Um als Arbeitgeber attraktiv zu werden, bieten flexible Arbeitszeiten und Zeitwertkonten eine Möglichkeit. Damit können Kliniken ihren Mitarbeitenden ein höheres Maß an Wertschätzung und Anerkennung entgegenbringen.
Rund zwei Millionen Stellen sind laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung unbesetzt, quer durch alle Branchen und Berufsgruppen. Und weitere Verschärfung droht: Denn viele Babyboomer lehnen einer Umfrage der Bergischen Universität Wuppertal zufolge ein Renteneintrittsalter mit 67 ab. Demnach will das Gros der Befragten der Jahrgänge 1959 bis 1965 schon mit 60 oder spätestens mit 63 in Rente gehen. Die Ergebnisse dieser Befragung wurden unlängst mit Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegt: In den kommenden 15 Jahren werden wohl 12,9 Millionen Erwerbstätige das Renteneintrittsalter überschritten haben, was rund 30 Prozent der Gesamtbeschäftigten in Deutschland entspricht. Die aktuell 50- bis 59-Jährigen machen davon allein 11,3 Millionen aus. Das bedeutet im Umkehrschluss: Personalverantwortliche in Kliniken müssen jetzt möglichst zeitnah und dennoch flexibel für diese Altersgruppe Lösungen finden und zugleich an Präventivkonzepten für die Folgegenerationen arbeiten.
Kündigungsbereitschaft steigt
Neben dem Fachkräftemangel und seiner besonderen Ausprägung durch die Babyboomer-Generation tut sich noch ein weiteres Problem auf: Die Kündigungsbereitschaft der Beschäftigten steigt. Laut Meinungsinstitut Forsa, das im Auftrag von Xing E-Recruiting 2.523 Arbeitnehmende in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu ihrer Wechselbereitschaft befragte, hat im Laufe der Coronakrise die Wechselbereitschaft der Beschäftigten in Deutschland deutlich zugenommen. Vor allem die Berufstätigen im Alter von 31 bis 39 Jahren denken über einen Jobwechsel nach; jeder vierte Befragte geht sogar, ohne einen neuen Job zu haben.
Was ist passiert? Seit Beginn der Coronapandemie vor gut zwei Jahren hat jeder zehnte Deutsche seinen Job gewechselt. Als Grund geben 31 Prozent der Männer und 22 Prozent der Frauen Corona an. Hauptgrund war bei 42 Prozent aller Befragten ein besseres Gehalt. Das deckt sich mit der Randstad-Studie, die etwa 4.000 Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren befragt hat. Steht das „attraktivere Gehalt und bessere Sozialleistungen“ dort an erster Stelle der Wechselgründe, nennen gleich viele Befragte mit 61 Prozent die „besseren Karrieremöglichkeiten“.
Vielschichtige Work-Life-Balance
Die Forsa-Spezialisten kommen zu einem differenzierteren Ergebnis: Demnach sind die tatsächlichen Beweggründe, einer neuen Tätigkeit nachzugehen, nicht identisch mit jenen, beim aktuellen Arbeitgebenden zu kündigen. So ist nach der Forsa-Umfrage auch nicht das Gehalt der entscheidende Grund, sondern die Führung, die knapp drei von zehn Befragten als Anlass für den Wechsel nennen (28 Prozent). Darauf folgt dicht mit 27 Prozent ein weiterer Grund: die unzureichende Work-Life-Balance beim aktuellen Unternehmen. Nur zum Vergleich: Finanzielle Motive folgen abgeschlagen mit 19 Prozent.
Es ist offensichtlich, dass in Krisenzeiten und bei quasi Vollbeschäftigung die Arbeitnehmenden viel kritischer nach den sogenannten Soft Skills schauen. Man könnte diese auch mit dem einfachen Begriff der „Vereinbarkeit“ übersetzen: Vereinbarkeit mit Familie, Vereinbarkeit mit Auszeiten, Vereinbarkeit mit Weiterbildung bis hin zur Vereinbarkeit mit einem gleitenden Übergang in das Rentenalter – eine vielschichtige Work-Life-Balance.
Lösung des Dilemmas: Zeitwertkonten
Die skizzierten Probleme des Fachkräftemangels sowie die aktuellen Wünsche der Beschäftigten lassen sich dadurch lösen, dass Arbeitgeber alles dafür unternehmen, um ein höheres Maß an Bindung und Motivation von Mitarbeitenden zu erreichen. Ein Schlüssel für diese Problemlösung können Zeitwertkonten sein, die es seit Inkrafttreten des „Flexigesetzes“ von 1998 gibt.
Nur 20 Prozent aller Unternehmen in Deutschland nutzen dieses Instrument, das ein hohes Maß an Flexibilität bietet. Arbeitnehmende zahlen freiwillig auf ein Zeitwertkonto ein und können dort Überstunden oder auch Bonuszahlungen anrechnen lassen. Damit erhalten sie die Möglichkeit, über das Zeitwertkonto eine Auszeit nehmen zu können. Gehalt und Sozialversicherungsleistungen werden in dieser Zeit vom Zeitwertkonto abgezogen. Oder die Gesamtersparnis eines Zeitwertkontos wird dazu genutzt, früher in den Ruhestand gehen zu können. Die Vorteile für die Klinik liegen auf der Hand: Sie steigert ihren Ruf als gute Arbeitgebermarke, weil sie Antworten auf die Vereinbarkeitswünsche der Beschäftigten parat hält. Das wiederum erhöht die Motivation der Ärztinnen und Ärzte und trägt zu einer verbesserten Unternehmenskultur bei.
Zeitsouveränität als echter Zugewinn
Die Kliniken benötigen intelligente Steuerungsmomente und müssen ihre Führungskräfte von diesen überzeugen. Sie sind der Hebel, auf den Kliniken ihren Fokus richten sollten. Die Zeitsouveränität, die durch Zeitwertkonten entsteht, ist ein echter Zugewinn. Die Mitarbeitenden nehmen diesen Zugewinn auch wahr. Im Prinzip können alle Beschäftigten in einer Klinik Zeitwertkonten nutzen – von der Reinigungskraft, den Kantinenmitarbeitenden über die Pflegekräfte bis hin zur Ärzteschaft. Und weil Zeitwertkonten überwiegend positiv bewertet werden, sind sie ein Modell mit Zukunft.
Allerdings kann die Überalterung der Gesellschaft oder die Unterfinanzierung des gesetzlichen Rentenmodells allein mit Zeitwertkonten natürlich nicht gelöst werden. Aber die damit verbundene Flexibilität erhöht die Attraktivität für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sowie die Planbarkeit von Auszeiten und Ruhestand für die Einrichtungen. Darüber hinaus muss es den Kliniken gelingen, ihre Fachkräfte möglichst lange, vielleicht künftig sogar über das gesetzliche Rentenalter hinaus, zu halten. Ein Umdenken wäre wünschenswert. Wer diese Diskussion führt, geht den ersten Schritt in Richtung Zukunftsfähigkeit des Rentensystems. Denn abrupte, erzwungene Abbrüche im Arbeitsleben durch das biologische Lebensalter sind nicht mehr zeitgemäß.
Der Autor:
Sven Daniel
Leiter Personal und Recht
Brüderkrankenhaus St. Josef Paderborn
33098 Paderborn
Mitglied des Initiativkreises neue Personalarbeit in Krankenhäusern (InPaK)
Dtsch Arztebl 2023; 120(3): [2]