Wie finde ich „mein“ Fach, die richtige Klinik, eine gute Rolle im Team? Junge Ärztinnen und Ärzte stellen sich viele Fragen beim Einstieg in den Berufsalltag. Prof. Wolfgang Kölfen, ehemaliger, langjähriger Klinikchef und heutiger Arzt-Coach kennt praxisnahe Tipps.
Herr Prof. Kölfen, was hilft bei der Wahl der Fachrichtung?
Prof. Wolfgang Kölfen: Junge Ärztinnen und Ärzte bekommen die meiste Unterstützung im Gespräch mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. Suchen Sie sich also Vorbilder Ihres Vertrauens und diskutieren Sie mit ihnen: Welche Erfahrungen hast du mit deinem Fach gemacht? Macht dir das immer noch Spaß? Würdest du das heute wieder wählen? Da hört man viele Vor- und Nachteile, die einem vorher gar nicht bewusst waren. Und den rund 25 Prozent, die nach der Approbation noch nicht wissen, wo ihre Berufsreise hingehen soll, kann man nur zurufen: Ist doch nicht schlimm! Dann fangt mit etwas an, das in allen Fachgebieten hilfreich sein wird.
Können Sie praktische Beispiele nennen?
Prof. Wolfgang Kölfen: Operieren oder nicht, ist die ganz große Weggabelung. Es schadet aber nie, wenn ich schon mal ein bisschen operiert habe. Wer in der allgemeinen Chirurgie gearbeitet hat, lernt Entscheidungen zu treffen, nähen und andere handwerkliche Dinge, die in jedem anderen Fach helfen werden.
Der Rat, breiter anzufangen, gilt übrigens auch für diejenigen, die sich für ein kleineres Fach wie HNO oder Urologie begeistern – aber befürchten, sich da zu früh zu eng aufzustellen. Wenn ich mir Gefäßchirurgie vorstellen kann, macht es vielleicht Sinn, vorher Anästhesie oder auch Radiologie gelernt zu haben. Möchte ich Plastischer Chirurg werden und da ist noch keine Stelle frei, sollte ich überlegen, was zu meinem späteren Spezialgebiet gut passen könnte. Ich kann auch mit einem Vorgesetzen aus diesem Fach besprechen, was er sich wünschen würde. Dies mag helfen, meine Bewerbung bei ihm abzusichern oder sogar zu beschleunigen. Auf jeden Fall sammle ich immer erste wertvolle Erfahrungen, die mir in der Zukunft nützlich sein werden. Und vielleicht bleibe ich sogar in dem zunächst gewählten Fach, da es doch Vorteile bietet, die ich vorher nicht gesehen habe, oder weil ich einfach begeistert bin vom Team.
Was sollte ich bei der Klinikwahl beachten?
Prof. Wolfgang Kölfen: Mehrere Facetten. Die erste: Wie groß darf die Entfernung zu meinem Arbeitsplatz sein? Wie wichtig ist mir mein vertrautes Umfeld? Wenn ich mich dort sehr wohlfühle, muss ich gute Gründe haben, um ein weit entferntes Krankenhaus zu wählen. Wünsche ich mir andererseits möglichst viel Abstand und wollte immer schon einmal in meine Lieblingsstadt wechseln, so könnte jetzt genau der richtige Zeitpunkt sein. Das zweite betrifft die Größe sowie die Abwägung, Krankenhaus mit Grundversorgung oder Uniklinik. Kleine Häuser sind überschaubarer und der Kontakt untereinander ist eher berufsübergreifend. Da kommt man schneller zurecht, was am Anfang nicht schlecht ist – vor allem, wenn man ein eher unsicherer und ängstlicher Berufsanfänger ist. Das Team ist kleiner, die persönliche Betreuung durch die Kolleginnen und Kollegen intensiver und auch die Palette der Patientinnen und Patienten erschlägt nicht. Da stehen Sie nicht 1.500 DRG-Verschlüsselungen gegenüber, sondern bei 30 Betten in der Fachabteilung sind vielleicht nur 20 Krankheitsbilder zu versorgen. Dieser vermeintliche Vorteil wird aber schnell zum Nachteil, weil Sie hier nicht so eine breite Ausbildung bekommen und es – je nach Typ – auch über die Zeit langweilig werden kann. Wenn ich kontinuierlich dazulernen will und eine breite Weiterbildung haben möchte, stellt sich dann die Frage: Zu welchem Zeitpunkt ist es sinnvoll, den Arbeitsgeber zu wechseln?
Was ist da ideal?
Prof. Wolfgang Kölfen: Diese Frage ist ein häufiges und wichtiges Thema im Coaching – das muss man sich individuell anschauen. Einen zu frühen Wechsel sollte man auf jeden Fall vermeiden. Denn der oder die nächste Vorgesetzte wird sich fragen, ob Sie vielleicht ein schwieriger Mensch sind, der im letzten Job gescheitert ist? Wer will schon in einen solchen Ruf gelangen? Sinnvoll kann es somit eher sein, sich nach circa zwei Jahren in einem größeren Haus zu bewerben. Dann liegen erste gefestigte Berufserfahrungen vor und Sie gelten noch als „hungrig und formbar“.
Später wird es ebenfalls schwieriger. Die Erfahrung zeigt: Je mehr Erfahrung, desto unflexibler wird man. Einer solchen Kollegin kann es schwerfallen, die neuen Spielregeln des Hauses widerstandslos zu übernehmen. Wird jemand stark von dem Glaubenssatz „in meiner alten Klinik haben wir das immer so gemacht“ bestimmt, kommt es zu Stress mit den Ärztinnen und Ärzten des neuen Hauses.
Mein Rat: Generell sollten alle, die in ihrem Fach eine möglichst breite Ausbildung möchten, sich überlegen, ob es nicht vielleicht besser ist, sich gleich in einem großen Haus zu bewerben. Am Anfang gilt es dann, mehr auszuhalten, aber das lohnt sich für die persönliche Weiterentwicklung. Wenn ich mit 500 Krankheitsbildern in den ersten Jahren konfrontiert werde, ist das zunächst sehr stressig, aber dafür arbeite ich mich kontinuierlich in ein breites und spannendes Arbeitsfeld ein.
Ist ein Tag Hospitieren hilfreich?
Prof. Wolfgang Kölfen: Ein Tag Hospitation ist natürlich nicht das richtige Leben, aber man erhält schon ein gewisses Stimmungsbild. Ich empfehle, gezielt bestimmte Fragen vor Ort an die Kolleginnen und Kollegen zu stellen, zum Beispiel: Wie verhält es sich hier mit der Ausfallquote? Wie kommt ihr klar? Nehmen Sie die „Betriebstemperatur“ in dem Haus wahr. Hilfreich ist auch zu schauen, wie der Chef oder die Chefin vom Team beurteilt wird. Werden Vereinbarungen eingehalten oder sind Versprechen am nächsten Tag wieder vergessen? Wie sieht es mit der persönlichen Wertschätzung der Vorgesetzten für die Neulinge aus? Ist es vielleicht jemand, der sagt, Frauen können bei mir nur Oberärztin werden, wenn sie Vollzeit arbeiten? Es gibt heutzutage immer noch Führungskräfte, die solche Überzeugungen vertreten.
Tatsächlich?
Prof. Wolfgang Kölfen: Das ist je nach Klinik zwar sehr unterschiedlich, aber ich bin überhaupt überrascht, wie manche männliche Vorgesetzte mit dem weiblichen Nachwuchs umspringen – obwohl Fachkräfte von allen händeringend gesucht werden. Das ist meiner Ansicht nach gerade in den operativen Fächern ein Riesenproblem. Dort werden immer noch Sprüche rausgedonnert, die absolut nicht zulässig sind – und wo man sich fragt: Habt ihr eigentlich schon mal irgendetwas gehört von „MeToo“?
Was ist noch wichtig in puncto Chef oder Chefin beim Bewerbungsgespräch?
Prof. Wolfgang Kölfen: Neben der Sympathie ist es gut, ein Gefühl zu entwickeln, ob dieser oder diese Vorgesetzte mich weiterbringt und fördern will. Das kann man schon beim ersten Gespräch etwas herausspüren. Nicht unwesentlich ist auch, wie lange die Führungskraft noch bleibt. Möglicherweise geht ein mir unsympathischer Kollege in einem Jahr in Rente, sodass die heißbegehrte Stelle vielleicht doch in Frage kommt. Trotzdem sollte man ein älteres Baujahr nie direkt fragen „wie lange bleiben sie denn eigentlich noch?“ Das hat mich tatsächlich auch einer mal gefragt. Wichtig kann diese Information aber schon sein. Wenn man zum Beispiel habilitieren möchte und der Chef oder die Chefin bald emeritiert wird, passt das nicht so ohne Weiteres zusammen.
Werden Absprachen beim Chefwechsel übernommen?
Prof. Wolfgang Kölfen: Leider kann man in großen Häusern nicht allzu viel darauf geben. Beim Berufseinstieg ist man von diesem Punkt noch nicht so betroffen. Aber wenn mir als Bewerber im dritten, vierten, fünften Ausbildungsjahr oder als Facharzt Zusagen gegeben werden, dass ich bestimmte Techniken hier erlernen kann oder mir Einsätze auf der Intensivstation, im Forschungslabor, MRT oder Herzkatheterlabor versprochen werden, heißt das nicht automatisch, dass der nächste Chef sich daran gebunden fühlt. Hier gilt es, wachsam zu sein und dies eventuell zusammen mit dem Leitenden Oberarzt oder der Leitenden Oberärztin durch ein Gespräch abzusichern.
Was sollte ich beherzigen, um ins Team gut reinzukommen?
Prof. Wolfgang Kölfen: Die Frage „was ist das Beste für mich?“ steht auf jedem Frontallappen der Generation Y. Das ist nicht schlimm, dazu wurden sie erzogen. Trotzdem sollte man sich ein wenig zurücknehmen und reflektieren, dass Fehler immer nur zum Teil die Schuld der anderen sind. Man selbst hat oft auch etwas dazu beigetragen. Vielleicht habe ich mich unklar ausgedrückt, nicht gut genug kommuniziert, wenn es zum Misserfolg einer Situation oder einem angespannten Verhältnis kam. Also immer auch in der eigenen Asservatenkammer suchen. Das kann wirklich sehr viel helfen.
Manchmal hilft auch ein sogenanntes Reframing. Beispiel: Ein unbeliebter Dienst am Wochenende soll einer jungen Kollegin übertragen werden. Statt sich zu ärgern, kann sie sich fragen: Was ist der Vorteil von dem Nachteil, das zu übernehmen? Denn je schneller ich als Berufsanfängerin ins Team und meine Arbeit reinkomme, umso mehr Gewinn habe ich für mich. Das ist gut fürs Selbstwertgefühl, weil mir die Arbeit Spaß macht. Auch die Akzeptanz im Team steigt, weil die sagen: „Mensch, die ist aber präsent. Die zeigt schon im ersten Jahr richtig Engagement“. Ich zahle somit als Neuer erstmal ein auf das Vertrauenskonto des Teams. Das darf selbstverständlich keine Dauerlösung werden.
Noch ein wichtiger Rat?
Prof. Wolfgang Kölfen: Ich empfehle allen: Fangen Sie, wenn es irgendwie möglich ist, nicht in Teilzeit an, sondern auf einer 75- oder besser 100-Prozent-Stelle. Je mehr Präsenz Sie am Anfang im Krankenhaus zeigen, umso schneller kommen Sie an und umso wohler fühlen Sie sich. Wer immer früh nach Hause geht, bekommt vieles nicht mit. Das ist unbefriedigend für Sie und darunter wird der Patientenkontakt leiden. Auch die Wahrnehmung durch das Team ist dann negativ beeinflusst. Wenn nach einem halben Jahr in Ihrer Fachabteilung nicht alle Mitarbeitenden wissen, wer Sie sind und wofür Sie zuständig sind, sollten Sie auf jeden Fall gegensteuern und an Ihrem Marketing arbeiten.
Inwieweit sollte ich die Pläne der Gesundheitspolitik im Blick haben?
Prof. Wolfgang Kölfen: Beachten Sie, was in der nächsten Zeit mit der Krankenhausreform passiert. Geplant ist ein großer Wurf mit dem Ziel der Reduzierung von Krankenhäusern durch Zuordnung bestimmter Leistungen auf bestimmte Häuser. Was man heute dort noch operieren oder behandeln darf, muss in Zukunft sofort verlegt werden oder darf gar nicht mehr vorstellig werden. Dies betrifft Berufsanfänger noch nicht sofort, aber je weiter ihre Weiterbildung vorangeschritten ist, umso mehr. Natürlich wird an der Umsetzung noch einiges geändert und geschliffen. Unklar ist auch, ob es zu einer Einigung zwischen dem Bund und den Ländern kommen wird, weil Krankenhausplanung Länderhoheit ist. Fest steht dennoch: Es wird zu einer Konzentration des Krankenhausmarktes in Zukunft kommen. Wenn Sie längerfristig eine höher spezialisierte, breite Ausbildung wollen, ist es günstig, in ein Haus zu gehen, das jetzt schon ein weites Leistungsspektrum hat. Dann sind Sie auf jeden Fall auf der sicheren Seite.