Gute Angehörigen-Kommunikation: Ratschläge vom Experten

2 November, 2023 - 06:30
Gerti Keller
Angehörige und Patientin im Krankenhaus

In vielen Kliniken ist Angehörigen-Management ein Stiefkind, allein aufgrund der knappen Zeit. In Reha-Einrichtungen nimmt es naturgemäß einen größeren Stellenwert ein. Dr. Dirk Faas vom Neurologischen Fachkrankenhaus und Rehabilitationszentrum für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene Klinik Bavaria Kreischa/Zscheckwitz erklärt, wie er das umsetzt und was Ärztinnen und Ärzte auch in Akutkliniken tun können.

Dr. Faas, was gehört für Sie zu einem guten Angehörigen-Gespräch?

Dr. Dirk Faas: Vorneweg gesagt: Wir müssen Angehörige nicht „managen“, sondern sollten auf einer menschlichen Ebene mit ihnen zusammenarbeiten, sie als Partner mitnehmen. Dazu gehört die offene Kommunikation über die medizinischen, aber auch emotionalen und organisatorischen Aspekte. Dafür müssen Strukturen geschaffen werden.

Was ist nötig?

Dr. Dirk Faas: Vor allem Zeit! Also, dass zum Beispiel Erstgespräche nicht nur fünf Minuten dauern dürfen. Ich nehme mir eine halbe bis dreiviertel Stunde, was bei uns am Neurologischen Fachkrankenhaus und Rehabilitationszentrum in Kreischa durchaus üblich ist. In der Akutklinik bräuchte man sogar mehr Zeit, um alle Aspekte, die für die Angehörigen eine Rolle spielen, überhaupt erfassen zu können.

Und räumlich?

Dr. Dirk Faas: Man benötigt einen Rückzugsort, um sich in Ruhe unterhalten zu können. Also nicht im Patientenzimmer, in dem nebenher der Monitor piept oder Leute rein- und rausrennen. Und auch nicht am großen Schreibtisch, vor dem der Angehörige fast kniet. Besser ist ein ovaler Tisch mit gleichen Stühlen. Es ist auch nicht verkehrt, mal einen Kaffee anzubieten. Manche denken vielleicht, das sei banal. Doch wer diese praktischen Schritte konsequent umsetzt, lockert Gesprächssituationen beträchtlich auf. Das führt zu einer deutlichen Verbesserung im Arzt-Angehörigen-Verhältnis, um auf Augenhöhe miteinander gut auszukommen.

Haben Sie einen Gesprächs-Opener?

Dr. Dirk Faas: Ich benutze basale Taktiken und achte auf Anknüpfungspunkte. Es ist erstaunlich, wie schon eine kurze Frage nach dem Anreiseweg hilft, eine Bindung aufzubauen. Oder ein paar Worte zu verlieren, wenn jemand ein T-Shirt von einem Fußballverein trägt. Sich kurz über tagespolitische Ereignisse auszutauschen ist ebenfalls okay. Das hilft auch mir, mich emotional zu öffnen für den wirklichen Kontakt.

Wie bereiten Sie sich auf Gespräche vor?

Dr. Dirk Faas: Wenn wir zum Beispiel ein ausführliches Gespräch mit den Eltern eines Patienten führen, setzt sich unser interdisziplinäres Team oft einen Tag vorher zusammen und macht eine Gesprächsskizze. Wir überlegen, welche Inhalte wir zu welchem Zeitpunkt vermitteln wollen, aber auch, wann wir den Eltern die Möglichkeit geben, „auszureden“. Letzteres planen wir gezielt in den Ablauf ein, damit die Betroffenen alles loswerden können, was sie beschäftigt. Sie sollten ehrlich sagen und fragen können, was immer sie plagt. Und oft reden sie dann fünf Minuten.

Also keine Checkliste?

Dr. Dirk Faas: Nein. Eine Checkliste würde in meinen Augen nur die Spontanität und den offenen Umgang behindern. Das Hineinfühlen in den jeweiligen Menschen ist viel zielführender. Ich habe lediglich die Gesprächsskizze mit groben Vorgaben bei mir, damit ich der Mensch bleibe, der ich bin. Dann kann auch mein Gegenüber leichter erkennen, wo ich emotional stehe. Diese Authentizität ist ein wesentlicher Faktor, damit sich Angehörige wohlfühlen. Übrigens mache ich mir Notizen mit dem Originalton der Angehörigen. Denn der spiegelt ihren seelischen Zustand wider. Ihre Worte nehme ich dann in meine eigenen Sätze auf. So kann ich zeigen, dass ich ihre Anliegen verstanden habe. Das ist ein ganz einfaches Hilfsmittel, um gut in Kontakt zu treten und selbst schwierige Gespräche zu meistern.

Sind Sie auch schon mal emotional „weggerutscht“? Und was tun Sie dann?

Dr. Dirk Faas: Auch der geschickteste Psychologe, der Vorträge über Gesprächstaktiken hält, kann in solche Situationen geraten. Das bleibt auch uns nicht erspart. Wenn ich merke, verbal „wegzurutschen“ oder denke „Das ist jetzt nicht wahr, was der da sagt“, spreche ich das an. Das gehört für mich zur Ehrlichkeit dazu. Aber wenn ich an mir beobachte, dass ich anfange, aggressive Emotionen zu entwickeln, ist das für mich ein klares Signal, einen Schritt zurückzutreten. Dann sage ich „Tut mir leid. Ich muss mich noch mal sammeln“ – was meistens nun auch notwendig ist – „und wir können das Gespräch in zwei Stunden oder einem halben Tag fortsetzen, wenn Ihnen das recht ist“. Oder man erklärt: „Ich komme damit jetzt nicht zurecht. Lassen Sie mich kurz einen Kollegen dazu holen“. Meist sind es ja 1:1-Situationen, und da kann es günstig sein, jemand an der Seite zu haben, vielleicht von einer anderen Profession wie eine Pflegekraft oder bei schwerwiegenden Krisen einen Psychologen.

Was sollte man allgemein vermeiden?

Dr. Dirk Faas: Alle asymetrischen Situationen, wie eine Chefarzt-Visite, bei der fünf Ärzte auf einen Angehörigen treffen und abwechselnd auf diesen einen einreden, sollte man vermeiden. So etwas ist gerade bei der Aufnahme, wenn man Vertrauen schaffen möchte, ungünstig. Sich nicht an Termine zu halten, führt automatisch zu einem Vertrauensbruch. Die Anpassung des Sprachniveaus mit der konsequenten Vermeidung von Fremdwörtern ist ein weiteres Dauerthema. Es ist nicht nötig, sich eine ganz einfache Sprache anzueignen, nur eine dem normalen Menschen gut verständliche. Das erleichtert die Kommunikation enorm und hilft Patientinnen und Patienten wie Angehörigen, ihre Wünsche zu vermitteln.

Wie handhaben Sie das „Abgreifen“ auf dem Flur?

Dr. Dirk Faas: Kommen Angehörige auf dem Gang mit einer Frage auf mich zu, höre ich mir zunächst an, was sie wollen und überlege, welches Setting die Antwort braucht. Möchten sie zum Beispiel wissen „Habe ich es richtig verstanden, dass die Dosis des Medikaments erhöht wurde?“, kann ich das direkt beantworten. Fragen sie dagegen „Was können wir machen? Ich habe das Gefühl, die Entwicklung des Patienten geht in die falsche Richtung, er wird sterben…“ antworte ich zum Beispiel: „Ich komme in zwei Stunden noch mal zu Ihnen zurück. Dann können wir uns Zeit nehmen“. Denn darauf muss ich mich ebenfalls vorbereiten.

Das ist in Akutkliniken aber ein bisschen schwieriger zu bewerkstelligen, oder?

Dr. Dirk Faas: Ich habe zuvor lange auf der Intensivstation gearbeitet, wo das Zeitmanagement insgesamt schon deutlich angespannter ist. Dennoch kann man das dort genauso handhaben, selbst in der Notaufnahme einer Akutklinik. Wichtig ist einzuordnen, ob es eine tagesaktuelle „Schnellfrage“ ist oder ob sie grundlegend für den weiteren Umgang miteinander ist. Generell sollte man kurz innehalten und überlegen, was vielleicht noch dahintersteckt. Mancher scheinbar harmlose Satz hat doch eine andere Bedeutung. So kann bei der Frage „Jetzt haben wir schon das zweite Antibiotikum. Hilft das noch?“ die Angst dahinterstecken, die Infektion gar nicht in den Griff zu kriegen.

Also geht auch alles in der Akutklinik?

Dr. Dirk Faas: Natürlich ist gutes Angehörigen-Management in der Akutklinik ein bisschen schwieriger als bei uns als Nachversorger. Dennoch kann man auch da vieles verbessern. Nehmen wir das Maximum der Notaufnahme. Dort wäre es hilfreich, wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Team absprechen, um das strukturiert anzugehen. Also: Wo treten häufige Reibungspunkte mit den Angehörigen auf? Was können Auslöser sein? Welche Lösungsansätze gibt es?

Ein Beispiel dafür?

Dr. Dirk Faas: Ein banaler Klassiker: Die Angehörigen kommen an den Tresen, und niemand ist da. Also müssen sie mit ihrem gefühlten Notfall warten, bis überhaupt jemand auftaucht und sich ihrer annimmt. Das bedeutet für sie Stress ohne Ende. Aber diese Abläufe können durchaus optimiert werden, was sehr wichtig ist. Denn der erste und der letzte Kontakt bleiben im Gedächtnis – und brauchen daher ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, als alle Sätze dazwischen.

Sollten Angehörige auch in der Akutklinik präsenter sein dürfen?

Dr. Dirk Faas: Ja, es gibt gerade in der Erwachsenen-Medizin zu viele Regeln, die Angehörige fernhalten. Patientinnen und Patienten fühlen sich aber meist viel besser, wenn sie ein Teil des vertrauten Umfelds um sich haben. In unserer Klinik für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ist es Normalzustand, dass sie da sind. Und alle profitieren von unserer Kind-orientierten Einbindung der Angehörigen. Ob diese ihnen vorlesen, die Lieblingsmusik oder die Freundin mitbringen. Bei sehr kleinen Kindern ist das Kangarooing heute Standard. Da ist die Pädiatrie etliche Jahre voraus, woran sich die Akutklinik auch orientieren könnte.

Was macht Ihre Klinik zusätzlich für Angehörige?

Dr. Dirk Faas: Wir haben fürs Angehörigen-Management zwei Extra-Personen von Seiten der Verwaltung. Diese kümmern sich beim Aufnahmeprozess komplett um alle Papiere, erklären die Abläufe im Haus, erläutern Besonderheiten zur Unterbringung oder Patientenbetreuung sowie die Ansprechpartnerstruktur, und wie der weitere Ablauf am Aufnahmetag ist. So beginnen die persönliche Kontaktaufnahme und das Kennenlernen bereits mit dem ersten Schritt in unsere Klinik, was eine gute Grundlage für eine vertrauensvolle Kommunikation schafft. Regelmäßig finden Elternrunden auf den Stationen statt. Zudem erhalten alle Begleitpersonen routinemäßig Einzelgesprächstermine in der ersten und dritten Woche des Aufenthaltes mit den Kolleginnen der Elternarbeit und danach je nach individueller Absprache und Bedarf. Circa eine Woche vor Entlassung erfolgt noch einmal ein Reflektionsgespräch und die Übergabe unserer Feedbackbögen. Durch diese vielen aktiven Kontakte können Wünsche und Bedürfnisse direkt und auf kurzem Weg an die zuständigen Stellen in der Klinik weitergeleitet werden. Dabei kommt einiges aufs Tablett, was sonst verdeckt bleibt. Zusätzlich bieten wir Angehörigen-Seminare an, die viele Fragen abarbeiten.

Was sind Ihre Ratschläge zu „end of life decision“-oder Organentnahmegesprächen?

Dr. Dirk Faas: Diese sollten ebenso optimalerweise im Team stattfinden. Nicht nur, um die Standpunkte der anderen einzuholen, sondern damit die Entscheidung von allen mitgetragen wird. Das hilft, um nicht die ganze Last allein zu schultern, wenn Sie einer Mutter mitteilen müssen, dass ihr Sohn sterben wird. Sie sind dann sozusagen der Sprecher des gesamten behandelnden Kollegiums. Wer eine zusätzliche Profession mitnimmt, etwa jemandem aus dem Palliativteam oder der Seelsorge, kann sich noch besser aufstellen. Des „Pudels Kern“ sollte man in einfachen, selbst mitgefühlten Worten aussprechen. Außerdem ist es ratsam, den Angehörigen Freiraum zu lassen, auf diese sehr aufwühlenden Informationen reagieren zu können. Da muss man vielleicht auch mal eine Gesprächspause von einer Minute aushalten.

Warum ist das „ihr“ Thema?

Dr. Dirk Faas: Ich war längere Zeit in der Neonatologie und pädiatrischen Intensivmedizin tätig. Unterstützend zu den Gynäkologinnen und Gynäkologen half ich in der Beratung von Risikoschwangerschaften, die vielen Fragen der Eltern bei schweren Erkrankungen des Ungeborenen zu beantworten. Interessanterweise endeten diese Begegnungen häufig damit, dass sie sich am Schluss bedankten, auch wenn ich ihnen sagen musste, ihr Kind wird geboren und sterben. Dass man ein derart ernstes Gespräch so gestalten kann, dass es emotional für alle Beteiligten trotzdem ein positives Ende nimmt, lenkte meinen Blick auf das Angehörigen-Management. Für mich ist es eine gemeinsame Reise und eine sehr erfüllende Aufgabe.

Was raten Sie speziell jungen Ärztinnen und Ärzten?

Dr. Dirk Faas: Jede Verbesserung im Umgang mit Angehörigen beginnt mit Selbstreflektion und neuen Erfahrungen. Nehmen Sie einen typischen Medizinstudierenden, der immer gut versorgt war. Dann trifft er in seinen ersten Tagen in der Klinik auf einen Bürgergeldempfänger mit fünf Kindern, von denen eins schwer krank ist. Da gibt es einfach keinen gemeinsamen Erfahrungshorizont. Erlebnisse auf ganz verschiedenen Ebenen zu sammeln, befähigt am besten dafür. Hier ist zum Beispiel eine Famulatur im Ausland hilfreich, wobei man vielleicht nicht nur in die USA gehen sollte, sondern in ein kleineres Krankenhaus in einer Kreisstadt in Süd-Venezuela.

Und was ist mit dem letzten so wichtigen Gespräch, das in Erinnerung bleibt?

Dr. Dirk Faas: Dafür kann man sich an drei Punkten orientieren: Wo kam der Patient her? Was hat er hier erlebt? Wo geht er hin? Die Angehörigen sollten verstanden haben, was während des Aufenthaltes passiert ist, wissen, was sie noch zu tun haben und wo sie eventuell weitere Hilfe finden. Auch sollten sie die Klinik mit einem positiven Gefühl verlassen, also dass der Patient vielleicht etwas gesünder geworden ist. Hierbei kann man auch mal die positiven Möglichkeiten für die Zukunft erwähnen. Zudem tut es auch den Angehörigen manchmal gut, zu hören „Sie haben auch einen wertvollen Beitrag geleistet, dass es besser geworden ist“. Ideal ist, wenn man dafür noch ein oder zwei konkrete Beispiele parat hat, wie „Es war wirklich toll, dass Sie jeden Tag gekommen sind und Ihrem Sohn aus Robinson Crusoe vorgelesen haben. Das ist mir im Gedächtnis geblieben. Das fand ich so schön.“

Der Experte

Dr. Dirk Faas

Dr. Dirk Faas war neun Jahre Funktionsoberarzt und Oberarzt Abteilung Allgemeinpädiatrie und Neonatologie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Seit 2016 ist er Chefarzt am neurologisches Fachkrankenhaus für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, Intensivstation und Frührehabilitation der Klinik Bavaria Kreischa/Zscheckwitz.

Bild: © KLINIK BAVARIA Kreischa/Zscheckwitz

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