umsetzen lässt.
- Machen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen darauf aufmerksam, wenn sie schlechte Laune verbreiten oder unhöflich sind. Erklären Sie auch den anderen, dass Unhöflichkeiten ansteckend sein (Foulk T. et al. 2016, siehe oben) und sich negativ auf unser Wohlbefinden und auf unsere Leistung auswirken können (Riskin A. et al. 2017, siehe oben).
- Sammeln Sie (natürlich respektvoll den anderen gegenüber) Witze, lustige Aussprüche oder Versprecher von Patientinnen und Patienten bzw. Kolleginnen und Kollegen z. B. im Team-Aufenthaltsraum. Hier kann sich jede Person Inspiration für bessere Laune holen.
- Wenn Ihnen nicht zum Lachen ist, kann ein kleiner Trick, der sogar wissenschaftlich belegt ist, helfen: Das Halten eines Stiftes zwischen den Zähnen scheint das angeborene Programm des Lächelns mit entsprechender Emotion in uns aufzurufen. Der Effekt des angenehmen Gefühls des Lachens scheint sich noch verstärken zu lassen, wenn ein entsprechender emotionaler Stimulus wie einen Witz zu lesen oder uns gegenseitig anzuschauen, während wir den Stift zwischen den Zähnen halten, hinzukommt (Strack F. et al. Inhibiting and facilitating conditions of the human smile: a nonobtrusive test of the facial feedback hypothesis. J Pers Soc Psychol 1988; 54(5): 768-77). Probieren Sie es einfach mal zusammen im Team aus.
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD Hochschule Stuttgart sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin des Instituts für ein gesundes Arbeitsleben im Gesundheitswesen (INSTGAG) begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte und andere Zusammenarbeitende im Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen. Kontaktieren Sie Sonja Güthoff gerne unter info@sonjaguethoff.de.
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